Freiheit Die Copyright-Kriege führen in eine Sackgasse. Denn das Internet ist längst nicht nur ein Ort für Unterhaltung. Für die meisten ist das Netz Teil des täglichen Lebens
Wie kann man die unterschiedlichen Bedürfnisse der Online-User zusammenbringen? Jedenfalls nicht, indem man das Netz beschneidet.
Foto: entapir
Ich habe mehr Lösungsvorschläge zur Beendigung der Copyright-Kriege gesehen, als ich warme Abendessen zu mir genommen habe. Immer griffen sie zu kurz. Das liegt daran, dass es im Grunde allen, die solche Lösung anbieten, um die Künstlereinkommen geht – meine Sorge indes dreht sich um das Wohl des Internets.
Klar, um die Künstlereinkommen mache ich mir auch Gedanken – aber erst in zweiter Linie. Immerhin ist bislang fast jeder gescheitert, der versucht hat, von der Kunst seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nicht wenige haben bei dem Versuch sogar noch Miese gemacht. Mit dem Internet hat das aber nichts zu tun: Die Kunst ist ein furchtbares Geschäft, bei dem der Großteil der Einnahmen einem statistisch unbedeutenden Bruchteil der Schaffenden zu
ffenden zufließt. Ich bin zufälligerweise einer der extrem glücklichen Lottogewinner in dieser seltsamen Branche und kann meine Familie mit Kreativ-Arbeit ernähren. Aber ich bin nicht engstirnig genug, zu denken, dass ich und das Schicksal der 0,0000000000000000001 Prozent, die sich ebenfalls in dieser Lage befinden, hier das eigentliche Thema sind.Was ist dann das eigentliche Thema? Einfach gesagt: Das Wohlergehen des Internet.Die Copyright-Kriege haben der Widerstandsfähigkeit des Internets zugesetzt. Dabei ist diese gerade jetzt so dringend nötig. Das Internet ist heute Teil unseres täglichen Lebens. Und das auf eine Weise, die selbst die wildesten Voraussagen aus den 1980ern übertrifft – es ist der Standardweg, auf dem wir heute unsere Kinder zum Tanzkurs anmelden, die Gasrechnung bezahlen, Videoaufzeichnungen von Polizeigewalt posten, die Erlaubnis für den Bau eines Gartenhäuschens beantragen, Urlaub buchen, recherchieren, ob wir zum Arzt müssen, einen Aufsatz für die Schule verfassen, unseren Lebensunterhalt verdienen – und zunehmend auch für alles andere. Etwa den Gemüseeinkauf, den Abschluss von Versicherungen, ein Studium und alle anderen Aktivitäten, die eine umfassende Teilhabe am öffentlichen Leben ausmachen.Nichts davon hat etwas mit der Unterhaltungsbranche zu tun und nichts davon wird berücksichtigt, wenn die in der Regierung sitzenden Freunde dieser Industrie ihre Pläne für den Kampf gegen „Piraterie“ schmieden.Alles was wir tun, hat etwas mit dem Internet zu tun. Für alles, was wir in Zukunft tun werden, werden wir es brauchen.Lebensader InternetDas Internet ist wichtig. Aber in den Copyright-Kriegen wird es behandelt, als sei es belanglos: Wie Kabelfernsehen 2.0 oder die Wiederkunft des Telefons, wie das größte Pornovertriebssystem der Welt. Gesetze wir der britische Digital Economy Act schneiden ganze Familien ohne ein rechtsstaatliches Verfahren vom Netz ab, weil ein Mitglied beschuldigt wird, auf falsche Art und Weise fernzusehen. Das wäre schon schlimm genug, wenn das Internet nur ein Kanal für Entertainmentprodukte wäre. Doch für viele Familien ist das Internet die Lebensader. Irgendwelchen ausländischen Unternehmen aus der Unterhaltungsindustrie das Recht zu geben, jemanden den Zugang zum Netz zu verwehren, ist, als würde man dem Wasserfilterhersteller Brita die Macht einräumen, einer Familie das Wasser abzudrehen, wenn sie den Verdacht hegt, ihre Produkte würden dort missbräuchlich benutzt.Das Internet ist der beste – und oftmals der einzige Ort – um Informationen aller Art zu veröffentlichen. Dennoch haben die englische Richter kürzlich entschieden, dass die Unterhaltsindustrie eine schwarze Liste von Seiten zusammenstellen kann, die ihr nicht genehm sind und die dann per richterlicher Anordnung von den Service-Providern ohne Anhörung, geschweige denn Verfahren blockiert werden müssen.Ohne Netzwerk ist alles nichtsDas Internet funktioniert nur in Verbindung mit Geräten. Also haben Geräte mit Internetanschluss sich stark verbreitet. „Stand-alone-Geräte“ verlieren hingegen rasant an Bedeutung. Ohne Netzwerke tendiert der Wert einer fast jeden Sache gegen Null.Dennoch machen Gesetze wie die Urheberrechtsrichtlinie der EU oder US-Gesetze wie der Digital Millenium Copyright Act es buchstäblich zu einem Verbrechen, aus den Geräten „auszubrechen“, eigene Software darauf zu installieren, die Software des Geräts zurückzuentwickeln und verborgene Schwächen zu entdecken, die ein Risiko für einen selbst darstellen könnten. Jede Woche kommt aufs neue heraus, dass ein Gerät nicht so sicher ist, wie es sein sollte. Eine Politik, die es kriminalisiert, wenn man die Software eines Gerätes ändert, um