Der Präsident begann seine Wahlkampf-Tour im texanischen El Paso, das nur wenige Schritte von einem der gefährlichsten Orte der Welt trennen. Unter anderem besuchte er die Frachthöfe neben der Bridge of the Americas, über denen eine riesige mexikanische Flagge weht. Der Handel mit Mexiko bringt der gebeutelten US-Wirtschaft jährlich 340 Milliarden Dollar ein – Tendenz steigend. Überraschenderweise war es Obamas erster Besuch an der „frontier“, der Grenze zwischen den USA und Mexiko.
In El Paso ist das Thema Immigration auf grausame Weise untrennbar mit einem weiteren verbunden: Dem der Grenzsicherheit und dem Abgrund, in dem Ciudad Juarez – El Pasos Schwesterstadt jenseits des Rio Grande – versinkt. Dort liegen der Brutkessel und das Zentrum des mexikanischen Drogenkrieges. Eines war also klar: „Wir haben die Grenzsicherheit in einem Maße verstärkt, das viele nicht für möglich gehalten haben“, verkündete Obama, dem die Herzen der größtenteils aus Latinos bestehenden Menge zuflogen, als er hinzufügte, die Republikaner würden natürlich noch mehr verlangen: „Vielleicht werden sie sagen, wir brauchen einen Graben. Und vielleicht werden sie wollen, dass darin Alligatoren schwimmen!“
Doch mit einer gepfefferter Rede allein wird jenem Disput nicht beizukommen sein, der die USA spaltet und für den zwei Demonstrationen draußen vor dem zahlungspflichtigen Meeting mit Obama standen. Eine Gruppe, die sich für die Rechte von Immigranten einsetzt, forderte Obama auf, seine Wahlkampfversprechen einzulösen und entschiedener eine Reform der Einwanderungsgesetzgebung anzugehen. Eine andere skandierte Lieblingsparolen der Republikaner: „Die Sicherheit der Grenzen kommt zuerst“ und „Amnestie? Niemals!“. Das Thema Einwanderung ist ebenso umstritten wie (wahl-)entscheidend. In den westlichen und den an der Grenze liegenden US-Bundesstaaten steigt die Zahl der Latinos rasant, derweil steht der Ausdruck „nationale Sicherheit“ durch den backlash innerhalb der weißen Bevölkerung hier unten für die Kontrolle der Einwanderung.
Ein Gesetz namens „SB 1070“
In den USA leben geschätzte 11,2 Millionen illegale Einwanderer, die meisten davon aus Lateinamerika, und es wird heftig darüber gestritten, ob sie Rechte haben und für die scheiternde US-Wirtschaft unverzichtbar sind. Oder ob es sich um Kriminelle handelt, die gerade einmal die Kosten ihrer Rückführung wert sind.
Die Hintergrundkulisse zu Obamas Kampagnenstart stellt eine erbitterte, folgenschwere und hoch symbolische Gerichtsschlacht zwischen der Regierung in Washington und einer möglicherweise wachsenden Zahl von West- und Grenzstaaten dar. Angefangen hatte es, als der Staat Arizona, den die Hälfte aller illegalen Einwanderer durchqueren und durch den seit 2010 auch die Fronten der politischen Kontroverse verlaufen, ein Gesetz namens „SB 1070“ erließ, das die Polizei befugt, jede Person, gegen die ein „begründeter Verdacht“ besteht (die also lateinamerikanisch aussieht), anzuhalten und von ihr den Nachweis des legalen Status einzufordern. Kann der nicht erbracht werden, droht Abschiebung.
Organisationen, sie sich für die Rechte der Immigranten einsetzen, zeigten sich empört, Linke waren entsetzt über die Aussicht, dass gesetzestreue, hart arbeitende Familien auseinander gerissen werden können. Der Sheriff des Countys Yuma weigerte sich, die Maßnahme umzusetzen, ebenso sein Amtskollege in Pima. Bei vielen weißen Wählern fand das Gesetz dagegen Unterstützung, erst recht, nachdem im Vorjahr der Rancher Robert Krentz von marodierenden Grenzgängern ermordet worden war.
