Es ist der 16. Dezember 2021. Auf einer asphaltierten Landebahn außerhalb von Salinas, Kalifornien, sammelt sich eine Gruppe Männer. Sie sehen aus, wie man sich Silicon-Valley-Start-up-Leute eben vorstellt, in betont lässigen Markenklamotten. Vor ihnen steht eine schwarz glänzende Kapsel auf drei spindeldürren Beinen, eine Mischung aus einem Zäpfchen und einem Trolley für Golfer, dazu ein V-förmiger Schwanz wie der eines Buckelwals. Sie hat nur eine Tragfläche, in der vier Reihen mit je drei Rotorblättern eingelassen sind – sechs vorne und sechs hinten. Die machen ein Geräusch wie ein lauter Haarföhn. Während die Zuschauer nervös von einem Fuß auf den anderen treten, erhebt sich die Maschine in die Lüfte,
Elektroflugzeug: Der Traum vom grünen Fliegen kann wahr werden
eVTOL Einfach überall hin fliegen, aber ohne das Klima zu verpesten? Ingenieure arbeiten fieberhaft daran, diese Utopie zur Wirklichkeit zu machen. Erste kleine Elektroflugzeuge könnten bald abheben. Aber, nun ja: ein paar Probleme gibt es noch

So ein großes Elektroflugzeug gibt es noch nicht - aber nach 2050 ist das möglich
Illustration: der Freitag
te, beschreibt einen Bogen, schwebt rund zehn Sekunden. Dann landet sie wieder sanft auf der Erde. Alle jubeln und klatschen, manche umarmen sich, etwas verlegen.Auch in der Zentrale des Unternehmens für Elektroflugzeuge Archer Aviation in Palo Alto johlen und pfeifen die Mitarbeiter, die das Geschehen auf dem Bildschirm verfolgten. Es ist der erste Testflug des „Maker“, Archer Aviations Version einer neuen Flugzeugart, die senkrecht starten und landen kann und folglich als „electric vertical takeoff and landing vehicle“ bezeichnet wird: eVTOL. Betrunken sollte man sich keinesfalls an der Aussprache dieser Meisterleistung der Namensgebung versuchen; zudem herrscht noch kein Konsens darüber, ob das „e“ möglicherweise ein Großbuchstabe sein sollte.Dabei setzt eine bedeutende Anzahl an Investoren darauf, dass eVTOLs (wenn denn der Name hält) eine große Sache werden. Drei Monate vor dem Testflug des Maker fusionierte Archer mit einer Special Purpose Acquisition Company, auch bekannt als Blankoscheck-Unternehmen. Nun lässt sich nicht behaupten, dass nachhaltige Luftfahrt besonders glamourös ist: Das gilt für den Tausch der Triebwerke alter Dornier-Flugzeuge bis zum Recycling stinkender Laufschuhe zu Treibstoff. Doch eVTOLs sind die Ausnahme von der Regel: Wie die maßgeschneiderte Verbundstoffkarosserie blinkt! Wie sich die Rotoren des Maker beim Start und bei der Landung hubschraubergleich flach drehen und sich dann für den Vorwärtsflug drehen und neigen! Dazu kommt das verlockende Versprechen der vollständigen Automatisierung. Reiner Elektroantrieb hat etwas, das die antiseptische, rußfreie Ästhetik unserer Zeit anspricht. Wenn man einen Blick in das Innere eines Makers wirft, sieht man ein ordentlich verstautes Akkupaket und einige Kabel; die Kabine verströmt den Geruch eines frisch gereinigten Mietwagens.Nach dem ersten erfolgreichen Testflug besteht Archer-CEO Adam Goldsteins nächste Aufgabe darin, den Maker durch die Zertifizierung bei der Federal Aviation Administration zu führen, ein Prozess, der Jahre dauern und Hunderte von Millionen Dollar kosten kann. Zudem gilt es, die Massenproduktion vorzubereiten (Archer ist eine Partnerschaft mit Stellantis eingegangen, einem