Geopolitik Mauretanien, Mali, Niger: In vielen Ländern nehmen die Konflikte zu. Die EU will jetzt mit öffentlichen Geldern die Ausbildung fremder Armeen finanzieren und deren Waffenarsenale auffüllen. Es sei an der Zeit für eine Dosis „Hard Power“
Bald noch mehr davon? Österreichische Ausbilder 2018 in Burkina Faso
Foto: Issouf Sanogo/AFP/Getty Images
Die EU erhielt 2012 den Friedensnobelpreis, sie habe in Europa „sechs Jahrzehnte lang Frieden und Versöhnung gefördert“, so die Begründung. In seiner Dankesrede in Oslo versprach der damalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die Welt könne „darauf zählen, dass wir uns dem anhaltenden Kampf für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit widmen“. Weniger als ein Jahrzehnt später setzt die EU zu zwei großen Schritten an, um ihre Militärkapazitäten aufzustocken und die Streitkräfte von Ländern außerhalb der Union auszubilden sowie auszurüsten. Wegen der Pandemie blieb diese Tendenz lange Zeit unbeachtet, umso mehr muss jetzt von den sicherheitspolitischen Konsequenzen her von einer Zä
28;sur gesprochen werden.Im Dezember 2020 einigte man sich auf einen Europäischen Verteidigungsfonds (EDF), der acht Milliarden Euro für neue Waffenbestände und die Entwicklung militärischer Technologien für Armeen in und außerhalb der EU bereitstellt. Zudem wurde im März 2021 mit der Europäischen Friedensfazilität (EFF) ein außerbudgetärer Fonds beschlossen, ein Schattenhaushalt zum EU-Etat. Damit sollen Ausbildungsmissionen und Waffenarsenale für nicht- europäische Armeen weltweit finanziert werden. Frankreich, Deutschland, die EU-Kommission und eine Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament drängten darauf, über diese Instrumente verfügen zu können. Es gelte, auf mehr internationale Macht der EU zu setzen, so der Tenor. Zur Begründung wurde auf die Konflikte im Nahen Osten, in der Sahelzone und der Ukraine verwiesen, ebenso auf den isolationistischen Kurs, den die USA unter Donald Trump eingeschlagen hätten.Eine starke Dosis „Hard Power“ werde gebraucht. Zudem sei es ineffizient, wenn 27 nationale Armeen eigene Waffensysteme unterhielten. Von den bewilligten Forschungs- und Entwicklungsgeldern soll die europäische Rüstungsindustrie profitieren und mehr Waffen jenseits der EU absetzen. „Die Herausforderungen werden vielfältiger, besonders in Gebieten, bei denen die Amerikaner zu den Europäern sagen: Hey! Kümmert euch darum“, so der konservative deutsche EU-Abgeordnete Michael Gahler aus dem Unterkomitee für Sicherheit und Verteidigung des Parlaments. Laut Gahler sei Russlands Annexion der Krim 2014 ein Anstoß für eine stärker militarisierte EU gewesen: „Denken Sie nicht an Trump, sondern an Putin.“Ein lautstarkes Netzwerk von Friedensaktivisten und kritischen Europaparlamentariern wirft der EU vor, sie verrate Gründungsprinzipien und gebe dem Drängen von Lobbyisten der Waffenindustrie nach. „Erstmals in der EU-Geschichte haben wir Haushaltsposten mit militärischen Komponenten“, beklagt die deutsche Abgeordnete Özlem Demirel, stellvertretende Sprecherin des Unterkomitees für Sicherheit und Verteidigung. Ein für die EU-Parlamentarier erstelltes Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, der Europäische Verteidigungsfonds sei eine „offensichtliche Verletzung“ der EWG-Gründungsverträge von einst. In denen war ausgeschlossen, dass ein europäischer Haushalt für „Operationen, die militärischer Natur sind oder der Verteidigung dienen“ genutzt wird.Eine EU-Militärforschung begann 2014, als das Parlament für ein Pilotprojekt 1,4 Millionen Euro genehmigte. Gahler war einer der Wegbereiter. „Wir dachten, okay, fangen wir mit den Haushaltsinstrumenten an, die wir haben“, erinnert er sich. Das ebnete den Weg für diverse Experimente, sodass die EU zwischen 2017 und 2020 mehr als 500 Millionen Euro für die Militärforschung ausgab, darunter Investitionen für eine künstliche Intelligenz (KI), für Energiewaffen sowie eine Abwehr von Cyber-Angriffen in Echtzeit. Heute listet die EU-Kommission Vorhaben auf, die als Teil des Verteidigungsfonds finanziert werden. Sie dienen der Drohnen-Technologie, der Fähigkeit zu bodengestützten Präzisionsschlägen wie einer neuen Generation von Boden-, Luft- und Seekampfplattformen. Man wolle langfristig sicherstellen, dass diese Technologien in der EU entstehen, meint ein