Als das Internet vor drei Jahrzehnten geschaffen wurde richtete es sich nach den Prinzipien der Offenheit und des universellen Zugriffs. Beides aber ist inzwischen stärker bedroht als je zuvor, sagt Google-Mitgründer Sergej Brin. In einem Interview mit dem Guardian warnte Brin vor „sehr mächtigen Kräften, die sich auf allen Seiten und auf der ganzen Welt gegen das offene Internet zusammengetan haben.“ Dies beunruhige ihn: „Es ist furchteinflößend.“
Regierungen versuchten in immer stärkerem Maße, den Zugang ihrer Bürger zum Internet sowie deren Kommunikation im Netz zu kontrollieren. Hinzu komme der Aufstieg von Firmen mit „restriktiver“ Politik wie Facebook oder Apple, die strikt kontrollieren, welche Software auf ihren Plattformen veröffentlicht werden dürfe.
Der 38 Jahre alte Milliardär Brin, dessen Familie vor dem Antisemitismus in der Sowjetunion floh, gilt weithin als treibende Kraft hinter Googles teilweisem Rückzug aus China im Jahr 2010 aufgrund von Zensur und Cyberangriffen. Vor fünf Jahren noch hatte Brin gesagt, er glaube nicht, dass China oder irgendein anderes Land das Internet langfristig beschränken könne. Doch nun meldet er Zweifel an: „Ich habe gedacht, der Geist ließe sich nicht zurück in die Flasche sperren, nun scheint aber genau das mancherorts passiert zu sein.“
Die größten Sorgen bereiten ihm Bestrebungen von Ländern wie China, Saudi-Arabien und dem Iran, das Internet zu zensieren und zu beschränken. Doch auch Unternehmen wie Facebook oder Apple, die eigene Plattformen betreiben und Kontrolle über den Zugriff auf ihre User ausüben, brächten das Risiko mit sich, Innovationen zu unterdrücken. „Es gibt viel zu verlieren“, sagt Brin. „All die Informationen aus Apps zum Beispiel – diese Daten sind Webcrawlern nicht zugänglich. Darin kann man nicht suchen.“
Eingemauert im Garten
Auch Brins Facebook-Kritik dürfte Kontroversen auslösen. Immerhin wird das soziale Netzwerk Schätzungen zufolge wohl mit einer Bewertung von bis zu 100 Milliarden Dollar an die Börse gehen. Und es wächst und wächst: Die Hälfte aller Amerikaner mit Zugang zu einem Computer hat inzwischen ein Facebook-Profil, die Zahl der Gesamtnutzer beträgt weltweit mehr als 800 Millionen.
Hätte Facebook das Internet damals dominiert, hätten er und seine Partner Larry Page Google gar nicht erschaffen können, sagt Brin: „Man muss nach ihren Regeln spielen und die sind äußerst restriktiv. Die Art von Umwelt, in der wir Google gegründet haben, der Grund aus dem wir eine Suchmaschine entwickeln konnten, ist, dass das Netz damals offen war. Gibt es erst zu viele Regeln, hemmt das Innovationen.“ Brin kritisierte Facebook auch, weil der Dienst es den Nutzern schwer mache, ihre eigenen Daten in andere Dienste zu übertragen, obwohl es sich selbst seit vielen Jahren etwa bei den Gmail-Kontaktdaten bediene.
Von den Versuchen Hollywoods, Gesetze zur Schließung von Pirateriewebseiten durchzudrücken, bis hin zu Plänen der britischen Regierung, die Webnutzung und den Gebrauch sozialer Medien ihrer Bürger zu überwachen, wird das Ethos der Offenheit, das die Pioniere des World Wide Web hochhielten, an zahlreichen Fronten bedroht. In China, wo inzwischen mehr Leute das Internet nutzen als in irgendeinem anderen Land, hat die Regierung kürzlich neue Regeln zur Offenlegung der „realen Identität“ eingeführt, um die blühende Microbloggingszene einzudämmen. In Russland fordern mächtige Stimmen, in der Blogosphere durchzugreifen, da diese eine Welle von Anti-Putin-Protesten hervorgebracht habe. Der Iran plant Berichten zufolge für diesen Sommer die Einführung eines abgeriegelten „nationalen Internet“.
