Er mochte das Durchschnittliche

John Updike ist tot Im Alter von 76 Jahren starb John Udike, der Chronist des kleinbürgerlichen Amerika

„Mein Thema“, sagte der amerikanische Romanautor John Updike, der gestern im Alter von 76 Jahren starb, einst, „ist die kleinstädtische weiße Mittelklasse Amerikas.“ In einer Gesellschaft der Extreme, in der Gewalt zur Tagesordnung gehörte, bewahrte Updike sich den Glauben, dass ein normales Leben in Amerika möglich sei. „Beim Schreiben denke ich nicht an New York, sondern an einen unbestimmten Ort irgendwo ein wenig östlich von Kansas. Ich stelle mir die Bücher vor, die dort seit Jahren ohne Umschlag in den Regalen der Bücherei stehen und irgendwann von einem Landei-Teenager gefunden werden, zu dem sie dann sprechen müssen.“

Unbestreitbar weiß, heterosexuell und protestantisch, trug Updike immer schwer daran, kein schwarzer, kein weiblicher, kein schwuler und kein jüdischer Schriftsteller zu sein – er war so gar nicht multikulturell. Zudem brachte er es fertig, stets auf der „falschen“ Seite zu stehen, wenn es bei einem Thema einen linken Konsens gab. Updike befürwortete die US-Intervention in Vietnam und bezweifelte den Sinn öffentlicher Kunstförderung. Er schrieb mit leidenschaftlicher Anmut über die Liebe zu den Frauen, fand aber keinen Geschmack an der ebenso eleganten Schilderung von Homosexualität. Schwule Schriftsteller standen schon bald Schlange, um ihre Verärgerung loszuwerden. Updike hatte so viel WASP-Oberschicht an sich, dass ganz in Vergessenheit geriet, aus welch bescheidenen Verhältnissen er tatsächlich kam.

Geboren wurde Updike in Shillington, einer kleinen Stadt in Ost-Pennsylvania. Sein Vater Weasley fand nach Phasen der Arbeitslosigkeit eine schlecht bezahlte Anstellung als Mathematiklehrer an der Highschool des Ortes. Er war immer Republikaner gewesen, wechselte aber ins andere politische Lager über, um Roosevelt zu wählen. „Die Erinnerung daran, von der Gesellschaft und dem Big Business verstoßen worden zu sein, verließ ihn nie“, schrieb Updike 2007. Weasleys Hinwendung zu der Partei, die dem „Vergessenen“ einen „New Deal“ versprach, blieb der Sohn zeit seines Lebens treu. Updikes Mutter Linda Hoye war im weitesten Sinne kulturell interessiert und hatte den typischen Ehrgeiz einer Kleinstädterin. Sie arbeitetet als Verkäuferin, hatte einen Masterabschluss im Fach Englisch gemacht und wollte Schriftstellerin werden. Später veröffentlichte sie mit Enchantment (1971) und The Predator (1990) zwei Kurzgeschichten-Bände. Das Geräusch ihrer Schreibmaschine habe dem Haus ein “verborgenes Leben“ gegeben, heißt es in den Kindheitserinnerungen Updikes. In späteren Jahren nach dem Ruhm ihres großen Sohnes gefragt, sagte Linda freilich kühl: „Mir wäre es lieber, er wäre mir zuteil geworden.“

Obama und McCain zählen ihn zu ihren Lieblingsautoren

Updikes Familie wählte stets die Demokraten. Der Autor selbst unterstützte im Wahlkampf 2008 den demokratischen Kandidaten Obama, bezeichnete die republikanische Vize-Kandidatin Sarah Palin als Spatzenhirn und zeigte sich erstaunt darüber, dass sowohl Obama als auch sein Gegenkandidat McCain ihn zu ihren Lieblingsautoren zählten.

Als Junge besuchte Updike die lutheranische Kirche Shillingtons, in der sein Vater Diakon war. 1945, John war dreizehn Jahre alt, kauften die Updikes die Farm der Famile Hoyer und zogen nach Plowville, Pennsylvania. John Updike, der urbanste der amerikanischen Schriftsteller, verbrachte seine Jugendjahre auf einer 83 Morgen großen Farm.

