Ein Troll? Dass ich nicht lache

Netiquette Drohungen und Beleidigungen im Netz haben mit Trollen nichts zu tun. Echtes Trollen ist witzig und provokant. Plädoyer für einen verkannten Zeitgenossen
Trolle sind immer auch Geschmackssache
Trolle sind immer auch Geschmackssache

Foto: Kennymatic

„Wenn ich ein Wort verwende“, sagte Humpty Dumpty zu Alice im Wunderland, „dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes.“ Die Worte, die Lewis Carroll seinem Geschöpf in den Mund legte, wurden seither allzu oft zur Maxime erklärt - ganz besonders gilt das im Fall des „Trollens“, das in den Medien mit verschiedensten Bedeutungen versehen wird.

Zu Gast in Talkshows und Kolumnen

Der Troll taucht regelmäßig in den Talkshows und Kolumnen auf – und wird dabei in der Regel als vager Sammelbegriff für so gut wie jede Form ausfälligen oder unerfreulichen Verhaltens im Internet benutzt.

Das hat Vorteile: Ein neuer Begriff klingt nach einem neuen Phänomen. Statt schon wieder die Diskussion zu führen, warum wir uns nicht einfach alle vertragen können, reden wir über das böse neue „Trollen“.

In Großbritannien fand der Begriff kürzlich im Zusammenhang mit einem besonders üblen Fall Anwendung: Ein Mann namens Frank Zimmerman wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil er Drohbotschaften an die Politikerin Charlotte Mensch geschickt hatte.

Kein Scherz

Zimmerman schrieb der konservativen Parlamentarierin, ihr drohe „Sophies Entscheidung“, womit er sich auf den gleichnamigen Roman des US-Autors William Stynton bezog, in dem eine KZ-Insassin gezwungen wird, zu entscheiden, welches ihrer beiden Kinder ihr genommen wird. Außerdem sagte er Mensch, sie werde beobachtet und solle sich von Twitter zurückziehen – oder sie müsse die Konsequenzen tragen. Ein solches Verhalten ist verachtenswert, durch nichts zu rechtfertigen und nicht im geringsten komisch. Darüber hinaus geht es weit über die Grenzen des Akzeptablen hinaus, egal wie sehr einem die Online-Persönlichkeit eines Menschen nicht passt.

Zimmerman hat nicht gescherzt, sondern jemanden bedroht. Mit „trollen“ hat das nichts zu tun.

Zwei gute Definitionen?

Trollen bedeutet im Grunde laut der Definition, die sich über die Jahre im Online-Jargon durchgesetzte hat, jemanden aufzuziehen: Es sollte witzig sein, die Zeit anderer Leute verschwenden und (irgendwie) auf irgendjemandes Kosten gehen.

Im Urban Dictionary finden sich zwei gute Definitionen.

Die erste lautet:

Trollen heißt, jemanden zu provozieren und zu zwingen, auf einen zu reagieren - entweder durch Witzeleien, das Posten unkorrekter Informationen, krass blöde Fragen oder andere Dummheiten. Trollstatements entsprechen nie der Wahrheit oder sollen auch niemals so verstanden werden. Troll-Äußerungen sollen fast immer für bestimmte Leute witzig sein, sie haben also durchaus sozialen bzw. Unterhaltungswert.

Die zweite drückt es knapper so aus:

Sich im Internet wie ein Arschloch verhalten, weil man es kann.

Das Trollen hat einen gewissen Charme: Es ist eine kindische und einigermaßen witzige Bezeichnung für ein kindisches und manchmal witziges Phänomen. Typische Beispiele wären Posts wie diese: „Wenn die Wissenschaftler so viel wissen, sollen sie doch mal erklären, was genau den Urknall ausgelöst hat“, „Woher wissen die Anthropologen so viel darüber, was vor zweitausend Jahren passiert ist, wenn sie selbst gar nicht dabei waren?“ oder „Wie kommt es, dass es im Juni draußen eiskalt ist, obwohl das mit der Klimaerwärmung alles so schlimm sein soll?“

Trollen kann eine Kunst sein

Bei den ersten beiden handelt es sich um nicht besonders lustige Beispiele von Troll-Kommentaren auf Wissenschaftsblogs, das dritte ist eine Zusammenfassung aller Kolumnen, die der britische Klimawandelsskeptiker James Delingpole in den letzten drei Jahren geschrieben hat. Sie sollen Richtigstellungen, Empörung und Reaktionen provozieren. Es ist nicht gerade rühmenswert und senkt im schlechtesten Fall das Niveau der Konversation. Bestenfalls aber kann es eine Kunst sein. Ich zum Beispiel fühlte mich beim Verfassen dieses Textes besonders durch die Etymologie des Trollens von Wissenschaftsautor Ben Goldacre herausgefordert.

Laut ursprünglicher Definition war „Trollen“ einst ein neuer Begriff für einen spezifisch im Internet ausgeübten Zeitvertreib. Indem man diesen ausweitet und auf jede Form der menschlichen Bosheit anwendet, lässt man unsere Sprache verarmen – die hat eigentlich mehr als genug Worte für derartiges Verhalten: Belästigung etwa, Beleidigung, Boshaftigkeit etc.

Flaming, Griefing und andere Beleidigungen

Auch die Netzsprache verfügt bereits über Begriffe für einige der düsteren Online-Phänomene: „Flaming“ meint das Führen eines wütenden, oftmals höchst persönlichen Wortgefechts im Netz. „Griefing“ ist das wiederholte Schikanieren einer bestimmten Person, indem man diese etwa entweder in Onlineforen beleidigt oder bei Onlinegames ständig angreift oder tötet. Darüber hinaus gibt es jede Menge weiterer Bezeichnungen. Das Online-Lexikon ist äußert reichhaltig (und nicht selten drastisch).

Für das Trollen ist es wohl zu spät. Der Begriff ist so oft missbräuchlich verwendet worden, dass er kaum noch mehr als ein weiteres inhaltsleeres Synonym ist – genau wie der Marketingsprech, der das moderne Englisch durchdrungen hat. Vielleicht ist mangelnde Bereitschaft, die Sprache und Kultur des Netzes zu verstehen aber auch ein Zeichen dafür, dass man den betreffenden Kommentator ignorieren sollte. Vielleicht kann man Leute, die das Trollen nicht verstehen, noch nie von 4chan gehört haben oder leet nicht von noob unterscheiden können, getrost ignorieren.

Vielleicht trolle ich jetzt aber auch nur ein bisschen rum. Wer weiß das schon wirklich?

James Ball arbeitet als Daten-Journalist im Recherche-Team des Guardian. Er kam via Wikileaks zum Guardian und ist der Laurence Stern Fellow der Washington Post 2012.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

James Ball | The Guardian

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