der größten Automobilhersteller der Welt). Flugrouten und Landeplätze müssen zusammen mit örtlichen Behörden festgelegt und die Bürger:innen auf das vorbereitet werden, was einen Wendepunkt in ihrem Leben als Fluggast darstellen könnte: den Moment, an dem ein Flugzeug kein Zug mehr sein will, der planmäßige Verbindungen von einem Punkt zum anderen anbietet und eine Masse von Leuten an Bord nimmt. Sondern zu einer Art Ruf-Taxi wird.Hunderte von Unternehmen sind in das kapitalstarke Geschäft urbaner Luftmobilität eingestiegen. Einer der kalifornischen Archer-Konkurrenten – Joby – sowie das deutsche Unternehmen Lilium verschafften sich ebenfalls durch Fusionen mit Blankoscheck-Unternehmen einen Vorsprung. Im Januar vergangenen Jahres hat Boeing 450 Millionen US-Dollar in Wisk Aero investiert, ein Luftfahrt-Start-up, das von Google-Mitbegründer Larry Page unterstützt wird. Dann gibt es noch das Airbus-Programm für urbane Luftmobilität CityAirbus NextGen und das israelische Start-up Urban Aeronautics, dessen kleinformatiger Cityhawk von nach innen verlegten Rotoren angetrieben wird und laut der hauseigenen Marketingabteilung „mehr mit den Vögeln gemeinsam hat, die auf den Dächern von Hochhäusern nisten, als mit fast allen anderen existierenden eVTOL-Prototypen“. Die Frage ist: Werden diese Investitionen die Industrie zu ihrem erklärten Ziel des Netto-Null-Flugs bringen, eines klimaneutralen Flugs also?Bäume pflanzen gegen CO₂?Im Jahr 2018 machten CO₂-Emissionen aus zivilem Luftverkehr etwa 2,4 Prozent der gesamten durch menschliche Aktivitäten verursachten globalen Treibhausgase aus. Die Auswirkungen des Luftverkehrs auf das Klima hören jedoch nicht beim CO₂ auf, das möglicherweise nur etwas mehr als ein Drittel des Beitrags des Sektors zum Klimawandel ausmacht. Flugzeuge setzen auch Stickoxide, oxidierten Schwefel sowie Wasserdampf frei und verursachen Zirruswolken – künstliche Wolken, die aus Kondensstreifen entstehen. Das erhöht vorübergehend die Wärmemenge, die in der Atmosphäre eingeschlossen ist. All diese Faktoren wirken sich erwärmend auf das Klima aus – im Fall der Kondensstreifen viel intensiver als CO₂, wenn auch nur kurzzeitig. In großen Höhen freigesetzt haben die Emissionen des Luftverkehrs die zwei- bis vierfache Wirkung vergleichbarer Emissionen am Boden.So gesehen macht der Flugverkehr rund 3,5 Prozent der von Menschen verursachten Erderwärmung aus. Zum Vergleich: Der Straßenverkehr ist für 17 Prozent verantwortlich. In einer langen, sagen wir, elfstündigen Autofahrt mit Tank- und anderen Pausen lassen sich 1.045 Kilometer zurücklegen. In einem voll besetzten Auto verbraucht jeder Fahrgast weniger als 14 Kilogramm Treibstoff. In den gleichen elf Stunden fliegt man in einem Flugzeug von Paris nach San Francisco, eine Strecke von 8.850 Kilometern bei einem durchschnittlichen Verbrauch von mehr als 300 Kilo Treibstoff pro Passagier. Vorausgesetzt, das Flugzeug ist voll besetzt.Placeholder image-1Wir wissen es ja: Fliegen ist unglaublich dreckig. Doch während in vielen Wirtschaftszweigen inzwischen das Verursacherprinzip durchgesetzt wurde – es gibt Verschmutzungszertifikate für Kraftwerke, CO₂-Abgaben für Benzin und Diesel, Geldstrafen für Landwirte, die Flüsse verschmutzen, oder Kurtaxen, um die Auswirkungen des Massentourismus abzumildern –, gilt das nicht für die