Es gibt neue US-Sanktionen, zugleich ist das Bankensystem im benachbarten Libanon kollabiert. In dieser Lage greift das finanzschwache Damaskus auf unorthodoxe Methoden der Geldbeschaffung zurück. Forscher des Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington haben Hunderte von UN-Lieferverträgen über Waren und Dienstleistungen analysiert, die für vom syrischen Staat kontrollierte Regionen geschlossen wurden. Dort leben seit dem Absturz des syrischen Pfunds (SYP) im Vorjahr gut neun Zehntel der Bevölkerung in Armut. 2021 liegt der offizielle Umtauschkurs der Zentralbank im Schnitt bisher bei 2.500 SYP für einen Dollar. Auf dem Schwarzmarkt müssen jedoch mindestens 3.500 SYP gezahlt werden. Viele Händler ziehen diesen Kurs vor, weil sie damit mehr syrische Pfund für ausländische Währungen erhalten. Die UN hingegen werden durch die syrische Regierung gezwungen, sich an den offiziellen Kurs zu halten. Das machte sich 2020 besonders stark bemerkbar, weil in diesem Jahr die Kurse weit auseinanderdrifteten. Die Hälfte der Hilfsgelder, die um diese Zeit in syrische Pfund gewechselt wurden, ging somit auch an die Regierung. Es zeige sich „eine systematische Abzweigung von Hilfsgeldern, bevor diese überhaupt vor Ort eingesetzt werden“, so Natasha Hall vom CSIS. „Wenn das Ziel von Sanktionen darin besteht, dem Regime Ressourcen für den inneren Krieg zu entziehen, dann wird es schlichtweg nicht erreicht.“
Nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg geht die internationale Gebermüdigkeit, die zu weniger Hilfezusagen führt, in eine immer offenere Rückkehr zu Beziehungen mit der Administration von Baschar al-Assad über. Die USA verweigern sich der Suche nach einer politischen Lösung, auch wenn sie eine solche öffentlich befürworten. Arabische Staaten, darunter das mit den USA verbündete Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten unterhalten wieder diplomatischen Kontakt mit Damaskus und öffnen sich für den bilateralen Handel. So kommt es zum Transit durch Syrien für Erdgas aus Ägypten in Richtung Libanon.
Eine Untersuchung von 779 öffentlich zugänglichen Auftragsvergaben für 2019/20, die in einer UN-Datenbank gelistet sind, kam zu dem Ergebnis, dass bis zu 100 Millionen Dollar über den Wechselkurs verloren gingen. Die Hilfsgelder liefen über UN-Strukturen wie das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), das Welternährungsprogramm, das UN-Flüchtlingskommissariat wie das Kinderhilfswerk UNICEF. Das UN-Finanzressort selbst erfasst laut eigener Aussage nicht, wie viel Geld in syrische Pfund gewechselt wird, da „die Überwachung solcher Informationen nicht Teil ihrer Aufgabe“ sei.
Seit 2014 haben Regierungen weltweit im Schnitt 2,5 Milliarden Dollar (2,2 Milliarden Euro) für Syrien-Programme der Vereinten Nationen gegeben, die sich stets dem Vorwurf ausgesetzt sahen, das Assad-Regime zu unterstützen, indem sie Hilfsgelder in Milliardenhöhe in von der Regierung kontrollierte Gebiete umleiteten. Human Rights Watch (HRW) warnte, UN-Organisationen würden dadurch mitschuldig an Menschenrechtsverletzungen.
Unter Beobachtung
Im Vorjahr kündigten die USA weitere 700 Millionen Dollar humanitärer Hilfe für Syrien an, und die britische Regierung stellte bis Mitte 2021 umgerechnet 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung, wozu ein Sprecher des Außenministeriums anmerkte: „Großbritannien leistet keine Hilfen für das Assad-Regime.“ Es werde sichergestellt, „dass unsere Gelder die erreichen, die sie am meisten brauchen“. Sara Kayyali von Human Rights Watch ist sich dennoch sicher, dass bei der Vergabe von Aufträgen durch die UN „nicht ausreichend auf die Menschenrechte geachtet wird“. Es sei schwierig, sich vorzustellen, dass Hunderte Millionen Dollar an den syrischen Staat gehen. UN-Sprecherin Danielle Moylan meint dazu: „Wir begrüßen Untersuchungen unseres humanitären Einsatzes in Syrien.“ Aber die meisten Waren für diese Missionen würden auf dem internationalen Markt erworben und seien daher vom syrischen Wechselkurs unabhängig.
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