Am Montag hat das US-Justizministerium eingeräumt, dass es von jedem Telefonanruf wusste, der zwischen April und Mai vergangenen Jahres von hundert Reportern der Nachrichtenagentur Associated Press getätigt wurde. Die Details hatte man sich heimlich von den betreffenden Telefongesellschaften verschafft. Gründe wurden nicht angegeben. Das Ministerium sagte, es „schätze die Pressefreiheit“, aber – auf eine solche Phrase folgt immer ein Aber – sie habe gegen das Interesse der öffentlichen Sicherheit abgewogen werden müssen.
Auch ein Fall in dem es anders herum lief, wurde in dieser Woche bekannt. Journalisten des Finanzdienstleisters Bloomberg hatten über Markt-Tracking-Terminals, die die Firma an
Wall-Street-Banken verkauft hatte, Zugang zu vertraulichen Daten. Die Banken bemerkten, dass die Reporter durch Bloombergs „Bürospion“ ihren „Suchen und Tastenanschlägen in den Abteilungen für Fusionen und Übernahmen folgen konnten“. Das Unternehmen gab schleunigst eine Entschuldigung heraus.
Das Internet hält seine Versprechen nicht
Man kann schreien, dass nicht im Internet sicher ist, bis man blau wird. Niemand scheint es zu glauben. Regierungen und Unternehmen behaupten, sie respektierten den Datenschutz. Doch sie sind naive Babys im Gegensatz zu den Nerds, von denen sie selbst einige für sich engagieren. Ich bin mir sicher, dass zwei Millionen US-Beamte dachten, ihre Schriebe seien sicher vor WikiLeaks. Ich bin mir sicher, dass die britischen Minister und Beamten, die die Ausweisakten und Computer des Gesundheitssystems für „doppelt verriegelt“ erklärten, sie auch dafür gehalten haben könnten.
Datenschutz ist ein krasser Widerspruch in sich. Gewiss, die bloße Menge der vorhandenen Daten kann die Informationsrückgewinnung unmöglich machen. Der amerikanische Statistiker Nate Silver hat gesagt, heutzutage seien nicht Informationen oder Transparenz das Problem, sondern vielmehr das „Auffinden von Mustern in weißem Rauschen.“ Ohne Zweifel wird irgendein Killer-Algorithmus das irgendwann schaffen.
Und entgegen aller Prahlerei der Computergeeks kann das Internet immer noch nicht dem Verbrechen Einhalt gebieten, Krebs heilen, Erdbeben voraussagen oder einen Ausweg aus der größten Rezession der modernen Zeiten finden, die es teilweise mitverursacht hat.
Ein bisschen erinnert all das an die Anfangstage der Atomkraft. Auch damals gab es den wilden, futuristischen Traum einer Welt, der die Atomkernspaltung mit Energie, Sicherheit und Freiheit bringen würde. Heute wirkt die Atomrevolution wie neophilistische Schlacke mit eingebauten Albträumen.
Die Datenflut im Netz nutzt der Macht
Inzwischen gibt es eine Flut der Zukunftsvoraussagen, die sich mit der Datenflut beschäftigen. Die neuste und beste stammt von Eric Schmidt und Jared Cohen von Google. In ihrem Buch Die Vernetzung der Welt kartieren sie den Dualismus, der sich zwischen den realen und den virtuellen Welten auftut. Entziehen kann sich niemand. Diejenigen, die versuchen, das Virtuelle zu meiden, werden in den Augen des Staates zu „Verborgenen“ und als solche digitalisiert werden.
Ohne digitale Persönlichkeit und „nachprüfbare“ Vergangenheit werden Bankmitarbeiter, Arbeitgeber, Grenzbeamte, ja selbst zukünftige Partner uns nicht mehr trauen. Unsere Teenagerjahre werden uns verfolgen, Millionen möglicherweise arbeitslos machen. Solche Leute sind Orwells Unpersonen. Wenn das Internet, das ein sensationelles Hilfsmittel für das Leben ist, die Grenze überquert und selbst zu einem Leben wird, riskiert es, Leben zu zerstören.
