Man kann diejenigen, die die Landschaft des modernen Tanz verändert haben, an einer Hand abzählen – Pina Bausch war eine von ihnen. Obwohl sie nie einen Stil schuf, der im Klassenraum gelehrt werden konnte, wie Martha Graham oder Merce Cunningham es taten, war ihr Einfluss weitreichend und tiefgreifend. An dieser Stelle die vielen in der Schuld der einzigartigen Bausch’schen Form des Tanztheaters stehenden Arbeiten aufzuzählen, die sich anheischig machten, dessen surreale Reisen in die Erinnerung, zu Lust und Schmerz zu imitieren, wäre unmöglich. Selbst wer ihre Produktionen hasste, vergaß sie doch nie.
Bausch glaubte leidenschaftlich an die Choreografie, doch in ihren Arbeiten ging es nicht vorrangig um den Tanz. Sie webte ihr Material aus Bewegungen, Sprache, der Bildwelt des Theaters und Musik. Oft stand dabei nicht mehr als ein Gefühl am Anfang. Sie arbeitete eng mit ihren Tänzern zusammen, schöpfte aus deren eigenen Fantasien und Erfahrungen. Für ihre dunkelsten Arbeiten warf die New Yorker Kritikerin Arlene Croce ihr vor, in einer „Pornografie des Schmerzes“ zu schwelgen. Nicht nur enthielten ihre Produktionen brutal explizite Bekenntnisse, bei denen die Tänzer schockierende Enthüllungen von Elend, Hass oder Verlangen herausspuckten, teils waren die Choreografien auch von solcher Wut und so gefährlich, dass sie Tanzenden beinahe buchstäblich das eigene Leben zu riskieren schienen.
Viele Choreografen ahmten diese Herangehensweise nach, nur wenige schafften es, daran heranzukommen. Von dem Stück Frühlingsopfer, bei dem der Boden der Bühne mit dunklem Torf bedeckt war, bis hin zu Nelken, wo die namensstiftenden Blumen ihn überzogen, verbanden die von Bausch und ihren künstlerischen Mitarbeitern geschaffenen Welten Schrecken, Schönheit, Fremdheit und sogar derben Humor.
Ergebene Gefolgschaft
In Viktor rahmten sechs Meter hohe Schlammmauern die Tänzer ein, die so an einen untergegangenen Volksstamm erinnerten, den eine archäologische Grabung freigelegt hatte. Die monumentale Magie der Bausch’schen Produktionen war es, die ihr eine ergebene Gefolgschaft gewann und diese inspirierte. Bühnenregisseure wie David Alden zählten ebenso dazu, aber auch Filmregisseure wie Frederico Fellini und Pedro Almodovar.
Als Bausch und ihre Company 1984 zum ersten Mal in London auftraten, meinte das Publikum noch nie etwas Vergleichbares zu Augen bekommen zu haben (manch einer wünschte sogar, es gar gar nicht erst gesehen zu haben. Jeden Abend verließen mehr als die Hälfte der Zuschauer den Saal). Doch Bausch erreichte Kultstatus. Ihre Fans reisten ihren Lieblingsproduktionen rund um den Globus nach. Tänzer standen Schlange um für ihre Company vorzutanzen. Auch wenn Bauschs jüngsten Produktionen die kompromisslose Vision ihrer größten Arbeiten fehlte, vermochten sie die Zuschauer doch immer zum Staunen zu bringen und in ihren Bann zu ziehen.
Für die Tanzwelt ist die Nachricht von Bauschs zu frühem Tod furchtbar betrüblich. Darüber hinaus ist sie auch eine ziemliche Herausforderung. Zwar sind viele ihrer Produktionen auf Band festgehalten worden, doch ist das filmische nicht mit dem Live-Erlebnis zu vergleichen. Bauschs Kollegen und Tänzer stehen nun vor der dringlichen Aufgabe, dafür zu sorgen, dass zumindest einige davon auch für die Bühne überleben.
Eine ausführliche biografische Würdigung Pina Bauschs durch den Guardian finden Sie hier.
Außerdem: Filmregisseur Wim Wenders hat einen Nachruf in Form eines Gedichts geschrieben.
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