Flugindustrie. Im Gegenteil: Der Kunde, den die Luftfahrt mit den absurdesten Anbiederungen zu hofieren versucht, ist ausgerechnet der Vielflieger, die schlimmste Umweltsau überhaupt.Bis heute gibt es für die Luftfahrt keine entsprechende Steuer auf Treibstoff, wie es sie für Autofahrer in Deutschland auf Diesel und Benzin an der Tankstelle gibt. Auch wird auf internationale Flugtickets keine Mehrwertsteuer erhoben. Der grenzüberschreitende Luftverkehr ist im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 gar nicht enthalten, unter anderem, weil es schwierig ist, die Verantwortung für die Emissionen von internationalen Flügen zuzuordnen, bei denen eine Fluggesellschaft aus einem Land von einem zweiten Land in ein drittes fliegt.Natürlich kann auch die Luftfahrtindustrie die Sorge über den Klimawandel nicht ganz ignorieren. 2016 stimmte die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) dem Entwurf eines Systems zur Kompensation von CO₂-Emissionen in der internationalen Luftfahrt zu (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation, kurz: Corsia). Ziel ist, die Emissionen auf dem Niveau von 2020 zu stabilisieren. Die Fluggesellschaften bezahlen Maßnahmen für die Co2-Kompensation des Flugs wie das Pflanzen von Bäumen, Investitionen in Solaranlagen oder Subventionen für emissionsarme Öfen, um Kohlenstoffemissionen oberhalb eines vereinbarten Grenzwerts zu kompensieren. Doch selbst wenn das System 2027 verpflichtend wird – derzeit haben sich Länder wie Indien, China und Russland noch nicht angeschlossen –, soll Corsia nicht für Inlandsflüge gelten, die mehr als ein Drittel der Emissionen der Branche verursachen. Im Oktober 2022 verabschiedete die Internationale Luftfahrt-Organisation dann ein „kollektives langfristiges Ziel von Netto-Null-Ausstoß bis 2050“. Beide Ziele geben der Branche die Erlaubnis, ihre Emissionen bis 2035 weiter zu erhöhen.E-Fuel der Lüfte„Grüne Luftfahrt“ scheint also noch in weiter Ferne zu stehen, dabei haben wir keine Zeit zu verlieren. Das Weniger-Fliegen wird kaum verfolgt, dafür aber die technischen Alternativen zum Antrieb mit fossilen Brennstoffen. Derzeit wetteifern verschiedene Technologien darum, sich durchzusetzen. Die Verfechter von Wasserstoff-Flugzeugen verweisen darauf, wie viel Energie in diesem wundersamen Element gespeichert werden kann. Aber Wasserstoff benötigt auch viel Raum und erfordert große und teure Veränderungen am Flugzeugdesign und an der Infrastruktur am Boden. Die Verfechter eines synthetischen Kerosins als Flugzeugtreibstoff (SAF), zu dessen Herstellung der Kohlenstoff aus der Luft gesaugt und mit Wasserstoff verbunden wird (quasi das E-Fuel der Lüfte), blicken herab auf das umweltverschmutzende Bio-Kerosin – die US-Präsident Joe Bidens Regierung ins Zentrum ihrer Pläne gestellt hat, die SAF-Produktion bis zum Jahr 2030 auf 11,35 Milliarden Liter im Jahr zu erhöhen (im vergangenen Jahr lag die Zahl unter 30 Millionen).Manche propagieren „Carbon Capture“ als Lösung. Dabei wird das entstehende Kohlendioxid abgefangen, bevor es in die Atmosphäre gelangt, und dann einfach vergraben. Andere halten das für eine wahnsinnig teure und energieintensive Angelegenheit, die sich nicht durchsetzen wird. Doch fast alle sind sich darin einig, die Elektrifizierung der Luftfahrt zu belächeln – alle, außer den Investoren, die