Bereits jetzt ist das allumfassende Wissen, das mit der digitalen Revolution einhergeht, ein Geschenk an die Macht. Das amerikanische Justizministerium war offenbar erbost über AP, weil die Agentur Details über eine CIA-Operation im Jemen ohne Zustimmung Washingtons veröffentlicht hatte. In den Zeiten des Print – und von Watergate und Spycatcher – musste die Macht vor Medien und Gesetz das Knie beugen. Heute nicht mehr. Die amerikanische Regierung wird in Utah das größte Überwachungs- und Datensammelzentrum der Erde bauen. Daten von Satelliten und Leitungen aus der ganzen Welt werden dort zusammenfließen.
Wenn Regierungen versuchen, auf der Informations- und Meinungsfreiheit herumzutrampeln, dann meistens, um etwas, das sie in Verlegenheit bringen könnte, unter dem Mantel der „nationalen Sicherheit“ zu verbergen. So wird der Geheimhaltung der Anschein der guten Absicht verliehen: Sag ein Wort und die gefürchtete Al-Qaida wird es mitbekommen.
Überwachung durch die Hintertür
Teilweise mögen diese Eingriffe ja nützlich sein – etwa wenn es darum geht, Steuerhinterzieher oder Pädophilen-Webseiten auffliegen zu lassen. Wo eine Wolke ist, lässt sich immer auch irgendein Silberstreif finden. Zwei Aspekte der Zukunftsvision von Schmidt und Cohen sind allerdings wirklich erschreckend: Zum einen wäre da das vollkommene Fehlen von Rechenschaftspflichtigkeit oder Wiedergutmachung – mehr als Appelle für freiwillige Protokolle oder Verhaltenskodexe für Unternehmen gibt es kaum. Sich auf die Tugend von Unternehmen – und immerhin ist die virtuelle Welt komplett in Unternehmenshänden - zu verlassen, wenn es um den Schutz persönlicher Daten geht, ist, als würde man sich darauf verlassen, dass Google schon von sich aus Steuern zahlen wird.
Weitaus schlimmer noch ist, wie das Internet staatlicher Paranoia Vorschub leistet. Das US-Justizministerium erklärt, es entscheide selbst, wie Pressefreiheit und nationale Sicherheit gegeneinander abzuwägen seien. Wie kommt es an diese Lizenz? Während die Sicherheitsindustrie die Minister zu immer weiteren Käufen anspornt, neigt die Waagschale sich immer weiter hin zur Kontrolle und weg von der Freiheit.
Aus dem Buch von Schmidt und Cohen spricht eine Besessenheit mit der Regelungsfixierung der amerikanischen Regierung, mit 9/11 und dem Terrorismus. Die Gesellschaft, die die sicherste der Welt sein müsste, scheint gelähmt durch eine Bedrohung, die sie auf einer Stufe mit dem Kalten Krieg ansiedelt. Wo früher der Kommunist war, ist heute der Terrorist – er lauert unter jedem Bett und auf jeder Webseite. Deshalb gibt es keine Ausgewogenheit von Freiheit und Kontrolle. Nur immer teuflischere Kontrollmethoden.
Die Angst vor dem Terrorismus hat dem Zugriff auf Daten, der Überwachung durch die „Hintertür“ und der Einschränkung der Pressefreiheit beste Vorlagen geliefert. Alle sagen, sie wollten eine „verantwortungsvolle Presse.“ Die Reise geht aber immer in die gleiche Richtung – hin zur Beschränkung der Freiheit. Auf Regierungsaktionen, die einst für Empörung gesorgt hätten, wird heute mit einem Schulterzucken reagiert. Das Internet ist frei. Das Internet ist gut. Das Internet kann nichts Falsches tun. Wen kümmert's?
Simon Jenkins schreibt für den Guardien und war Herausgeber der Times und des London Evening Standard
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