Elon Musk ist es egal, ob Twitter zur kommerziellen Pleite wird – er hat politische Ziele
Meinung Elon Musk hat sich den „Kurznachrichtendienst“ Twitter nicht gekauft, um damit Geld zu verdienen. Sondern um die sozialen Medien zugunsten der politischen Rechten neu auszubalancieren
Foto: Dimitrios Kambouris/Getty Images for The Met Museum/Vogue
Warum sollte man Donald Trumps Twitter-Konto wieder freischalten? Elon Musk hatte nach seiner Übernahme von Twitter eigentlich angekündigt, dass diese und andere ähnliche Entscheidungen erst dann getroffen würden, wenn ein „Content Moderation Council“ eingerichtet worden sei, also eine Abteilung zur Überwachung und Moderation von Tweets. Dann beschloss Musk, Trumps Konto freizuschalten, nachdem er kurzentschlossen Twitter-User darüber hatte abstimmen lassen. Er reaktivierte auch die Konten des Rappers Kanye West, der nach antisemitischen Äußerungen aus dem Verkehr gezogen worden war, und Andrew Tates, eines frauenfeindlichen „Influencers“, der 2017 wegen Verletzung der Nutzungsbedingungen gesperrt worden war.
All das versetzt o
versetzt ohnehin schon nervöse Werbekunden, die etwa 90 Prozent der Einnahmen des Unternehmens ausmachen, in eine prekäre Lage. Die Schwarze Bürgerrechtsorganisation NAACP hat große Unternehmen dazu aufgerufen, ihre Werbung auf Twitter einzustellen. Viele von ihnen haben das schon getan. Die Trump-Entscheidung Musks könnte obendrein zu einer wahrnehmbaren politischen Reaktion gegen die Plattform führen, insbesondere unter den Nutzern. Dazu läuft gegen Musk ein Ermittlungsverfahren wegen seines Verhaltens während der Übernahme von Twitter.Trump, Antisemiten, Frauenhasser: Musk sind alle willkommenObwohl Musk der reichste Mann der Welt ist, sieht sehr wenig von dem, was er seit dem Kauf von Twitter getan hat, auch nur im Entferntesten nach gutem Geschäftssinn aus. Einiges davon ist darauf zurückzuführen, dass sein Managementstil hier in aller Öffentlichkeit zutage tritt: Musk ist dafür bekannt, Beschäftigte zu terrorisieren, das Gesetz zu brechen, Gewerkschaften zu behindern und Mitarbeiter, die ihn kritisieren, zu feuern. Es scheint, als wolle er genau das gleiche auch bei Twitter durchziehen, was auch damit zu tun hat, dass er nun mal unanfechtbar davon überzeugt ist, es am besten zu wissen. Doch Musks Interesse an Twitter ist nicht rein kommerzieller Natur. Er ist ganz klar der Meinung, dass das alte Management von Twitter linkslastig war. Und er will wieder ein freundlicheres Klima für rechte Agitatoren schaffen. Sein Ziel scheint es zu sein, Twitter neu aufzustellen und dessen angebliche politische Tendenz zu ändern.Musk hat eine Plattform gekauft, von deren Funktionsweise er wenig wusste, und begann dann nach dem Motto des Silicon Valley „to move fast and break things“, also eine Art Schocktherapie umzusetzen. Der Kauf selbst, der die Schulden des Unternehmens um 13 Milliarden Dollar erhöhte, war die erste Schramme, die er ihm zugefügt hat. Die zweite: die Massenentlassungen, die die Werbekunden nervös machten und den Zorn der Federal Trade Commission auf Twitter lenkten. Musk hat etwa die Hälfte der Angestellten gefeuert, bevor er dann einige von ihnen bat, zurückzukommen. Allerdings sickerten bald darauf Slack-Nachrichten durch, in denen ein leitender Twitter-Angestellter deutlich machte, wie wenig diejenigen, die zurückkehrten, geschätzt wurden, und wie schnell sie wieder entlassen werden würden. Er nannte sie „schwach, faul und unmotiviert“ und sagte, sie könnten bald ein zweites Mal gefeuert werden.Musk hat weitere 1.200 Mitarbeiter entlassen, darunter auch Ingenieure, die für die Verwaltung von Inhalten und die Beseitigung von Softwarefehlern zuständig sind, nachdem er ihnen eine Art Treueschwur auferlegt hatte. Er verlangte von den Ingenieuren, dass sie ihm Belege ihrer Programmierarbeit vorlegen, um ihren Wert für das Unternehmen zu erweisen – eine bizarre Herangehensweise, wenn man bedenkt, dass der Code bei Twitter in einer kollektiven Anstrengung gemeinsam geschrieben wird – und er hat 50 Tesla-Mitarbeiter ohne offensichtliche Erfahrung mit sozialen Medien abgestellt, um den Code von Twitter zu überprüfen. Als ein Ingenieur öffentlich auf Twitter eine Bemerkung von Musk richtigstellte, als der sich über die Leistungsprobleme der Plattform ausgelassen hatte, feuerte er den Mann per Tweet.Sein Online-Verhalten lässt das Unternehmen ziemlich mies da