Milliarden in Elektroflugzeuge stecken.Und genau hier ist der silberne Streifen am Horizont. Tausend Start-ups und neue Abteilungen stecken viele Ressourcen in Technologien, die das Fliegen grün machen sollen. Daher besteht eine Chance, dass der schwerfällige, bedürftige, gereizte, dem Wandel feindlich gegenüberstehende Koloss des modernen Flugverkehrs beginnt, die Furchtlosigkeit der ersten Flugpioniere wieder für sich zu entdecken.eVTOLS zogen erstmals 2016 größere Aufmerksamkeit auf sich: Damals veröffentlichte Uber Elevate ein Forschungspapier zur umfassenden Dekarbonisierung der Gesellschaft, und Teil dieses Papiers war das mit erneuerbarem Strom betriebene Kleinflugzeug. Laut Uber Elevate könnten diese Flugzeuge durch eine automobilähnliche Massenproduktion „eine bezahlbare Form des täglichen Massentransports werden, der sogar günstiger sein könnte als der Besitz eines Autos“.Placeholder image-3Einen weiteren Hype löste 2019 die Prognose der Investmengesellschaft Morgan Stanley aus, dass der Markt für autonome Stadtflugzeuge bis 2040 1,37 Billionen Euro wert sein könnte – eine Prognose, die ihren Weg in Investorengespräche fand. Morgan Stanley korrigierte diese Zahl später auf nur eine Milliarde hinunter. Man hielt aber an der Aussage fest, dass eVTOLs einen ebenso einschneidenden Effekt auf den Verkehr haben würden wie Autos am Anfang des 20. Jahrhunderts und Flugzeuge nach dem Zweiten Weltkrieg. „Radikale Veränderungen der Transportform“, schrieb die Investmentgesellschaft, „‚kannibalisieren‘ nicht so sehr die aktuelle vorherrschende Form des Transports (...), sondern erfinden den Markt neu, häufig in einer ganz neuen Größenordnung“.Archer wird seine Flugzeuge direkt an Fluggesellschaften verkaufen – so wie 2021, als United eine Bestellung über Archer-Flugzeuge im Wert von einer Milliarde US-Dollar aufgab, mit einer Option auf eine weitere halbe Milliarde. Die eVTOLS werden Teil einer Multiflug-Plattform sein, einer Art Sammeltaxi: Eine Archer zu „nehmen“ wird bedeuten, eine App zu benutzen, um einen Platz in einem Fahrzeug zu buchen, das in zwanzig Minuten in der Nähe losfliegt. Ist das real? „Ja, es ist mehr als nur ein Hype“, sagt Jay Merkle 2020, der für die Zertifizierung von eVTOLs zuständige Mitarbeiter des Luftfahrtverbands: „Wir haben mindestens sechs Flugzeuge, deren Zulassung weit fortgeschritten ist.“Zuerst tragen die USA Tausende Tonnen an CO₂ zur Klimakrise bei, und dann entdecken sie diese Erfindung zur Bewältigung der Krise als dicke Geschäftsmöglichkeit? Man kann hier zynisch werden, aber als ich Archers unfassbar jungen Chefingenieur Geoff Bower kennenlerne, der in einem Tesla Y zur Arbeit fährt und seine Doktorarbeit an der Stanford-Universität darüber geschrieben hat, wie Albatrosse über den Ozean fliegen, ohne mit den Flügeln zu schlagen (sie borgen sich Energie von der Atmosphäre), überkommt mich das Gefühl, dass es hier nicht um Schuld geht. Sondern um Physik.Elektroflugzeug: Mit Kohle-Strom geht es nichtPhysikalisch ist ein Problem das Starten und Landen. Je größer die von den Rotoren abgedeckte Fläche ist, desto weniger Leistung wird zum Starten benötigt, aber desto mehr braucht man zum Fliegen, weil der Luftwiderstand höher ist. Die Ingenieure von Archer müssen also versuchen, ein Gleichgewicht zwischen dieser Fläche und dem Luftwiderstand