Es heißt ja immer, die Musikindustrie habe nur sehr langsam auf das Internet reagiert. Doch das ist nichts im Vergleich zu der Zeit, die sie gebraucht hat, um auf die Befreiung der Frau zu reagieren: mindestens 40 Jahre.
Wenn Sie eine Frau sind und auf eine glanzvolle Karriere in der Musikbranche hoffen, lesen Sie besser nicht weiter. Zwar kann ich nur aus Großbritannien berichten, aber die Zahlen dürften in ganz Europa ähnlich sein. Jüngsten Erhebungen zufolge verdienen 47 Prozent aller britischen Frauen, die im Musikgeschäft arbeiten, weniger als 12.500 Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Nur 35 Prozent der Männer in der Branche müssen mit so wenig Geld zurechtkommen. Die Wahrscheinlichkeit, als Frau ein eigenes Label zu besitzen oder zu leiten, liegt bei gerade mal 15 Prozent. Und die PRS, die britische GEMA, beziffert den Frauenanteil bei Kompositionen und Songtexten bei 14 Prozent.
Der Sexismus hat viele Gesichter
Bei den NME-Awards des Musikmagazins New Musical Express (NME) erhielt in diesem Jahr zwar die Band Blondie mit Frontfrau Deborah Harry den Godlike Genius Award – aber das ist erst das dritte Mal, dass überhaupt eine Band, bei der eine Frau mit von der Partie ist, damit ausgezeichnet wird. Eine Solokünstlerin bekam den Preis noch nie. Der Sexismus hat viele Gesichter. Auch deshalb warnte Sinéad O’Connor ihre junge US-Kollegin Miley Cyrus, dass es als Frau in diesem Geschäft schwierig sein kann – dass zwischen Selbstermächtigung und Selbstausbeutung nicht immer klar zu unterscheiden ist.
Jetzt haben der Verband der unabhängigen Plattenlabels Großbritanniens (AIM), die Dachorganisation UK Music, die Nordoff-Robbins-Stiftung für Musiktherapie und das Magazin Music Week einen neuen Preis ausgerufen: die Women in Music Awards. Damit sollen die 30 einflussreichsten weiblichen Persönlichkeiten der Branche ausgezeichnet werden. Sofort wurde Kritik an dem Projekt laut: Es stelle einen Rückschritt dar, würde Frauen ghettoisieren. Laura Snaps, eine der angesehensten Musikjournalistinnen in Großbritannien, sprach von einer „unnötigen und schädlichen Abgrenzung“.
Ich sehe das anders. Es ist ein alter Grabenkampf im Feminismus, und ich glaube: Wir brauchen solche Auszeichnungen speziell für Frauen. Ich begann direkt nach der Uni mit dem Musikjournalismus. Drei Jahre später war ich Pressesprecherin beim Dachverband der Branche. Mit 30 Jahren hatte ich schon zwei Frauenförderstipendien erhalten, von der britischen GEMA. Klingt alles gut? Ja! Aber genau in dieser Zeit habe ich auch die verschiedensten Formen von Sexismus erlebt: der Manager, der sagte, ich solle abnehmen; die Band, mit der ich mich ernsthaft über die Frage streiten musste, ob Frauen Schlagzeug spielen können; oder die Art, wie ältere Männer jüngere Männer protegieren, weil sie sich damit an ihre eigene Jugend erinnern.
Kann ein Musikpreis nur für Frauen etwas an diesen Strukturen ändern? Vielleicht nicht sofort. Aber die Debatte kann nachwirken. Denn eine entscheidende Frage liegt wieder einmal offen vor uns: Warum schaffen die Institutionen der Musikindustrie eine solche „weibliche“ Award-Alternative – wenn sie doch die Möglichkeit hätten, endlich die Strukturen der Branche zu ändern? In den vergangenen 40 Jahren haben sich in vielen Bereichen die Gesetze geändert – nicht aber die Kultur. Wenn eine nach Geschlechtern getrennte Preisverleihung nun wieder Zunder in die Diskussion über die Ungleichheit bringt, hat sie sich schon jetzt gelohnt.
Deborah Coughlin schreibt für den Guardian über Pop und hat das Onlinemagazin Feminist Times mitgegründet
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