Ricken Patel, Mitbegründer des 14-Millionen-Mitglieder starken Onlineaktivismus-Netzwerks Avaaz, das unter anderem syrische Aktivisten mit Ausrüstung versorgt und ausgebildet hat, stimmt Brin zu: „Die Freiheit des Webs wird massiv angegriffen. Die Regierungen erkennen, wie mächtig dieses Medium bei der Organisation von Menschen ist. Weltweit wird versucht durchzugreifen, nicht nur in China oder Nordkorea. In den USA, in Italien – überall werden entsprechende Gesetze erlassen.“
Es funktioniert einfach
Heute schrieb der chinesische Künstler und Aktivist Ai Weiwei, ebenfalls im Guardian, die Versuche der chinesischen Regierung, sich des Internets zu ermächtigen, seien letztlich zum Scheitern verurteilt: „Langfristig müssen sie einsehen, dass sie das Internet nur kontrollieren können, indem sie es abschalten – mit den Konsequenzen daraus könnten sie aber nicht leben.“
Angesichts gestiegener Bedenken hinsichtlich der Militarisierung des Internet und den – von Beijing zurückgewiesenen – Anschuldigungen, China habe mehrfach Cyberattacken auf militärische und wirtschaftliche Ziele in den USA ausgeführt, sagte er, für Regierungen sei die Verteidigung ihres ihr Online-“Territoriums“ immens schwierig: „Vergleicht man das Internet mit der physischen Welt, gibt es zwischen den Ländern tatsächlich keine Mauern. Wenn Kanada Panzer in die USA schicken wollte, könnte es durch nichts daran gehindert werden. Genauso ist es im Internet. Versuche, es kontrollieren zu wollen, sind aussichtslos.“
Die härtesten Worte sparte Wei Wei sich indes für die Unterhaltungsindustrie auf. Die schieße sich mit ihrem Einsatz für die Schaffung gesetzlicher Vorraussetzungen zum Sperren von Seiten, die Raubkopien anböten, „in den Fuß oder in noch schlimmere Stellen als den Fuß“.
Wären die von der Film- und Musikindustrie befürworteten Sopa- und Pipa-Gesetzesentwürfe angenommen worden, schreibt er weiter, hätten die USA sich die gleichen Technologien und Herangehensweisen zunutze gemacht, für deren Gebrauch man China und den Iran kritisiere. Außerdem verstünde die Branche nicht, dass die Leute weiter Raubkopien herunterladen würden, solange dies einfacher sei, als sich das Material auf legalem Wege zu beschaffen. „Ich habe es zwar schon lange nicht mehr versucht, aber wenn man auf eine Piratenseite geht, kann man sich dort einfach etwas aussuchen. Es wird auf das gewählte Laufwerk heruntergeladen und funktioniert einfach. Dagegen muss man (um legale Inhalte zu erwerben), alle möglichen Hürden überwinden. Die errichteten Mauern halten die Leute vom Kauf ab.“
Brin seinerseits erkannte die Bedenken vieler Menschen, die sich darüber sorgen, dass ihre persönlichen Daten auf Google-Servern sich in der Reichweite der US-Behörden befinden. Immer wieder würde die Firma gezwungen, Daten herauszugeben, räumte er ein. Manchmal sei es Google dann sogar aus rechtlichen Gründen untersagt, die betroffenen Nutzer zu informieren.
„Wir können eine Menge abwehren und viele Anfragen abweisen“, führte er aus. „Zum Schutz der Daten tun wir alles in unserer Machtstehende. Es wäre toll, wir einen Zauberstab schwingen und bewirken könnten, dass wir nicht mehr dem US-Gesetz unterliegen. Es wäre toll, wenn wir einer magischen Rechtsprechung unterliegen würden, der alle Welt traut. Wir tun, was wir können.“
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