Eine Trophäe – oder mehr?

Skype Microsoft hat für 8,5 Milliarden Dollar den Internet-Telefonie-Dienst Skype gekauft. Aber warum? Es gibt für Microsoft viele Nach- und wenige Vorteile. Eine Aufstellung

Was wird Microsoft für die für Skype bezahlten 8,5 Milliarden Dollar bekommen? Meine Prognose lautet: Das Unternehmen wird in ein paar Jahren 8,5 Milliarden weniger auf dem Konto haben, dazu einen internen Streit über die Integration des Dienstes zwischen dem Bereich, der sich um "Microsoft Office" kümmert, und dem Bereich "Online Services" bewältigen müssen, und wird dazu wenig – wenn überhaupt – Gegenliebe von den Kunden erwarten können. Ebenso wenig wie einen nennenswerten Effekt auf die Einnahmen.

Richtig gelesen: Microsoft-CEO Steve Ballmer hätte das Geld in der Pfeife rauchen können, das hätte auf die Aktienkurse des Unternehmens, die sich kaum verändert haben, seit er vor elf Jahren seinen Job antrat, den selben Effekt gehabt. Tatsächlich lässt der derzeitige Aktienkurs annehmen, dass das Unternehmen derzeit als ganzes weniger wert ist, als wenn es aufgeteilt würde.

Worum geht es also bei dem Skype-Kauf für Microsoft? Vergessen Sie das Gerede von Synergien, das von Ballmer und Skypes neuem Chief Executive, dem Ex-Ciscoer John Bates, zu hören sein wird. Wirklich geht es um das von Ballmer verfolgte langfristige Ziel, Microsoft bei den Nutzern wieder zu einer Topmarke zu machen – das war man zuletzt im August 1995, als "Windows 95" herauskam.

Das Problem ist, dass es sich bei Skype um eine der großen Internet-Ideen handelt, die sich keineswegs auf so vielfältige Art integrieren lassen, wie man vielleicht denken würde. Teilweise liegt das daran, dass Skype für die Internet-Telefonie eigene Protokolle verwendet (deshalb ist es nicht in andere Voice-over-IP-Dienste integrierbar). Darüber hinaus ist das gute alte Telefonieren eine der Technologien, die – auch wenn alle unsere analogen Gespräche digitalisiert werden – so tief in unserer Kultur verwurzelt sind, dass sie nicht einfach verschwinden werden. Schönes Beispiel: Als ich bei Skype anrufen wollte, um einen Kommentar zu den Übernahmegerüchten zu kriegen, habe ich nicht nach einem Skypenamen, sondern nach einer Telefonnummer gesucht.

Die Vor- und Nachteile des Deals

Die Nachteile:

1 Die Mobilfunkanbieter werden sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass Skype (oder überhaupt irgendein Internettelefonie-Dienst, besonders aber Skype, wie ich noch erklären werde) sich in ihren Netzen breitmacht. Skype macht jeden Computer (oder jedes Internettelefon) zu einem „Peer“, zu einem Bestandteil eines Netzwerkes von Geräten, die mit Peer-to-Peer-Software laufen. Einige davon werden zu „Superpeers“, das heißt, sie transportieren Daten für viele Geräte. Lässt man Skype auf seinem Computer laufen, ohne es zu benutzen, macht es den Apparat oft zu einem solchen Superpeer, was zu Lasten von Datenübertragungsrate und des Prozessors geht.

Für Mobilfunkanbieter ist es nicht neu, dass Leute eine Menge Daten und Bandbreite aufbrauchen, nur indem sie ein App laufen lassen – es wäre ihnen aber wahrscheinlich lieber, Microsoft würde da nicht auch noch mitmachen. Und die Tatsache, dass Microsofts Windows-Phone das Betriebssystem für Nokia, den weltweit größten Hersteller von Handys (der Verbreitung, wenn auch nicht mehr dem Gewinn nach) werden wird, wird einige Anbieter ganz schön nervös gemacht haben.

2 Es wird Microsoft sehr schwer fallen, Geld mit Skype zu machen. Ich habe in letzter Zeit für die Recherchen an einem Buch sehr viele Telefonate führen müssen – viele davon auch nach Übersee. Vor zehn Jahren hätte das teure Ferngespräche bedeutet. Heute telefoniere ich einfach umsonst mit Skype. Für Ortsgespräche hingegen ist es günstiger, Freiminuten aus dem Handyvertrag aufzubrauchen oder gleich über Festnetz anzurufen – das ist einfach viel unkomplizierter. Es ist nämlich gar nicht so leicht, bei Skype denjenigen zu finden, den man anrufen will: Ist zum Beispiel austidoodle96 wirklich Barack Obama aus Washington, DC, wie es in seinem Profil angegeben ist? Oder ist er nur einer von hundert Kontakten im Skype-Adressbuch, die diesen Namen tragen?