Die US-Regierung ging gegen Arizona in Berufung und brachte vor, die Maßnahme sei verfassungswidrig, weil die Einwanderung als Bundesangelegenheit nicht der Zuständigkeit der Einzelstaaten unterliege. Die Regierung gewann – und „SB 1070“ wurde per einstweiliger Verfügung auf Eis gelegt. Arizonas Gouverneurin Jan Brewer durfte nicht in Berufung, gab allerdings jüngst bekannt, sie werde eine Petition beim Obersten Gerichtshof einreichen, da Arizona und andere Staaten in ihren Augen nach wie vor „ein souveränes Recht und die Pflicht haben, ihre Bürger zu schützen und das Einwanderungsrecht durchzusetzen“.
Für jeden etwas
Andere Staaten zogen nach: Utah, Georgia und Florida haben bereits Maßnahmen verabschiedet, anderswo werden gerade entsprechende Vorbereitungen getroffen. Gegen das Vorgehen Utahs legte die Bundesregierung ebenfalls ihr Veto ein. Ein Bundesrichter in Salt Lake City blockierte das dortige Gesetz vor einer Woche.
Nun hat sich Obama in dieser erhitzten Debatte positioniert: „Ich glaube nicht daran, dass die USA die Trennung von Familien betreiben sollten. Das ist nicht richtig, wir können es besser“, sagte er, fügte aber vorsichtig hinzu „Dass wir ein Rechtsstaat sind, ergänzt sich damit, dass wir eine Nation von Einwanderern sind.“ Er erinnerte an den wunderbaren Fall des José Hernandez, Sohn eines illegalen Einwanderers, der davon träumte ein Astronaut zu sein. "Ein paar Jahre später befand er sich 100 Meilen über der Erde an Bord der Discovery und während er aus aus den Fenstern schaute, erinnert er sich an den kleinen Jungen, der in einem Feld in Kalifornien lag und dachte, dass in Amerika alles möglich ist. Denke daran, El Paso. Das ist hier und jetzt der amerikanische Traum. dafür kämpfen wird."
Obamas Rede sprachen Klugheit wie Originalität. Er steckte ein komplexes Wahlprogramm ab, in dem die Erfordernisse des Gesetzes und der Einwanderung ausgewogen zueinander stehen. Für alle ist etwas dabei. Ein bisschen für den rechten Flügel – etwa das Recht auf Grenzsicherheit. Etwas mehr für die Linke – die Bestrafung von Unternehmen, die illegale Arbeitnehmer ausbeuten, und die Anpassung der Einwanderungsgesetze, um Familien schneller vereinen zu können. Für alle dazwischen hatte Obama einen Weg parat, auf dem Illegale den legalen Aufenthaltsstaus erlangen können, indem sie eine Strafe zahlen, Englisch lernen, Steuern entrichten und sich einem langwierigen Einbürgerungsprozess unterwerfen. Außerdem soll Agrarbetrieben ermöglicht werden, illegale Einwanderer anzustellen und denen wiederum zu ermöglichen, einen legalen Rechtsstatus zu erlangen.
Zwei gewichtige Dinge gab es allerdings unter der gnadenlosen texanischen Sonne, die keiner auszusprechen wagte. Erstens die Frage, warum Obama diese Reformen nicht schon auf den Weg brachte, als seine Partei noch die Oberhand im Kongress hatte. Und zweitens, dass sich Einwanderung und Drogenkrieg nicht mehr getrennt voneinander betrachten lassen – das ehemalige Geschäft der „Coyoten“, einzelner Krimineller, die Menschen über die 3.400 Kilometer lange Grenze in die USA lotsten, ist von den Drogenkartellen gekapert worden. Beim bislang schlimmsten Massaker des Drogenkrieges im Oktober 2010 wurden nicht Drogenschmuggler umgebracht, sondern 72 Migranten, die dem paramilitärischen Zetas-Kartell eine Zahlung verweigert hatten und ausnahmslos in Tamaulipas hingerichtet wurden.
Solange dieser Krieg wütet, wird Obama sich immer wieder Vorwürfe abhören müssen, wie die der Gouverneurin Jan Brewer: "Er hätte mit unseren Ranchern sprechen sollen, über deren Ländereien Drogen und Menschen geschmuggelt werden. Er hätte mit unseren Polizisten sprechen sollen, die den hochgerüsteten Kartellen oft unterlegen sind."
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