sicherzustellen, dass man nicht gegen regionale Kontrollen verstößt oder den App-Store umgeht, ist einfach nur verrückt.Zurück zu den „Lösungen“. Viele wohlmeinende Leute haben mir erklärt, man könne aus der Sackgasse, in der die Diskussion um das Urheberrecht steckt, herauskommen. Dafür brauche es Möglichkeiten, die Künstler und die hinter ihnen stehenden Firmen einfacher zu bezahlen. Doch selbst wenn die Menge des Geldes, das der Unterhaltungsbranche zufließt, sich durch Mikrotransaktionen verfünffachen würde - die Forderungen nach mehr Zensur, mehr Überwachung, mehr Kontrolle würden dadurch wohl nicht im Mindesten leiser werden. Die Experimentalpsychologie hat schon vor langem gezeigt, dass es eine pathologische „Verlustaversion“ gibt – wir schenken dem, was wir verloren haben, mehr Aufmerksamkeit als dem, was wir hinzugewinnen. Die Unterhaltungsbranche ist da ein Paradebeispiel – wie sonst ließe sich das Ächzen und Zähneknirschen über die Verluste durch Piraterie erklären, das jedes Jahr mit der Verkündigung der glänzenden Umsätze an den Kinokassen einhergeht?Die Unterhaltungsbranche hält KursAuch Boykotte sind keine Lösung. Ich bin voll und ganz dafür, DRM-freie Medien mit Creative Commons-Lizenzen zu unterstützen. Doch selbst wenn wir alles Geld, das wir für Unterhaltung ausgeben, auf freie, internet-freundliche Alternativen zu Big Content verwenden und nur noch diese konsumieren würden – es würde die Unterhaltungsbranche nicht von ihren Forderungen abbringen, es müsse etwas gegen das „Piraterieproblem“ getan werden.Ich bin als Schreibender selbst Teil dieser Industrie, verdiene in ihr mein Geld. Aber ich bin nicht nur Autor, sondern auch Vater und Sohn. In einer freien Gesellschaft zu leben ist mir wichtiger als die Möglichkeit, meinen Lebensunterhalt als Kreativer zu verdienen. Und wenn der Preis für die „Rettung“ meiner Branche in der Freiheit und Offenheit des Internets besteht, dann werde ich wohl aus dem Club der 0,0000000000000000001 Prozent austreten müssen.Glücklicherweise glaube ich nicht, dass das sein muss. Wenn wir erlauben, dass das Problem unter der Fragestellung, „Wie bezahlen wir die Künstler?“ behandelt wird, kommen dabei Lösungen für meine Probleme, die Probleme der 0,0000000000000000001 Prozent heraus. Die der ganzen großen Welt blieben unberücksichtigt.Anti-Piraterie-Kampagnen betonen das gesellschaftliche Risiko, das entsteht, wenn die Leute auf die Idee kommen, es sei in Ordnung, sich etwas einfach so zu nehmen („Man würde ja auch kein Auto stehlen...“). Meine Sorge dreht sich um das Risiko, die Regierungen könnten auf die Idee kommen, Kollateralschäden, die dem Internet durch Regularien entstehen, seien ein akzeptabler Preis für die Umsetzung „wichtiger“ Ziel der Politik.Dahinter steht die Annahme, mit diesen Maßnahmen einhergehende Beeinträchtigungen des Internets seien ein hinnehmbarer Preis, wenn es um die eigenen Ziele geht. Sinn ergibt das nur, wenn man das Internet radikal unterbewertet – deshalb auch die Sympathie des Establishments für Autoren, die uns erzählen wollen, dass das Internet uns dumm macht oder im arabischen Frühling keine Rolle gespielt habe oder das Niveau von Diskursen senke.Immer wenn Sie jemanden das Internet runtermachen hören, überlegen Sie gut, ob diese Person irgendwie davon profitieren würde, wenn das Internet selektiv zu ihren Gunsten beeinträchtigt würde.Lösungen für Kriege aller ArtWas ist also die Lösung für die Copyright-Kriege? Die gleiche wie für die Presseregulierungs-Kriege, die Kriege gegen den Terrorismus, die Überwachungskriege, die Pornokriege: Wir müssen anerkennen, dass das Internet das Nervensystem des Informationszeitalters ist. Und dass der Erhalt seiner Integrität und seiner Freiheit von Überwachung, Zensur und Kontrolle der essentielle erste Schritt zur Gewährleistung jedes anderen wünschenswerten politischen Ziels ist. Was ist nun mit der Unterhaltungsbranche und ihrem „Piraterieproblem“? 1939 veröffentlichte der Science Fiction-Autor Robert A. Heinlein seine erste Kurzgeschichte „Lebenslinie“. Sie enthielt die zutreffendste seiner Voraussagen:„In den Köpfen gewisser Gruppen in diesem Land ist die Vorstellung gewachsen, wenn ein Mensch oder ein Unternehmen einige Jahre lang Profit an der Öffentlichkeit gemacht habe, sei es die Pflicht der Regierung und der Gerichte, diese Profite auch in der Zukunft sicherzustellen. Auch wenn die Umstände sich ändern oder es dem öffentlichen Interesse entgegensteht. Diese seltsame Doktrin wird weder von Gesetzen, noch vom Gewohnheitsrecht unterstützt. Weder Einzelpersonen noch Unternehmen haben das Recht, vor Gericht zu gehen und zu fordern, dass das Rad der Geschichte angehalten oder zurückgedreht wird.“
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