Skypes eigene Zahlen bestätigen diese Annahme: Der Dienst hat 663 Millionen registrierte Nutzer und im letzten Jahr 860 Millionen Dollar eingefahren (das sind im Jahr 1,30 Dollar bzw. im Monat 11 Cent pro Nutzer). Die Verluste betrugen sieben Millionen Dollar. Geldmäßig ist mit Skype nicht viel zu holen, weil die Peer-to-Peer-Struktur des Dienstes das schlichtweg nicht zulässt. Skype macht sein Geld mit zentralisierten Add-on-Diensten – ausgehenden Anrufen in Fest- und Mobilfunknetze, „Festnetz“-Nummern und Voicemail. Nichts davon ist wesentlich.

3 Ballmer wird Mühe haben, Skype in die anderen Microsoftangebote zu integrieren. In Gesprächen mit Microsoft-Mitarbeitern entsteht das Bild einer Firma, bei der die Bereiche, die den Löwenanteil des Profits erbringen – also "Windows" und "Office" –, ihre eigene Agenda setzen. Etwas gegen die Vorstellungen des "Office"-Teams durchzusetzen, ist wie eine Panzerschlacht zu kämpfen: Man ist seinem Gegner besser um eine Division überlegen. Bei Microsoft hatte man lange vor dem Apple-iPad die Idee zu einem Tablet, die war aber im Grunde gestorben, als der Leiter der "Office"-Abteilung keinen Gefallen daran fand. 2005/06 machte die "Office"-Abteilung dem von den Microsoft-"Online Services" (die damals an dem arbeiteten, was später die Microsoft-Suchmaschine "Bing" werden sollte) eingebrachten Vorschlag den Gar aus, eine Internetsuche in "Office" zu integrieren.

In der "Office"-Abteilung gibt es gegenwärtig ein Internet-Telefonie-System namens Lync. Einige Analysten gehen davon aus, dass Skype (das mit großer Wahrscheinlichkeit den "Online-Services" zugeordnet wird) in zukünftige "Office"-Versionen integriert werden wird. Die Geschichte legt nahe, dass dies nicht geschieht. Ich setze auf die Geschichte.

4 Strategisch ist der Kauf Unsinn (unter einer Bedingung, mit der ich mich weiter unten auseinandersetzen werde): Wenn man sich Google ansieht, wird einem klar, dass das Unternehmen davon profitiert, wenn mehr Leute länger das Internet nutzen, da es die Internetsuche und die Online-Werbung dominiert. Daher die mutigen Schritte, Karten und enorme Speicherkapazitäten für E-Mails frei verfügbar zu machen und das Betriebssystem für Internet-fähige Smartphones freizugeben. Dies alles zielte auf die Ausräumung von Preisbarrieren, um so viele Leute wie möglich ins Netz zu kriegen.

Wenn man sich den Skype-Deal von Microsoft ansieht, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass man Mobilfunkbetreiber aus dem Markt drängen will. Mit diesen hat Microsoft eigentlich keinen Streit – vielmehr braucht man sie für den neuen Mobilfunkpartner Nokia (der seine Handys ab Oktober mit Windows Phone OS herausbringen wird).

Vielleicht richtet sich der Kauf aber auch gegen Telefongesellschaften, die Dienstleistungen an Unternehmen verkaufen, und verfolgt den Zweck, Skype zur Standard-Telefoniermethode zu machen. Das wäre keine gute Strategie. Man kann seine Konkurrenz zur Strecke bringen, indem man ihr Geschäftsmodell untergräbt, nicht aber Partner oder Unternehmen, mit denen man bis dahin eigentlich keinen Streit hatte.

5 Microsoft verfügt bereits über ein recht gutes IP-Telefonie-Angebot, genau genommen sogar über zwei: Microsoft Messenger (MSN) mit 260 Millionen Accounts und Xbox Live (XBL) mit 30 Millionen Accounts. Diese zwei sollen nie eins werden. Nehmen Sie nun die 660 Millionen Skype-User hinzu. Stellen Sie sich mal vor, Sie seien mit der Aufgabe betraut, alle diese Kunden in einer großen Datenbank zusammenzufügen, jeden mit einer eigenen ID, die auf die jeweiligen MSN-, XBL- und Skype-IDs verweist – und zwar ohne Dopplungen und ohne versehentlich etwas zu löschen. Da legen Sie sich besser gleich in einem abgedunkelten Zimmer mit einer kalten Kompresse ins Bett.

