Elfenbeinküste: Die Geißel der Kinderarbeit soll ihren Schrecken verlieren
Kinderrechte Die Regierung der Elfenbeinküste ergreift energische Maßnahmen, um einen regelmäßigen und kostenlosen Schulbesuch zu garantieren. Polizeieinheiten schreiten ein, um Handel mit jugendlichen Arbeitsnomaden zu verhindern
Zwischen 2013 und 2019 wuchs die Kakaoproduktion im Land um 14 Prozent, einen signifikanten Anstieg gefährlicher Kinderarbeit gab es laut einer Studie in dieser Zeit nicht
Foto: Daniel Rosenthal/laif
Neun Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche lief der 13-jährige Karim Soura mit einem Kanister auf dem Rücken durch die Kakaoplantagen in der Nähe seines Heimatorts Mabéhiri im Süden der Elfenbeinküste und besprühte Pflanzen mit Chemikalien. „Ich mochte die Arbeit nicht, mir taten die Beine und der Rücken ständig weh, und ich wusste nicht, was ich gegen die Schmerzen tun sollte“, erzählt Karim.
Nachdem seine ältere Schwester geheiratet und die Gemeide Mabéhiri verlassen hatte, ließ ihn seine Mutter wissen, jetzt müsse er in die Landwirtschaft und Geld verdienen. Es gab diese Aufforderung, wie sie in Tausenden von Familien ausgeprochen wird, obwohl es in der Elfenbeinküste verboten ist, dass jemand im Alt
and im Alter unter 18 Jahren einer gefährlichen Arbeit nachgeht. Dazu zählt der Gebrauch einer Machete ebenso wie der Umgang mit Flüssigdünger oder anderen Chemikalien, doch hatten Karims Eltern kaum andere Optionen und konnten es sich nicht leisten, den Jungen länger in die Schule zu schicken.Vor sieben Monaten allerdings kam der Mitarbeiter eines Hilfswerkes auf Karim zu und bot ihm an, eine Ausbildung zu machen, statt den ganzen Tag auf dem Feld zu arbeiten. Die Organisation sprach auch mit seiner Mutter. Wenn sie ihn einen Kurs absolvieren lasse, müsse sie nicht länger fürchten, dafür belangt zu werden, ihren Sohn illegal arbeiten zu lassen. So kam es, dass Karim beim Zentrum für Opfer von Kinderarbeit in der nahe gelegenen Stadt Soubré angemeldet wurde. Sechs Monate lang lernte er zunächst das Aussuchen, Zuschneiden und Nähen von Stoffen. Er wurde zu einem der vielen tausend Kinder, die in den zurückliegenden Jahren von Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarbeit in der Kakaoindustrie profitiert haben. Mehr als 200.000 Minderjährige konnten dadurch gefährliche und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse hinter sich lassen.Höchststrafe 20 JahreDie Elfenbeinküste ist mit einem Marktanteil von 45 Prozent der größte Kakaoproduzent weltweit – und das nicht zuletzt durch den Rückgriff auf Kinderarbeit. Dabei ist der Kakaoanbau keine Branche schlechthin, sondern integraler Bestandteil der Kultur Westafrikas. In der Elfenbeinküste garantieren diese Plantagen nach offiziellen Angaben sechs Millionen Menschen ein Auskommen. Weil die Kosten für Schulbücher und -uniformen vielen Familien zu hoch sind, werden Kinder häufig schon nach den ersten vier oder fünf Klassen zum Arbeiten gedrängt. Dem widersetzt sich das Nationale Komitee zur Bekämpfung von Kinderhandel und Kinderarbeit, geführt von First Lady Dominique Ouattara. Die Ehefrau von Staatschef Alassane Ouattara ist zugleich Gründungspräsidentin der Stiftung „Children of Africa“ und seit längerem engagiert. 2017 wurde eine Liste gefährlicher Arbeiten veröffentlicht, die Minderjährige nicht ausüben dürfen, sowie ein Register von Tätigkeiten, die Jugendliche im Alter von 13 bis 16 Jahren außerhalb der Unterrichtszeiten annehmen dürfen. Parallel dazu wurde der Schulbesuch für Kinder beziehungsweise Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren verpflichtend und kostenfrei, während das Mindestalter für eine Vollzeitbeschäftigung von 14 auf 16 Jahre stieg. Flankiert wurden diese Schritte von einer Aufklärungskampagne, um zu vermitteln, was unter Kinderhandel, Ausbeutung und gefährlicher Arbeit zu verstehen sei. Örtliche Behörden, Richter, Polizisten, Journalisten und Sozialarbeiter wurden darin geschult, Kinderarbeit zu entdecken und zu verhindern. Es sollte zur Norm werden, dass der Platz von Kindern nicht auf den Plantagen ist.Das Zentrum in Soubré wurde als eines von dreien seiner Art im Juni 2018 mit der Maßgabe eröffnet, dass Kinder durch Hilfsdienste, lokale Organisationen oder die Polizei dorthin geschickt werden. Auf diese Weise habe man bisher 486 Zöglinge im Alter zwischen sechs und 18 Jahren aufgenommen, erklärt Direktorin