Syrien Wer sich in Syrien gegen das Regime ausspricht, sitzt schnell in Haft. Einer, der freigelassen wurde, erzählt von den Verhältnissen dort - und von den Problemen danach
Mahmoud begrüßt uns in seinem Haus in einer ruhigen Ecke der syrischen Hauptstadt. Er ist nervös und bittet uns höflich, unsere Mobiltelefone am Eingang zurückzulassen. Dann nimmt er auf dem Rand eines vergoldeten Stuhls Platz und beginnt mit seiner Geschichte, die einigen Aufschluss darüber gibt, warum Tausende Syrer sich auf die Straße gewagt haben, um gegen die Herrschaft Bashar al-Assads zu demonstrieren – und Tausende nicht.
Mahmoud ist einer der prominenten ehemaligen politischen Gefangenen des Landes, ein intelligenter, nachdenklicher Mann mittleren Alters. Fünf Jahre saß Mahmoud im Adra-Gefängnis ein, nachdem er 2001 bei einer Demonstration verhaftet wurde, deren Teilnehmer Meinungs- und Redefreiheit forderten. „Es ist sc
;Es ist schwer vorstellbar, wie ich das durchstehen konnte“, sagt er. „Vier Jahre verbrachte ich in einer zwei mal zwei Meter großen Zelle. Monate vergingen ohne Sonnenlicht, Bücher, Radio oder Besucher. Und all das nur aufgrund meiner Ansichten.“"Sie wollen, dass die Familie ihn vergisst"Während der jüngsten Proteste kam es wieder massiv zu Verhaftungen. Hunderte wurden in Sicherheitszellen gesperrt, 200 wurden nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten, die die Ereignisse in Syrien verfolgen, allein über Ostern als vermisst gemeldet. Sie schätzen, dass die Zahl der Inhaftierten, die zusätzlich zu den offiziell verurteilten Gefangenen einsitzen, in die Tausende geht. Zu ihnen gehören Kurden und konservative Muslime, die seit Aufständen in den Siebzigern und Achtzigern in den Fokus des staatlichen Misstrauens gerieten. Da gibt es Schriftsteller wie die Autorin Raghdah Hassan, die eingesperrt wurde, weil sie über ihre Erfahrungen während einer früheren Inhaftierung aus politischen Gründen geschrieben hatte; Ali al-Abdullah, ein Schriftsteller und Menschenrechtler; und Kamal Cheikho, ein kurdischer Student und Blogger.Viele wurden weniger gut behandelt als Mahmoud, der sagt, man habe ihn aufgrund seiner Prominenz geschont. Es gibt gut dokumentierte Fälle von Leuten, die gefoltert wurden und denen man medizinische Hilfe verweigerte. Ein Demonstrant, der diesen Monat inhaftiert wurde, sagte, er sei geschlagen worden und habe fünf Tage stehend verbringen müssen.Die Wut über die anhaltende Inhaftierung politischer Gegner war ein Schlüsselthema bei den wachsenden Protesten der vergangenen Wochen: Eine Woche vor den ersten Protesten in Deraa, die von der Regierung brutal niedergeschlagen wurden, versammelten sich die Familien politischer Gefangener auf dem Merjeh-Platz in Damaskus und forderten die Freilassung ihrer Angehörigen.Eine Mutter erzählt, in der vergangenen Woche seien zwei ihrer Söhne verschwunden: „Ich habe keine Ahnung, ob sie tot sind oder leben.“ Ein Mann, der vor kurzem nach mehreren Tagen Haft entlassen wurde, sagt, man habe ihm nicht erlaubt, zuhause anzurufen und seiner Familie zu sagen, dass er noch am Leben sei. „Wenn jemand ins Gefängnis geht, wollen sie, dass die Familie ihn vergisst und die Familie isoliert wird“, sagt Nour, die Frau eines politischen Gefangenen, die sich bereiterklärt hat, sich mit uns zu treffen. „Man hat uns gedroht, sowohl offen als auch indirekt. Bei uns wurde eingebrochen und man hat uns verboten zu reisen. Ihre Tochter Salma ist Studentin. Sie sagt: „Mir kommt es vor, als hätte ich keinen Vater, weil er in meiner Kindheit so lange weg war. Aber es ist schlimmer, als wenn er tot wäre.“Das Leid geht weiterVergangene Woche kündigte die Regierung die Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Abschaffung der Sicherheitsgerichte an, aber die immer brutalere Niederschlagung der Proteste hat bei den meisten die Hoffnungen zunichte gemacht, dass dies eine wirkliche Veränderung bringen wird, da die Herrschaft des Regimes in erster Linie auf Repression beruht.„Die Zivil- und Militärgerichten missachten gleichermaßen die Standards fairer Verfahren undwerden benutzt, um politischen Gegner und Aktivisten den Prozess zu machen“, sagt Neil Sammonds von Amnesty International. Während der nunmehr vier Wochen andauernden Proteste wurden Menschenrechtsgruppen zufolge Hunderte inhaftiert. Einige hat Assad indes auch wieder freigelassen. Doch auch das Leben nach der Freilassung ist nicht leicht. Ehemalige politische Gefangene wie Mahmoud dürfen das Land nicht verlassen und haben oft große wirtschaftliche Probleme. „Ich finde keine Arbeit, weil die Leute Angst haben oder angewiesen wurden, nicht mit uns zu verkehren“, sagt er.Die Inhaftierung zeitigt gemischte Erfolge bei der Unterdrückung der syrischen Opposition. Nach ihrer Freilassung taten sich viele Prominente unter ihnen zusammen, um den Nationalen Rat der Erklärung von Damaskus zu gründen – eine Gruppe islamistischer, liberaler und kurdischer Oppositioneller. Einige von ihnen wurden später erneut in Haft genommen und die Bewegung dadurch geschwächt. Aber die gezielte Inhaftierung politischer Aktivisten kann nichts gegen Tausende von unpolitischen Bürgern ausrichten, die den Aufstand gegen Assads baathistisches Regime anführen.„Ich freue mich, dass die Leute für ihre Würde das Wort ergreifen“, sagt Mahmoud. Aber er und Nour fürchten, dass das Regime ähnlich hart durchgreifen wird wie im Damaszener Frühling, wenn die Demonstranten wieder nachhause gegangen sind – das war vor der Eskalation am vergangenen Wochenende. Ich hoffe, dass sie den Druck aufrecht erhalten können und dadurch die politischen Gefangenen freikommen“, sagt Nour. „Doch egal was geschieht, wir sind stolz. In der ganzen Geschichte hat es Menschen gegeben, die vorangegangen sind und hart getroffen wurden.“
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