6 Alle, mit denen ich gesprochen habe, und alles, was ich gelesen habe, lässt darauf schließen, dass Ballmer von der Idee getrieben wird, Microsoft wieder zu der Marke zu machen, die es zu Zeiten von "Windows 95" einmal war. (Können Sie sich erinnern?) Deshalb hat er sich hinter Windows Phone, Xbox, Kinect und jetzt die "coole" Marke Skype gestellt. Ballmer weiß, dass die beiden Microsoft-Monopole, "Windows" und "Office", sich nicht ewig halten werden, und deshalb neue Schwerpunkte notwendig sind. Skype ist eine Marke. Wenn Microsoft dort zu viel Geld herausholen will, wird ein anderer Emporkömmling den Platz von Skype einnehmen. Skype ist ein Spatz in der Hand, den man nicht erdrücken darf, sonst stirbt er.

7 Skypes Peer-to-peer-System macht es von Natur aus unzuverlässig. Wenn Superpeers ausfallen, reißen sie schnell das ganze Netzwerk mit sich – wie vergangenen Dezember geschehen, als ein Ausfall entstand, den aufgrund eines winzigen Bugs nicht einmal Skpye beheben konnte, weil die Ursache bei Computern lag, die man nicht kontrollieren konnte.
Microsoft sollte sich vielleicht besser überlegen, welche Folgen es haben kann, eine Marke zu übernehmen, für deren Leistung man nicht garantieren kann.

Die (möglichen) Vorteile

1 Es ist möglich, dass Ballmer und sein Team unglaublich weitsichtig waren. (Es sind schlaue Leute – nicht ganz so schlau wie die Führungsriege von Google oder Apple, aber nah dran.) Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Die Verbreitung von internetfähigen Smartphones nimmt rapide zu, schon im ersten Quartal dieses Jahres machen sie 47 Prozent der Verkäufe in Westeuropa aus.

Wenn das so weiter geht, laufen wir in ein paar Jahren alle mit an Daten-Netzwerke angeschlossenen Computern durch die Gegend. Computer? Das würde bedeuten, dass wir umsonst übers Internet telefonieren könnten, statt über den Netzanbieter teuer dafür zu bezahlen. Noch besser: Man könnte ein anderes Mobiltelefon anrufen (denn auch dies wird ein Computer sein), und auch das wäre völlig kostenfrei. Keine Roaming-Gebühren, keine Kosten! Der ultimative Traum derer, die meinen, alles müsste kostenlos sein. Microsoft aber wird Geld damit machen.

Wenn ich wüsste, dass die Idee, Skype zu kaufen, von Bill Gates stammt, dann würde ich der Vision trauen, denn der ist besonders gut darin, langfristige technologische Entwicklungen einzuschätzen. Aber Ballmer? Ein cleverer Typ, aber kein großer Technologie-Prophet – und so einer geht Microsoft seit ein paar Jahren ab.

2 Für viele kleine Unternehmen, die Skype vor allem für Auslandsgespräche nutzen, könnte ein in "Office" integriertes Skype fatale Folgen haben. Wenn aber die Telefonkartelle zu kämpfen beginnen und ihre Preise herabsetzen, worin liegt dann der Vorteil?

Fazit

Alles in allem? Der Kauf ist ein gewagter Schritt. Aber es ist vorteilhafter, Skype zu nutzen, als es zu besitzen. Es hat sich gezeigt, dass es bislang noch niemand geschafft hat, aus Peer-to-Peer-Diensten Profit zu schlagen. Der erste Versuch war Napster (das riesige Gewinne hätte erzielen können, wenn die Plattenfirmen es zugelassen hätten). Der nächste war die von Skype-Gründer Niklas Zennström ins Leben gerufene Musiktauschbörse KaZaA – sie wurde von einer Flut von Klagen weggespült (Zennstorm hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seine Anteile verkauft.) Und schließlich der P2P TV-Service Joost – ebenfalls Zennstroms Werk –, der inzwischen auch wieder in der Versenkung verschwunden ist.

Was ist Skype nun also? Eine Trophäe. Aber Microsoft täte gut daran, nicht zu glauben, man habe das Spiel bereits gewonnen, weil man diese in den Händen hält. Am interessanten wird sein, wie Google reagiert: Mit "Google Talk" hat es seinen eigenen IP-Telefonie-Dienst, und wir werden in den kommenden Tagen erfahren, ob man in der Google-Zentrale den Skype-Kauf für eine gute Idee hält. Die Zahlen sprechen jedenfalls dafür, dass Steve Ballmer zwar für Schlagzeilen gesorgt hat, dass sich der Kauf aber nicht positiv auf den Wert der Microsoft-Aktien niederschlagen wird. Und sollte er nicht darin das Geld seiner Anteilseigner investieren?

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Übersetzung: Zilla Hofman/ Holger Hutt
Geschrieben von

Charles Arthur | The Guardian

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