Um subversiv zu sein, braucht es schon etwas mehr als einen Striptease und Pailletten. Die Burlesque war einst eine radikale Form des Theaters für die Arbeiterklasse. Im 19. Jahrhundert ging es bei diesen wenig feinen Shows mindestens ebensosehr um das Spiel mit den Geschlechterrollen und das Veräppeln der Reichen, wie um Striptease. Doch inzwischen steht Burlesque stellvertretend für eine bourgeoise, sexuelle Performance, von der die immer gleiche Verdinglichung einfach nur geschmackvoll in Straußenfedern und teure Korsette neu verpackt wird. Der Film Burlesque, das jüngste Zappel-Fest aus Hollywood mit großem Budget und Christina Aguilera und Cher in den Hauptrollen, bedeutet die endgültige Umfunktionierung einer einst provokanten Kunstform zu einer aalglatten, stimulierenden Parade, bei der mit Retro-Ästhethik die Hüllen fallen. Als Feministin und ehemalige Burlesque-Künstlerin ärgert mich das ungemein.
Anfang Dezember warb Aguilera im Finale der Castingshow X-Factor für den Film mit einer Live-Performance, im Hintergrund räkelten sich Tänzerinnen in knappen, altmodischen Höschen auf der Bühne. Eltern aus dem ganzen Land riefen daraufhin beim ausstrahlenden Sender an und beschwerten sich über die explizite Darbietung; Elternverbände wie Mumsnet empörten sich in ihren Foren über die bloße Menge nackter Haut, die zu sehen war. Die Tageszeitung Daily Mail reagierte, wie zu erwarten war, mit einem Ausbruch an Moralapostelei, der sich praktischerweise mit Fotos von halbnackten, enthaarten 20-Jährigen illustrieren ließ.
Die Burlesque als Kunstform begann in dem Moment ihre Undergroud-Credibility zu verlieren, als in bürgerlichen Turnhallen Bleiben-Sie-in-Form-mit-Burlesque-Kurse angeboten wurden, doch der Film ist der endgültige Nagel am Sarg der radikalen Burlesque. Aguilera spielt ein knackiges, verträumtes junges Ding, das sich als Kellnerin durchschlägt, bis sie Ruhm, Reichtum und persönliche Erfüllung findet, als sie ihr Talent erkennt, sich zum Sound einer Big-Band auszuziehen. So weit, so Hollywood.
Gefährliche Botschaft
Ich würde auch nicht wollen, dass meine kleine Schwester sich den Film ansieht – nicht, weil ich sie vor sexuellen Inhalten beschützen möchte: Die eigentlich gefährliche Botschaft des Films und der Industrie dahinter ist die Vorstellung, dass weibliche Selbstbestimmung gleichbedeutend mit der „Macht des Striptease“ ist.
„Can you imagine what would happen if I let you close enough to touch?“ singt Aguilera in dem Song Express, mit dem sie für den Film wirbt. Da haben wir die Schlüsselfrage – genauer gesagt die einzige Frage, die der erotische Tanz noch aufwirft, seit er zum akzeptablen Gesicht der Sex-Industrie für Frauen aus der Mittelschicht avanciert ist. Es geht um Macht, aber nur in ihrer eingeschränktesten Form – die Macht der Imagination und der sexuellen Frustration.
Verfechter dieser Form der Burlesque schwärmen von der Macht, die sie Frauen verleiht – und in der Tat, das habe ich während meiner eigenen Zeit als Künstlerin gelernt, verschafft einem die Erkenntnis ein gewisses kaltes Vergnügen, dass man Männer dazu bringen kann, einen anzusehen und zu begehren. Seit Anbeginn der Menschheit wurde den Frauen erzählt, dass ihre wichtigste soziale Trumpfkarte die Macht ist, Sex anzudeuten und ihn den Männern dann vorzuenthalten, indem die Frau ihr eigenes Verlangen leugnet und das der Männer manipuliert. An dieser Form der Souveränität ist nichts neu, und ich möchte auf keinen Fall, dass meine kleine Schwester lernt, dass kunstvoll vorenthaltener Geschlechtsverkehr das Beste ist, was ihr die Zukunft bringen kann.
Wenn Selbstbestimmung für die moderne Frau heute eine ritualisierte Form der Entsagung bedeutet, dann müssen wir uns wirklich fragen, wie weit es mit dem Sexus und der Herrschaft nach 50 Jahren Feminismus gekommen ist. Popstars und Moderatorinnen streiten darum, wer als nächste die Nippel-Troddel anlegen darf, Geschäftsfrau und Burlesque-Superstar Dita Von Teese erklärt unterdessen „die Kunst des Striptease“ so: „Burlesque ist eine Welt der Illusion und Träume und natürlich des Striptease. Als Burlesque-Künstlerin verführe ich mein Publikum, ich bringe seine Gedanken dem Sex immer näher, und dann – wie jede gute Verführerin – entreiße ich ihm das.“
Herkömmlichen Striptease immer ähnlicher
Die Tatsache, dass die Burlesque dem herkömmlichen Striptease immer ähnlicher wird, entschuldigen Produzenten und Tänzerinnen oft damit, dass diese fade Aneinanderreihung von nichterfüllten sexuellen Sehnsüchten ironisch und also nicht ernst gemeint sei. An einer Erektion ist nichts Ironisches – dasselbe gilt für den Gehaltszettel. Mag sein, dass es sogar ein paar Männer gibt, die der Gedanke antörnt, zwischen zwei straffen, wippenden Anführungszeichen herumzufummeln, doch sexuelle Ironie als Kunstform wird niemals wirklich subversiv sein.
Nenne Sie mich also eine Feminazi im Stahlschlüpfer, aber ich bin es leid, dass mir matte, altmodische Frauenfeindlichkeiten als etwas Neues, Ironisches und Selbstermächtigendes verkauft werden. Wenn Sie sich sexy fühlen wollen, dann haben Sie Sex – und wenn sie mehr Selbstbestimmung wollen, dann schließen Sie sich einer politischen Bewegung an.
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