Im September 2005 wurde der dänische Karikaturist Kurt Westergaard von seiner Zeitung Jyllands-Posten gebeten, den Propheten Mohammed so zu zeichnen, wie er ihn sehe. Dass er einwilligte, sollte sein Leben verändern. Die Karikatur wurde von muslimischen Hardlinern auf der ganzen Welt als Blasphemie empfunden und brachte ihm diverse Morddrohungen ein. Über vier angstvolle Jahre später verschaffte sich am vergangenen Freitag ein aus Somalia stammender 28-jähriger Mann gewaltsam Zutritt zu der Arhuser Wohnung, in der Westergaard mit seiner Frau Gitte lebt. Der Mann war mit einem Messer und einer Axt bewaffnet.
Westergaard kümmerte sich gerade um seine fünfjährige Enkeltochter Stephanie, als er plötzlich vor eine grausame Wahl gestellt wurde: Sollte er riskieren, vor den Augen seiner Enkeltochter ermordet zu werden oder sich darauf verlassen, dass Terroristen sich für gewöhnlich nicht an Familienmitgliedern vergreifen und an ihrem ursprünglichen Opfer festhalten, wie ihm die dänischen Sicherheitskräfte versichert hatten?
Westergaard entschied sich, in das extra für diesen Zweck zum „Panikraum“ umgebaute und speziell gesicherte Badezimmer zu flüchten, während Stephanie im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzen blieb. Der Eindringling bearbeitete mit seiner Axt die Badezimmertür und schrie: „Wir werden unsere Rache bekommen!“ Westergaard alarmierte die Polizei. „Das waren schreckliche Minuten“, erinnert er sich am Sonntag. „Aber ich glaube, ich habe das Ganze recht gut überstanden; meine Enkelin, wie es scheint, auch. Und das ist natürlich die Hauptsache. Ich hätte nicht weiterleben können, wenn ihr etwas zugestoßen wäre.“
Von außen sieht Westergaards Haus in Dänemarks zweitgrößter Stadt Aarhus aus wie ein durchschnittlicher Vorortbau. Dem Karikaturisten zufolge handelt es sich aber um eine „Festung ohne Wassergraben“ mit Sicherheitskameras und gepanzerten Fenstern. Aufgrund der permanenten Bedrohung ist er stets gezwungen, spezielle Vorkehrungen zu treffen, wenn er seine Wohnung verlassen will. Als er noch arbeiten konnte, eskortierte ihn ein Polizeiwagen jeden Tag in die Redaktion der größten dänischen Tageszeitung.
Westergaard war einer von zwölf Künstlern, die der Aufforderung von Jyllands-Posten folgten, aber seine Zeichnung eines bärtigen Mannes, der eine Bombe in seinem Turban trägt, wurde die berühmt-berüchtigste. Er sagt, er habe gar nicht unbedingt den Propheten beleidigen wollen, der Bärtige könne ebenso gut einen Fundamentalisten darstellen, einen Taliban-Kämpfer zum Beispiel. Andere Karikaturen stellten ganz eindeutig nicht den Propheten dar. Aber kurz nach dem 30. September, als die 12 Darstellungen unter der Überschrift „Das Gesicht Mohammeds“ erschienen, wurden sie alle zusammen als „die Mohammed-Karikaturen“ bekannt.
In der Isolation
Zunächst einmal waren die Reaktionen aus der muslimischen Community großenteils moderat. Dreitausend dänische Muslime demonstrierten in Kopenhagen, muslimische Organisationen, Politiker und Botschafter brachten ihr Missfallen zum Ausdruck. Innerhalb weniger Monate kam es dann aber zu gewaltsamen Ausschreitungen. Im Februar 2006 saß Westergaard gerade am Swimming-Pool seines Sohnes in Florida, als er davon erfuhr, dass die dänischen Botschaften in Damaskus, Beirut und Teheran von Demonstranten in Brand gesetzt worden waren. Seine Schwiegertocher flehte ihn an, nicht nachhause zurück zu gehen. „An diesem Punkt wurde mir klar, dass Dänemark seine Unschuld verloren hatte“, sagte mir Westergaard, als ich ihn im vergangenen Jahr schon einmal traf. Trotz der Bitten seiner Schwiegertochter kehrte er unverzüglich nachhause zurück, um dort die schlimmste internationale Krise mitzuerleben, die Dänemark seit dem Zweiten Weltkrieg durchzustehen hatte.
In welcher Gefahr er sich aber wirklich befand, wurde Westergaard erst am 8. November 2007 bewusst, als er und Gitte gerade in den Urlaub nach Frankreich aufbrechen wollten. Stattdessen wurde das Paar unverzüglich von der Polizei an einen sicheren Ort verbracht, sie hatten Hinweise auf einen geplanten Mordanschlag auf den Karikaturisten. Es folgte eine „Sommerhaus-Odyssee“, wie Westergaard es nennt. Insgesamt mussten sie neunmal umziehen und neun verschiedene Autos fahren. Sie zogen von einer Ferienwohnung außerhalb von Aarhus zur nächsten und blieben nirgendwo länger als vier Wochen wohnen.
Westergaard vermisste in der Isolation sein eigenes Bett und seine Bücher. „Wenn ich eine Neigung zum Trinken hätte, wäre ich jeden Abend betrunken gewesen. Wir wussten nie, wie lange wir an einem Ort bleiben und was als nächstes passieren würde.“ Einmal wurde ihnen in einem Hotel (es war nicht immer eine Ferienwohnung frei) gesagt, sie stellten ein Sicherheitsrisiko dar und man forderte sie auf zu gehen. Vor einem anderen Hotel wurden zwei Männer und zwei Frauen, die dem Augenschein nach aus dem Nahen Osten stammten, auf die Westergaards aufmerksam, als diese gerade ihr Gepäck ausluden.
„In der Hölle sollst du schmoren!“, rief einer der Männer Westergaard zu.
„Können wir darüber reden?“, fragte der Karikaturist zurück.
„In der Hölle sollst du schmoren!“, wiederholte der Mann sich.
„Nun, dann müssen wir wohl in der Hölle darüber reden“, sagte Westergaard hierauf schließlich. Als die Polizei fünf Minuten später eintraf, waren die vier schon lange verschwunden.
Als ich Westergaard vor dem jüngsten Angriff auf ihn traf, wirkte er etwas melancholisch, gleichzeitig aber auch wütend und kämpferisch. „Ich halte mich nicht für besonders mutig“, sagte er damals. „Wenn mein Land besetzt werden würde, würde ich wahrscheinlich nicht in den Widerstand gehen und Sabotage betreiben, sondern irgendwo herumsitzen und meine Zeichnungen machen. Aber in dieser Situation wurde ich wütend. Es kann nicht sein, dass man in seinem eigenen Land bedroht wird, nur weil man seinen Job macht. Diese Absurdität kam mir zugute, denn sie forderte meinen Trotz und meine Sturheit heraus. Ich kann das nicht dulden. Das nimmt mir einen Großteil meiner Angst.“
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