Kommissionssprecher. Nur so könne man „strategisch autonom sein und ohne Abhängigkeit von anderen agieren“, zugunsten der Bürger Europas.Rechtlich eine GrauzoneLaut Berenice Boutin, die am Asser Instituut in Den Haag zu Militäroperationen, internationalem Recht und künstlicher Intelligenz (KI) forscht, bergen diese Pläne signifikante Risiken. „Die Einsatzmöglichkeiten für KI beim Militär sind größer als die von Waffensystemen“, ist Boutin überzeugt. Besorgniserregend sei die Nutzung von KI für Systeme, mit denen Entscheidungen unterstützt würden. „Beispielsweise, wenn Software dabei berät, wann, wo und wie Truppen bewegt oder Raketen abgefeuert werden sollen. Es kann dazu führen, dass Entscheidungen sehr stark von Algorithmen abhängen. Sind sie dann noch kontrollierbar?“, fragt Boutin. Zwar habe die EU-Kommission kürzlich die KI-Nutzung reguliert, aber ein militärisch gefärbter Umgang sei unberücksichtigt geblieben.Der EDF wurde nach dem Vorbild langjähriger ziviler Forschungsprogramme der EU entworfen und erhielt das Label „Horizont Europa“. Unterstützt werden Technologien für autonome Überwachungssysteme, Instrumente zur Datenauswertung der Polizei und Drohneneinsätze zur Grenzkontrolle. Ethiker und Datenschützer sind besorgt über die mangelnde Überwachung der von „Horizont Europa“ finanzierten Projekte. „Die Kommission weiß, dass sie in einer Grauzone agiert. Schon weil es nicht einfach ist, Militärmaßnahmen im Haushalt unterzubringen“, so Özlem Demirel. „Dabei geht es nicht nur um asymmetrische Konflikte zwischen ungleichen Parteien, sondern ebenso um hochkarätige Konflikte zwischen Wirtschafts- und Militärmächten von Rang. Und das ist gefährlich.“Trotz ihres Namens wird es die Europäische Friedensfazilität, die bis 2028 über fünf Milliarden Euro verfügt, der EU ermöglichen, militärische Ausrüstung, inklusive tödlicher Waffen, an nicht europäische Armeen zu liefern. Das soll mehr Bewegungsfreiheit besonders in Afrika eröffnen, sofern die Waffentransfers direkt an nationale Regierungen gehen. Bisher musste dazu die Afrikanische Union wenigstens kontaktiert werden. Es bedarf keiner Prophetie, um anzunehmen, dass eine solche Praxis zu mehr Menschenrechtsverletzungen führt, nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Suche nach politischen Lösungen etwa in der Sahelzone beiträgt. Und genau das ist der Raum, in dem die Friedensfazilität sehr wahrscheinlich zum Tragen kommt: in Mauretanien, Niger, Burkina Faso, Mali, dem Tschad. Hier ist das strategische Interesse der EU übermächtig, die Migration nach Europa einzudämmen. Schon bisher haben seit dem Aufstand gegen die malische Regierung 2011 die Antiterroreinsätze in diesem Gebiet von Jahr zu Jahr zugenommen. EU-Instrukteure bilden nicht nur Armee, Polizei und Grenztruppen in Mali aus, auch Nachbarn wie Burkina Faso und Niger sind erfasst.Trotz der Präsenz ausländischer Truppen und einer UN-Friedensmission hat die Gewalt in Mali, Niger und Burkina Faso zuletzt erheblich zugenommen, aber anstatt ihre Strategie zu überdenken, gibt es Anzeichen dafür, dass die EU ihre militärischen Optionen beibehält. Diese Art des Eingreifens ist mit hohen humanitären Kosten verbunden. Laut Human Rights Watch haben von der EU unterstützte Antiterroreinsätze der Regierungen Malis, Nigers und Burkina Fasos seit 2019 zu ƒmehr als 600 unrechtmäßigen Tötungen geführt. Es gibt begründete Furcht, dass die Ambitionen der EU, ausländische Streitkräfte hochzurüsten, diese Zahlen steigen lassen. Ein mit der Friedensfazilität (EFF) betrauter EU-Beamter, der anonym bleiben will, versichert, man werde genügend Sicherheitsvorkehrungen treffen, u. a. die Wege nachverfolgen, die militärisches Equipment nimmt. „Wenn wir Rüstungsgüter bereitstellen, dann wird das unweigerlich an Bedingungen gebunden sein.“ Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Waffen ihren eigenen Weg nehmen, wenn sie erst einmal in Umlauf sind. Frank Slijper von der niederländischen NGO Pax befürchtet, die EFF wolle bei Konflikten militärische Antworten geben, die nicht unbedingt notwendig seien. Wer Waffen in instabile Staaten schicke, löse in der Regel Menschenrechtsprobleme aus. Er sei daher überzeugt, die Risiken, dass Unbeteiligte zu Schaden kämen, würden durch diese Art von Intervention stetig erhöht.Placeholder authorbio-1
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