stehen. Auch der Faktencheck von Twitter korrigierte ihn auf ziemlich peinliche Art und Weise, nachdem Musk fälschlicherweise getwittert hatte, dass Twitter „eine riesige Anzahl von Klicks“ auf andere Websites lenke und der „mit Abstand größte Klicksammler im Internet“ sei.It's the Kulturkampf, stupid!Die Sache ist dabei allerdings die: Nichts an Musks Verhalten deutet darauf hin, dass es ihm bei dem Twitter-Chaos in erster Linie ums Geschäft geht. Dem Wall Street Journal zufolge wurde Musks Übernahme von Twitter nicht nur vom entlassenen Twitter-CEO Jack Dorsey unterstützt, sondern auch von einem Netzwerk rechtsgerichteter libertärer Milliardäre, die Musk nahe stehen, darunter PayPal-Gründer Peter Thiel.Ein Grund für das Interesse der Libertären an Musk, so das Wall Street Journal, sei seine politische Entwicklung. Obwohl er einst in der politischen Mitte verortet war, den Kandidaten Andrew Yang bei den Vorwahlen der Demokraten unterstützte, lehnte Musk die Sperrung von Trumps Twitter-Account vehement ab. Er glaubt, dass Twitters Politik der Inhaltsmoderation politisch motiviert sei, und behauptet, Twitter habe eine „linksextreme Tendenz“. (Das ist nicht wahr: Twitter hat durch eigene interne Untersuchungen herausgefunden, dass es rechte Inhalte verstärkt). Musk selbst hat in letzter Zeit Desinformation und Verschwörungstheorien verbreitet, z. B. über Covid-19 und den Angriff auf Paul Pelosi, den Ehemann der Demokratischen Politikerin Nancy Pelosi.Als Twitter-CEO rief Musk dazu auf, die Republikaner bei den US-Midterms zu unterstützen, und verbreitete nach deren schwachem Abschneiden die Verschwörungstheorie, der bankrotte Krypto-Unternehmer Sam Bankman-Fried habe Geld für die Demokraten gewaschen. Musk ist zwar kein wirklicher Trump-Unterstützer, aber er betreibt und befeuert den Kulturkampf der amerikanischen extremen Rechten nach Kräften.Elon glaubt, Twitter sei links. Doch dem war nie soEs könnte also durchaus sein, dass die Übernahme von Twitter durch Musk zum Teil ein politischer Schachzug war, der darauf abzielte, ein Kommunikationsnetzwerk zu stören. Und zwar eines, von dem die amerikanische Rechte behauptet, es sei gegen sie voreingenommen. Es stimmt ja: Twitters Bedeutung für die Politik übersteigt seine kommerzielle Bedeutung bei weitem. Am Anfang profitierte der „Kurznachrichtendienst“, wie er damals hieß, von seiner Nähe zum Weißen Haus unter Barack Obama und seiner mutmaßlichen Rolle in den „Twitter-Revolutionen“ wie dem Arabischen Frühling; der Begriff wurde damals vom US-Außenministerium geprägt. Twitter wurde als ein Mittel gesehen, um den Einfluss der USA im Ausland zu stärken. Nun hat die Plattform diese Revolutionen ebenso wenig bewirkt wie den Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen oder die Protestbewegung Black Lives Matter, aber Twitter stand immer im Mittelpunkt dieser politischen Kämpfe, weil Aktivisten, Politiker und Reporter die Plattform nutzten. Obwohl sie viel weniger Nutzer als Facebook oder TikTok hat, war und bleibt sie ein mächtiges Instrument zur Beeinflussung des öffentlichen Diskurses. Wer auch immer Twitter kontrolliert, egal, ob er sich dessen bewusst ist, übt echte politische Macht aus.Entgegen der Meinung von Musk hat der alte Vorstand von Twitter aber diese Macht nicht für die Linke verwendet. Im Gegenteil: Twitters Praxis der Inhaltsmoderation hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, um Werbekunden und Regierungen zu besänftigen. Twitter wollte all die faschistischen C-Promis und rechtsextremen Verschwörungserzähler gar nicht loswerden, geschweige denn die lukrativen Großaccounts der extremen Rechten wie Donald Trump und Alex Jones: Sie wurden dazu gezwungen. Jetzt, unter Musks Ein-Mann-Herrschaft, wird Twitter neu ausgerichtet. Das passiert teilweise zu Musks eigenem Vergnügen. Er steht darauf, „die Linken zu triggern“ und rollt den Hetzern und Produzenten von Desinformation und rechtsextremer Propaganda auf seiner Plattform den roten Teppich aus. Zugleich geht es ihm darum, das Gleichgewicht der Online-Informationsökologie weiter zugunsten der Rechten zu verschieben.Die Entsperrung von Trumps Konto wird die Zeiten nicht zurückbringen, in denen der Ex-Präsident für Twitter in einem einzigen Jahr zwei Milliarden Dollar einbrachte. Aber sie ist ein Hinweis darauf, wohin Musk die Plattform führen will.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.