Flora Djebre Leocadie. Ziel sei es, die Opfer von Kinderhandel wieder mit ihren Familien zu vereinen oder Kinder, die es ins Ausland verschlagen hat, in ihre Heimat zurückzuholen, damit sie wieder zur Schule gehen. Wie das Beispiel von Karim Soura zeigt, werden in Soubré vorrangig berufsvorbereitende Kurse belegt. Es wird gelernt, Haare zu schneiden, Kleidung zu nähen oder Kaninchen zu züchten (deren Fleisch in der Elfenbeinküste äußerst beliebt ist). Wird das Zentrum wieder verlassen, beginnt erst die eigentliche Berufsausbildung.Das Programm nehme Kinder aus dem ganzen Land auf und bringe sie in Internaten unter, so Direktorin Leocadie. Manche Kinder kämen mit nichts als sich selbst, erzählt sie, manche seien traumatisiert. Daher gehörten eine Krankenschwester und eine Psychologin zum Team. Die Kinder erhielten Kleidung, Artikel zur Körperpflege und was sie sonst noch brauchten. „Normalerweise bleiben sie sechs Monate im Zentrum. Es gibt Schlafräume, Klassenzimmer und einen Raum, in dem die Kinder ihre Freizeit verbringen können. Dort steht auch ein FernsehgerätIm Juni 2020 richtete die Elfenbeinküste, auf Regionen verteilt, sechs regionale Polizeieinheiten zur Bekämpfung von Kinderhandel und Kinderarbeit ein. Auf Informanten und Netzwerke gestützt, traten sie zu Patrouillen auf Kakaoplantagen an und kontrollierten stichprobenartig Fahrzeuge in den Anbaugebieten. Nach Angaben der Regierung wurden im vergangenen Jahrzehnt mehr als 1.000 Menschenhändler festgenommen, allein im Vorjahr 392, von denen 2.116 Kinder als Arbeitssklaven verkauft worden waren. 2021 rettete die Polizei 1.353 Kinder und verhaftete 25 Täter. Wem Kinderhandel vorgeworfen wird, der muss mit einer Verurteilung zu womöglich 20 Jahren Gefängnis rechnen, der Höchststrafe bei einem derartigen Vergehen.Natürlich leiden die Ermittlungen der Polizei unter knappen Finanzen und zu wenig Personal. Aufgedeckt wird indes immer häufiger, dass Kinder als Arbeitsnomaden aus Nachbarländern in die Elfenbeinküste geschmuggelt werden. Sie kämen aus Gegenden, in denen bewaffnete Konflikte für instabile Verhältnisse sorgen, meint Luc Zaka, Chef einer Polizeieinheit zur Bekämpfung des Kinderhandels. Die Ausbeutung in illegalen Goldminen werde zunehmend ein größeres Problem als die Kinderarbeit beim Kakaoanbau, der seit langem im Fokus von NGOs und der Regierung stehe. „Wir müssen dringend unseren Grenzschutz modernisieren, damit wir wissen, wer ins Land kommt und wer es wieder verlässt.“Es ist schwierig, zu beurteilen, was die Anstrengungen der Elfenbeinküste bisher genau gebracht haben. Im Jahr 2021 attestierte das US-Arbeitsministerium dem Land „erhebliche Fortschritte bei den Bemühungen, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit aufzudecken und zu beseitigen“. Eine Studie des National Opinion Research Center (NORC) an der Universität Chicago befand, dass es zwischen 2013 und 2019 keinen signifikanten Anstieg gefährlicher Kinderarbeit in der Kakaobranche mehr gegeben habe, obwohl die Kakaoproduktion in diesem Zeitraum um gut 14 Prozent gewachsen sei. Weiter stellte die Studie fest, dass der Anteil aus ländlichen Haushalten stammender Kinder, die eine Schule besuchen, zwischen 2008 und 2019 von 58 auf 80 Prozent zugenommen habe. Allerdings wird mit Sorge darauf hingewiesen, dass weiterhin etwa 790.000 Kinder in kleinen und mittleren Betrieben der Industrie arbeiten würden.Amourlaye Touré, der Westafrika-Direktor der Umweltorganisation Mighty Earth, betont ebenfalls, die Geißel der Kinderarbeit habe zwar an Schrecken verloren, aber verschwunden sei sie deshalb noch längst nicht. Die internationalen Schokoladenfabrikanten und die Regierung müssten noch resoluter dagegen angehen. „Es lässt sich nicht leugnen, dass wirklich etwas geschieht, doch es könnte viel mehr sein.“Unterdessen geht Karims Aufenthalt im Zentrum für Opfer der Kinderarbeit in Soubré dem Ende entgegen. Wenn er nach Hause zurückkehrt, wird er eine Ausbildung bei einem Schneider in der Nähe seines Dorfes beginnen. „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich meinem früheren Ich sagen: Geh nicht auf den Plantagen arbeiten, sondern in die Schule“, sagt er. „Jetzt liegt meine Zukunft klar vor mir. Ich werde meine Kinder niemals zum Arbeiten schicken, wenn sie noch Kinder sind. Ich werde sie ermutigen, in die Schule zu gehen, damit sie eine gute Arbeit finden.“Placeholder authorbio-1