Als BP-Chef Tony Hayward im Mai erklärte, was da an Öl in den Ozean auslaufe, das sei doch nur ein Tropfen – „winzig im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Wassers“ – da wurde er von Barack Obama und der US-amerikanischen Presse an den Pranger gestellt. Doch genau genommen hatte er recht.
In den 85 Tagen, in denen das Öl nahezu ungehindert aus dem Bohrloch strömte, sollen beinahe 736 Millionen Liter Rohöl in den Golf von Mexiko geflossen sein. Das ist eine Menge, aber eben auch nicht mehr als die Amerikaner alle fünf Stunden und 10 Minuten verbrennen. Alle 24 Stunden verbrauchen sie 3360 Millionen Liter Öl, die in Autos, Flugzeugen, Küchen und Fabriken landen und die Luft, die Erde und das Meer verschmutzen.
Und so können
nd so können die USA sich ökologisch gesehen in vielerlei Hinsicht noch glücklich schätzen. Das Leck lag eine Meile tief, was dazu führte, dass ein großer Anteil des Öls im Meer verteilt wurde, und es befand sich 50 Meilen vor der Küste in warmen Gewässern. Es gab in der Vergangenheit einige Ölkatastrophen, die der Tier- und Pflanzenwelt, der Meeresumgebung und den angrenzen Landstrichen wesentlich größere Schäden zufügten, da Öl sich in kalten Gewässern wesentlich langsamer löst. Die 44 Millionen Liter Öl, die 1989 von der Exxon-Valdez vor Alaska ins Meer strömten, gefährden dort noch heute das gesamte Ökosystem. Jene Katastrophe verursachte den Tod von mindestens 36.000 Meeresvögeln. Nach Angaben der Organisation Friends of the Earth US kamen im Golf bislang 1.387 Vögel, 444 Meeresschildkröten und 53 Säugetiere um.Nichtsdestoweniger wird das Ausmaß des Schadens, das sich nun erst langsam herauskristallisiert, weit größer sein als ein paar tote Vögel und einige Teerklumpen entlang der 800 Kilometer langen Küste. Der Bestand an Delfinen, Walhaien und Meeresschildkröten wird mit großer Wahrscheinlichkeit stark betroffen sein, einige Populationen werden sich über Jahre nicht erholen. Auch die Brutgebiete von Fischen und Garnelen werden in Mitleidenschaft gezogen werden. Dasselbe gilt für Tiefwasserriffe, deren Wachstum jahrhunderte dauert.Dazu kommt, dass die ökologischen Schäden, die in den vergangenen drei Monaten entstanden sind, noch schwerer wiegen, weil der Mensch die Umwelt in der Golf-Umgebung seit langem schädigt. Viele der Sumpfgebiete und Meeresarme, die das meiste Öl abbekommen, haben unter den Eingriffen des Menschen in den natürlichen Lauf der Flüsse gelitten. Nun könnten sie noch schneller zurückgehen, falls das Öl in die Wurzeln der Gräser gelangt ist.Das ausgetretene Öl ergänzt die natürlichen Öl- und Gasausstöße in den Golfgewässern. Beides strömt andauern aus dem Meeresboden aus – die US-Energiebehörde geht davon aus, dass es allein im nördlichen Golf etwa 500.000 aktive „Sickerstellen“ gibt. Ein Forscher hat im Jahr 2000 berechnet, dass durch sie pro Jahr 336 Millionen Liter Öl in den Golf gelangen, die nie herausgefiltert werden.Der Golf ist darüber hinaus stark mit Stickstoff und Phosphor aus Düngemitteln und Gülle belastet, die von Farmen und Betrieben den Mississippi hinuntergeschwemmt werden. Alljährlich entsteht vor der Küste von Louisiana dadurch eine so genannte „tote Zone“, in der es so gut wie keinen Sauerstoff mehr gibt und kein Leben mehr gedeiht. Die Wetter- und Ozeanographiebehörde der USA (NOAA) erklärte, sie erwarte, dass die Zone in diesem Jahr zwischen 16.800 und 20.000 Quadratkilometer groß sein wird. Keiner kann bislang sagen, welchen Einfluss die Ölkatastrophe darauf haben wird. Einige Meereswissenschaftler gehen davon aus, dass das Öl die Zone vergrößern wird, andere sagen, es könnte sie vielleicht eindämmen – ein solches Szenario könnte absurderweise dazu führen, dass BP behaupten könnte, es habe einen Beitrag zur Säuberung des Golfes geleistet.Die Fischbestände haben gelitten, doch paradoxerweise könnte die Entscheidung der US-Regierung, kommerziellen Fischfang aus gesundheitlichen Gründen während der Säuberungsarbeiten zu verbieten, dazu beitragen, dass sich die ausgelaugten Fischbestände erholen. Der Golf ist eines der überfischtesten Meere der Welt, viele Spezies sind hier im Niedergang, einige Fischfanggebiete stehen kurz vor dem Aus. Da beinahe ein Drittel der Gewässer geschlossen wurde, könnte sich die Zahl vieler Spezies in dieser Zeit erholt haben. Die Ölkatastrophe wird zwar einige Fische getötet haben, aber weitaus größere Mengen werden alljährlich von den großen Fischerei-Unternehmen gefangen. Einige Fischarten, wie etwa der Rotbarsch und der Blauflossenthun, die im Golf laichen, könnten deshalb stark profitieren.Ein großes Fragezeichen stellt allerdings noch der Hurrikan dar, der vermutlich noch vor Ablauf der Saison im November durch den Golf von Mexiko rasen wird. Stürmische See könnte die Anstrengungen, das Bohrloch schlussendlich zu versiegeln und das Öl zu beseitigen, behindern. Die dazugehörigen Stürme könnten das Öl über die Barrieren schwemmen, weiter auf die Küsten und in sensible Lebensräume. Andererseits könnte der Sturm aber auch den Ölteppich auflösen, was dazu führen würde, dass das Öl schneller durch Bakterien zersetzt werden könnte.