Es war ein unvergesslicher Tag für mich, als ich mich wie Hunderttausende Ägypter im ganzen Land den Demonstranten in Kairo anschloss, die Freiheit verlangten und sich mutig der fürchterlichen Gewalt der Polizei entgegenstellten. Das Regime hat einen eineinhalb Millionen Soldaten starken Sicherheitsapparat und gibt Millionen dafür aus, diesen für eine Aufgabe auszubilden: Die Ägypter zu unterjochen. Ich fand mich inmitten Tausender junger Menschen, deren einzige Gemeinsamkeit in ihrer beeindruckenden Entschlossenheit bestand, das Regime zu stürzen. Die meisten von ihnen sind Studenten, die ohne Hoffnung in die Zukunft blicken. Sie können keine Arbeit finden und somit auch nicht heiraten. So werden sie angetrieben von unzähmbarer Wut und einer Un
Ungerechtigkeit, die sie täglich spüren.Ansprache vor 30.000 Menschen Ich werde immer Ehrfurcht vor diesen Revolutionären haben. Jedes ihrer Worte zeugt von einem scharfen politischen Bewusstsein und einem den Tod verachtenden Verlangen nach Freiheit. Sie baten mich um ein paar Worte. Obschon ich hunderte Male in der Öffentlichkeit geredet habe, war dieses Mal so ganz anders: Ich sprach zu 30.000 Demonstranten, die von Kompromissen nichts hören wollten und immer wieder Zwischenrufe wie „Nieder mit Hosni Mubarak“ und „Das Volk sagt: "Raus mit dem Regime" hören ließen.Ich sagte, ich sei stolz auf das, was sie erreicht hätten und darauf, dass sie das Ende einer Zeit der Unterdrückung herbeigeführt hätten. Und dass wir – selbst wenn wir zusammengeschlagen oder verhaftet würden – gezeigt hätten, dass wir keine Angst haben und stärker sind als „sie“. Ihnen stehen die schrecklichsten Unterdrückungsinstrumente der Welt zur Verfügung, doch wir besitzen etwas Stärkeres: Unseren Glauben an die Freiheit. Die Masse antwortete vielstimmig: „Wir werden zu Ende führen, was wir angefangen haben.“Warum haben die Ägypter sich erhoben? Weil ihnen das Regime alles vorenthalten hat, auch Freiheit und Würde, und es nicht schafft, ihre alltäglichen Bedürfnisse zu erfüllen.Wenngleich die öffentlichen Rufe nach Reformen in Ägypten schon lange vor den Unruhen in Tunesien zu hören waren, ergab sich aus den dortigen Ereignisse eine große Inspiration. Der Sturz Ben Alis hat den Menschen vor Augen geführt, dass ein Sicherheitsapparat einen Diktator nicht auf ewig schützen kann. Zudem hat Ägypten mehr Grund zur Auflehnung als Tunesien. Bei uns leben mehr Menschen in Armut und wir haben einen Herrscher, der die Zügel der Macht schon länger festhält. Irgendwann brachte die Angst Ben Ali dazu, aus Tunesien zu fliehen. Unser Protest könnte ebenso erfolgreich sein. Auf Kairos Straßen wurde der französische Slogan Degage, Mubarak! übernommen. Inzwischen haben die Aufstände auch andere arabische Staaten wie den Jemen erreicht.Ein nächtlicher GastSchon stellen die Behörden fest, dass ihre Taktiken die Proteste nicht aufhalten. Demonstrationen sind über Facebook als verlässliche und unabhängige Informationsquelle organisiert worden: Als der Staat versuchte, die Seite zu blockieren, erwiesen sich die Leute als schlauer und Blogger verbreiteten Informationen zum Umgehen der Kontrollen. Zudem ist die Gewalt der Sicherheitskräfte ein Risiko für beide Seiten: In Suez haben sich Menschen gegen Polizeikräfte erhoben, die Demonstranten erschossen. Die Geschichte zeigt, dass Polizisten sich ab einem gewissen Punkt weigern, Befehle zur Tötung ihrer Mitbürger zu befolgen.Immer mehr ganz gewöhnliche Leute trotzen nun der Polizei. Ein junger Demonstrant erzählte mir, er sei auf der Flucht vor der Polizei wahllos in ein Gebäude gerannt und habe irgendeine Klingel gedrückt. Es war vier Uhr nachts. Es öffnete ein etwa 60-jähriger Mann, dem die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Der flüchtige Demonstrant bat darum, ihn zu verstecken. Der Alte bat darum, den Ausweis des Hilfesuchenden sehen zu dürfen. Dann weckte er eine seiner Töchter, die dem Gast etwas zu essen zubereitete. Anschließend aßen sie gemeinsam und unterhielten sich bei Tee, als seien sie schon ihr Leben lang Freunde gewesen.Am Morgen, als die Gefahr der Verhaftung geschwunden war, begleitete der Mann den jungen Demonstranten nach draußen, stoppte ein Taxi für ihn und bot ihm Geld an. Der Junge lehnte ab und bedankte sich. Als sie sich zum Abschied umarmten, sagte der Alte: „Ich bin es, der dir danken sollte. Dafür, dass du mich, meine Töchter und alle Ägypter verteidigst.“So begann der ägyptische Frühling. Wir werden eine wirkliche Schlacht erleben.