Vor acht Jahren erklärte Marine Le Pen, die jüngste Tochter des Rassisten und Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen, auf einer Parteikonferenz des Front National (FN) in Nizza – sie plane, die Partei ihres Vaters zu erneuern und deren mit Fanatismus sowie Antisemitismus in Verbindung gebrachten Ruf „zu normalisieren“. Alles solle für „junge Leute und Frauen“ attraktiver werden. Man wolle „entdämonisieren“ und „das Piefige“ abwerfen. Ein Jahr zuvor, im April 2002, hatte Marines Vater das Establishment in Panik versetzt, als er in Runde eins des Präsidentschaftsvotums auf dem zweiten Platz hinter Jacques Chirac landete und den sozialistischen Bewerber Lionel Jospin aus der Stichwahl torpedierte.
Jetzt hat Le Pen am vergangenen Wochenende die Bühne einer Partei verlassen, die er 1972 gegründet hat, und der telegenen Marine beim Kongress in Tours den Vorsitz des Familienunternehmens überlassen. Monatelang hat Marine einen unermüdlichen Wahlkampf geführt, um das Parteivolk für sich zu gewinnen und die politische Klasse zu zwingen, von ihr Notiz zu nehmen. Im Vorjahr wurde sie zweimal in die wichtigste Politsendung A vous de juger eingeladen, von Time-Magazine, Newsweek und New York Times interviewt. Alle wollten wissen, ob die zweimal geschiedene Mutter, die eine ihrer Töchter Jeanne nannte – nach Jeanne d’Arc und dem Symbol der Bewegung ihres Vaters – es geschafft habe, den Front National zu transformieren.
Wesentlich persönlicher
Die Antwort ist strittig. Unter der Regie der 42-jährigen Rechtsanwältin, Stadträtin von Hénin-Beaumont und europaskeptischen Abgeordneten der Nationalversammlung hat die Partei neofaschistisches Vokabular entsorgt. Während ihr Vater sich über zu viele Schwarze im Parlament beklagte oder die Gaskammern von Auschwitz ein „Detail der Geschichte“ nannte, setzte Le Pen Junior auf das antimuslimische Ressentiment, das den Islam als Feind im Inneren empfindet wie jüngsten Umfrage zufolge 42 Prozent der Franzosen.
Marine verbindet diese Botschaft mit einer neuen, wesentlich persönlicheren Erzählung, wie sie auch Sarah Palin und die Tea Party äußerst wirkungsvoll zu gebrauchen wissen: Sie spielt mit dem Image der Außenseiterin, die vom Establishment verabscheut wird, aber die Sorgen der kleinen Leute genau kennt. Sie hatte keine Probleme damit, öffentlich über ihre eigene Geschichte zu sprechen, um damit zu zeigen, wie „modern“ ihre Erfahrung im Vergleich zu der ihres Vaters und dessen Anhang doch sei. In vielen Interviews stellt sich Marine denn auch als unfreiwillige Erbin ihres Vaters dar. Sie sei in die Politik geraten, nachdem sie die längste Zeit ihres Lebens versucht habe, „ihr zu entkommen“. Während des Studiums und zu Beginn ihrer Karriere sei die Tochter Le Pens ausgegrenzt worden, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot.
Dieses Rezept geht auf – Marine Le Pen genießt eine Zustimmung von 27 Prozent, auch wenn sich nur 13 Prozent der Befragten vorstellen wollen, den FN tatsächlich zu wählen. Doch bleibt die Legende von der politischen Erbin wider Willen als Pose als Position. Tatsächlich ist Marine seit langem führende Aktivistin des FN, dem sie 1986 mit 18 beigetreten ist. Eine zeitlang stand sie der Jungendorganisation vor, die passender Weise Generation Le Pen heißt, und trat 2002 erstmals für den FN im französischen Fernsehen auf. 2007 leitete sie den Wahlkampf ihres Vaters.
Einige zittern bereits
Politische Analysten glauben, Marine Le Pens wahres Ziel besteht darin, nach dem Geert-Wilders-Muster ihre Partei näher an die gemäßigte Rechte und damit an die Zitadellen der Macht heranzuführen – sie will politische Debatte nicht länger wie ihr Vater vom Rand aus betrachten, um damit Selbstdarstellung betreiben zu können. Was ist vom mutmaßlich „weicheren“ Gesicht des französischen Extremismus wirklich zu halten ist? Während Marine die Gaskammern als "nicht diskutierbare historische Tatsache" bezeichnet und darauf besteht, ihre Partei sei weniger extrem als die amerikanische Tea Party, hat sie die abstoßendsten Äußerungen ihres Vaters bisher eher verteidigt als zurückgewiesen.
So stellt sich der Front National auch unter der neuen Vorsitzenden weiter gegen Einwanderung und gegen die EU (die mit der Sowjetunion verglichen wird), steht die Partei für wirtschaftlichen Protektionismus und nationale Bevorzugung, will sie Arbeitsplätze, Sozialleistungen und öffentlich geförderten Wohnraum allein französischen Bürgern vorbehalten.
Nicht zufällig ist es das Thema Islam, bei dem sich Marine als wahre und treue Tochter ihres Vaters zeigt. Erst vor zwei Wochen sorgte sie für Empörung, als sie in der Sendung A vous de juger auf der Straße betende Muslime mit der „Nazi-Besatzung“ verglich. Wie die extreme Rechte Europas dementiert sie gleichzeitig den Eindruck, gegen den Islam oder rassistisch zu sein. Sie sei lediglich gegen jene islamischen „Radikalen“, die der französischen Mehrheitsgesellschaft die Scharia auferlegen wollten.
Zweifellos hat sich Marine Le Pen in Frankreich über die Anhängerschaft des Front National hinaus Gehör verschafft und den Konservativen Nicolas Sarkozy mit seinen miserablen Umfragewerten so sehr aufgeschreckt, dass der immer weiter nach rechts driftet. Ein Drittel der Mitglieder der regierenden Union pour un Mouvement Populaire (UMP) will einen parlamentarischen Schulterschluss mit dem FN nicht mehr ausschließen, was jahrzehntelang undenkbar war. Bei der Präsidentschaftswahl 2012, schwört Marine, werde sie die politische Klasse des Landes „zum Erzittern“ bringen. Einige zittern bereits.
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