Die Wahl der 165 Parlamentarier in die venezolanische Nationalversammlung ist wichtig, wird aber wohl trotz des erstaunlich guten Abschneidens der Opposition kaum größere Veränderungen mit sich bringen. Auf das regierungsfreundliche Bündnis der Vereinten Sozialisten entfallen mindestens 95 der 165 Sitze, mindestens 61 gehen an die bürgerliche Opposition „Tisch der demokratischen Einheit“, fünf an andere Parteien, die restlichen vier stehen noch nicht fest. Die Opposition behauptet, sie habe die Mehrheit der direkten Wählerstimmen auf sich vereinigen können, doch offensichtlich war hier die Entscheidung zwischen den beiden großen Partien sehr knapp.
Das Ergebnis als „großen Schlag“ gegen Chávez zu interpretieren, wie dies in Teilen der internationalen Presse geschah, ist stark übertrieben. Die Wahl galt weithin als Abstimmung über Chávez’ Politik und es wäre in einer parlamentarischen Demokratie recht ungewöhnlich, wenn die Regierung kurz nach einer schweren Rezession nicht an Zustimmung einbüßen würde. Chávez Popularität war schon immer ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Situation des Landes: Während der Rezession 2002/3 befand sie sich auf dem Tiefpunkt. Da spielte es auch keine Rolle, dass der Ölstreik der Opposition für die Situation verantwortlich war. Seine persönlichen Zustimmungswerte sind von 60 Prozent Anfang 2009 auf 46 Prozent im vergangenen Monat gefallen.
Weniger Staat als Frankreich
Zum Vergleich: Die Zustimmungsraten für Präsident Obama sind von 68 Prozent im vergangenen April auf 45 Prozent in diesem Monat zurückgegangen und seine Partei wird bei den Kongresswahlen voraussichtlich große Verluste hinnehmen müssen. Und das, obwohl er die wirtschaftlichen Probleme eindeutig von seinem Vorgänger übernommen hat. Warum sollte Venezuela also eine Ausnahme machen? Die Opposition verfügt über den Großteil des Reichtums des Landes und kontrolliert weite Teile der Medien. Sie hat also keine Schwierigkeiten, ihre Botschaft unters Volk zu bringen.
Viel Aufhebens wurde auch darum gemacht, dass die Opposition mehr als ein Drittel der Sitze in der Nationalversammlung errungen hat und somit alle Gesetze zur „Vertiefung“ von Chávez bolivarianischer Revolution blockieren könnte, aber auch dies wird stark überbewertet. In Wirklichkeit dürfte es wohl keinen großen Unterscheid machen. Die Geschwindigkeit, mit der in der Vergangenheit Reformen verabschiedert wurde, wurde mehr durch die begrenzten Möglichkeiten im Verwaltungsapparat gebremst denn durch die Politik. Die Financial Times hat vor kurzem den Wert der von Chávez verstaatlichten Industrien zusammengezählt. Das Öl nicht mitgezählt, kam das Blatt für den Zeitraum der vergangenen fünf Jahre gerade einmal auf acht Prozent des BIP. Venezuela hat folglich noch einen weiten Weg vor sich, bevor dem Staat eine so große Rolle in der Wirtschaft des Landes zukommt wie beispielsweise in Frankreich.
Was die positiven Aspekte der Wahl angeht, so besteht das Interessanteste darin, dass die Opposition sich an ihr beteiligte, die Ergebnisse akzeptierte und nun mit einer eigenen Fraktion im Parlament am demokratischen Prozess teilhaben kann. Dies dürfte sich als Glück für die venezolanische Demokratie erweisen, nachdem sie mehr als ein Jahrzehnt durch die undemokratische Arbeit der Opposition geschwächt wurde. Oppositionsführer Teodoro Petkoff hatte selbst zugegeben, dass die Opposition während der ersten vier Jahre der Regierung Chávez die Strategie einer „militärischen Machtübernahme“ verfolgte, einen Putsch versuchte und einen „Öl-Streik“ anzettelte, der die Wirtschaft des Landes enorm schwächte. 2004 versuchten Chávez Gegner, ihn mithilfe eines Referendums loszuwerden, scheiterten damit und weigerten sich im Anschluss, das Ergebnis zu akzeptieren, obwohl internationale Beobachter des Carter Centers oder der Organisation of American States seine Rechtmäßigkeit bestätigten
Dann boykottierten sie 2005 die Wahlen, um die Regierung als Diktatur hinstellen zu können und blieben in Folge ohne parlamentarische Repräsentation. Die nun in die Nationalversammlung gewählte Fraktion könnte der Opposition echte politische Teilhabe ermöglichen. Für ein Land, das so lange gespalten war, wäre dies ein wirklicher Fortschritt.
Mark Weisbrot ist einer der Direktoren des Centre for Economic and Policy Research in Washington, D.C. und Co-Autor von Oliver Stones Lateinamerika-Dokumentation South of the Border.
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