zu finden: Dazu werden die sechs vorderen Rotoren im Reiseflug gekippt, während der Auftrieb im horizontalen Geradeausflug von den feststehenden Flügeln erzeugt wird.Ein weiteres Problem liegt in der Speicherung der Energie. Von allen Flugtechnologien bieten ausgerechnet die elektrischen Batterien bei Weitem die geringste Leistung bei größtem Gewicht. Ein Kilo Benzin liefert 13 Kilowattstunden (die Energiemenge, die pro Stunde verbraucht wird) – ein Kilogramm Lithium-Ionen-Akku nicht einmal 0,3 Kilowattstunden. Dass wir überhaupt über elektrisch angetriebene Flugzeuge nachdenken können, verdanken wir deshalb – Elon Musk. Sein Unternehmen Tesla hat mehr als jedes andere für die Verbesserung der Lithium-Ionen-Batterien getan. Denn 0,3 Kilowattstunden klingen wenig, sind aber schon fünfmal mehr als die Leistung der alten Bleibatterie. Und: Elektromotoren sind zwei- bis dreimal so effizient wie Verbrennungsmotoren.Placeholder image-2Die wichtigste Frage, die sich nun stellt, lautet: Können Elektroflugzeuge nachhaltig sein? Hierfür schaut man sich die CO2-Intensität der Technologie an, das sind die CO₂-Emissionen während ihrer gesamten Lebensdauer, also nicht nur beim Flug, sondern einschließlich Materialien, Herstellung, Nutzung, Demontage und Entsorgung (Lebenszyklus), im Vergleich zur aufgewendeten Energie. 2019 kamen Umwelt- und Luftfahrtwissenschaftler aus Großbritannien und den USA zu dem Ergebnis, dass vollelektrische Flugzeuge über den gesamten Lebenszyklus eine um 20 Prozent höhere Kohlenstoffintensität aufweisen als moderne Flugzeuge mit Düsentriebwerken.Grundlage für diese Berechnung war die durchschnittliche CO₂-Intensität des US-Stromnetzes im Jahr 2015. Die Art der Stromerzeugung spielt also eine zentrale Rolle für die Frage, ob Fliegen klimaneutral werden kann. Laut einer Prognose der Internationalen Energieagentur wird sich die weltweite Stromnachfrage zwischen 2010 und 2040 fast verdoppeln (die Elektrifizierung des Luft- und Landverkehrs nicht eingerechnet). Gleichzeitig werden aber die Emissionen aus der Stromerzeugung nur um etwa fünf Prozent sinken, weil global weiter stark Kohle genutzt wird. In Indien etwa kann die Fahrt mit einem elektrischen Zug derzeit klimaschädlicher sein als ein Flug. Betreibt man dagegen ein Flugzeug mit Strom aus dem brasilianischen Netz, das einen hohen Anteil an erneuerbaren Energien hat, sind die Lebenszyklusemissionen wesentlich geringer.Nichts ist wirklich klimafreundlich, solange nicht alles daran klimafreundlich ist. Was bedeutet das für das eVTOL – ist es bloß ein kommerziell rentables Produkt in Zeiten des Klimakrisen-Hypes oder ist es eine echte Waffe im Kampf gegen den Klimawandel? „Eine bizarre Schaubudennummer, in der alle beschlossen haben, das meiste Geld in das zu stecken, was am wenigsten Gutes bewirkt“ – so beschreibt der Luftfahrtexperte von der Beratungsfirma Aerodynamic Advisory, Richard Aboulafia, die Elektroflugzeuge. Häufig seien es die auf Massenproduktion ausgelegten Flugtechnologien, die am wenigsten gut für die Umwelt sind.Das Geld und der Ideenreichtum, die in diesen Sektor fließen, sind tatsächlich überwältigend. Aber diese Ressourcen könnten die Auswirkungen der aktuellen Klima-Abrissbirne nur dann abschwächen, wenn es eben keine individuellen Kleinflugzeuge sind, sondern wenn elektrische Flüge schwerere Lasten über längere Distanzen hinweg übernehmen – also in die Erwachsenenwelt der Luftfahrt eintreten.Die E-Boeing kommt nach 2050Sobald es um schwere Transportgüter oder um lange Flüge geht, ist wieder die Batterie das Problem. Der Heilige Gral der Mobilität ist die volle Elektrifizierung, und die erfordert eine radikal verbesserte Batterieleistung. Seit der Jahrtausendwende hat frenetische Forschung und Entwicklung dazu geführt, dass Lithium-Ionen-Akkus im Durchschnitt jedes Jahr um etwa vier Prozent mehr Leistung bringen. Von den Lithium-Ionen-Hochspannungsbatterien, die derzeit bei Rolls-Royce entwickelt werden, über die Lithium-Luft-Batterien, die das japanische National Institute for Materials Science 2022 vorstellte, bis hin zur Festkörperbatterie des amerikanischen Start-up-Unternehmens Quantumscape wird das entscheidende Element der elektrischen Luftfahrt derzeit tatsächlich immer leichter und leistungsfähiger. Die Frage ist nur, wie schnell.An der Carnegie Mellon University in Pittsburgh wird derzeit fiebrig an einem Durchbruch bei der Akkuleistung gearbeitet. Im Labor von Venkat Viswanathan, einem der führenden Batterie-Experten der Welt, führen Roboter rund um die Uhr Experimente durch. 2021 schrieben Viswanathan und sein Kollege Shashank Sripad, dass „möglicherweise Mitte des Jahrhunderts eine spezifische Energiedichte von 800 Wattstunden pro Kilo erreicht werden kann“. Mit anderen Worten: Um das Jahr 2050 werden Lithium-Ionen-Batterien in der Lage sein, einen A320-Airbus mit einem Mittelgang oder eine Boeing 737 für die 600 Seemeilen (1.111,2 Kilometer) eines Regionalfluges zu betreiben. Vollelektrische Flugzeuge mit einer Reichweite von 1.200 Seemeilen könnten irgendwann in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mehr als 80 Prozent aller Flugzeugabflüge ersetzen – vorausgesetzt, es werden weiterhin große Fortschritte erzielt.Die Ergebnisse in der Werkstatt decken sich aber nicht unbedingt mit denen in der realen Welt. „Man muss zwischen Reichweite und Flugdauer unterscheiden“, erklärt der emeritierte Professor am Massachusetts Institute of Technology, Alan Epstein: „Für etwa 2.250 Kilometer – die tatsächliche Zahl kann je nach Wetter und Verkehr erheblich schwanken – haben die Fluggesellschaften routinemäßig über 50 Prozent mehr Treibstoff an Bord, als für die Flugstrecke eigentlich nötig ist.“ Für den Fall unvorhergesehener Ereignisse müsse man in der Lage sein, einen anderen offenen Flughafen anzufliegen. Bei Kerosin mit seiner hohen Energiedichte kann ohne größere Probleme zusätzlicher Treibstoff mitgeführt werden. Übertragen auf das elektrische Fliegen bringt das Prinzip der Überkapazität jedoch den fein austarierten Kompromiss zwischen Akku und Reichweite durcheinander. „Ein Flugzeug mit einer Reichweite von 800 Kilometern kann also vielleicht nur 320 oder 400 Kilometer weit fliegen“, erklärt Epstein.Jeder mag optimistische Visionen. Die Wahrheit aber ist, dass niemand weiß, wie schnell sich die Batterie-Technologie entwickelt. Und was, wenn jene Menschen in ärmeren Ländern, die bislang noch nie geflogen sind, auf die Bühne des globalen Flugverkehrs drängen? „Das ist die langfristige Schwierigkeit für die Luftfahrt“, räumt Geoff Bower ein, Archers Chefingenieur und einer der weltweit besten Aerospace-Ingenieure. „Ich habe darauf keine Antwort.“