Shillington blieb sein Dublin, sein Paris, seine Lower East Side. „Ich liebte Shillington nicht wie man Capri oder New York liebt, aufgrund seiner Besonderheiten, sondern so, wie man seinen eigenen Körper und sein eigenes Bewusstsein liebt, weil sie gleichbedeutend mit der eigenen Existenz sind.“

Dieses Gefühl der Zugehörigkeit, das Gefühl aus einem Ort zu kommen, in dem der Name der Familie ein Begriff war, stattete den jungen Autoren mit einem Verhältnis zu Amerika als Subjekt des eigenen Schreibens aus, das ihn von anderen Kollegen unterschied. Er verlor nie das Gespür für die Poesie des gewöhnlichen Lebens, für das durchschnittliche Amerika der öffentlichen Schulen und Supermärkte. „Dort fühlte ich mich wohl. Ich hatte das Gefühl, dass die echten Geschichten dort stattfanden.“

Stipendiat in Harvard

Das Schreiben und das Zeichnen bereitete dem schüchternen, hochgewachsenen, aber auch etwas hochmütigen Muttersöhnchen mit der römischen Nase die größte Freude. Der anerkannte Comic-Zeichner hoffte, einmal für Walt Disney arbeiten zu können. Regelmäßig schrieb er für die Chatterbox, die Schülerzeitung seiner High School, und ergatterte ein Stipendium für englische Literatur in Harvard.

Dort teilte er ein Zimmer mit dem Gesellschaftskritiker Christopher Lasch. Vom wichtigsten Literaturmagazin der Universität, The Advocate, für das lauter Ehrgeiziglinge schrieben, die sich zu Höherem berufen fühlten, hielt er sich fern. Stattdessen schloss er sich dem Lampoon an, einem ehrwürdigen Club blaublütiger Dilettanten. Er profilierte sich als reger Mitwirkender der Satire- und Parodiezeitschrift und wurde schließlich auch an deren Spitze gewählt.

Zwei Mal wurde Updike von Professor Archibald MacLeish der Zugang zum renommierten Kurs für kreatives Schreiben verwehrt. Auch von den Talentsuchern des Harvard-Bostoner Literatur-Establishments blieb er unentdeckt. Er heiratete die Kunsthistorikerin Mary Pennington, die im folgenden Jahr ihr Studium mit summa cum laude abschloss.

New Yorker

Upike studierte dann an der Ruskin School of Drawing in Oxford, wo 1955 Elisabeth, das erste Kind des Paares geboren wurde. Im selben Jahr kehrte Updike nach Amerika zurück, um Teil der Redaktion des Magazins New Yorker von William Shawn zu werden. Dann bot ihm Katherine White, die Gattin des legendären New Yorker–Autoren E.B. White die Kolumne Talk of the Town an. Der New Yorker war für Updike immer ein wichtiger Einfluss gewesen. Im Alter von zwölf Jahren hatte er ein Abonnement geschenkt bekommen und war fortan der zurückhaltenden Typographie und dem kosmopolitischen Witz des Magazines verfallen. Auf Anregung seiner Mutter hatte er jahrelang Beiträge eingereicht. Im Juni 1954, dem Monat, in dem er in Harvard seinen Abschluss machte, wurde dann tatsächlich eines seiner Gedichte und eine Geschichte zur Veröffentlichung angenommen.

Nach seiner Rückkehr aus England wurde Updike zur Untersuchung für den Militärdienst vorgeladen. Aufgrund einer Psoriasis-Erkrankung, die ihn sein ganzes Leben begleitet hat, wurde er als untauglich eingestuft und vom Wehrdienst befreit. Die Eskalation des Krieges in Vietnam verfolgte er am Fernsehgerät. Shawn beförderte ihn bald von „Talk“-Reporter zum Talk-Autoren. Diese Beförderung bedeutete nicht nur ein Gehalt von 120 US-Dollar die Woche, sondern auch, dass seine Beiträge – Interviews, Faktenstücke, oder „Besuche“ – nicht länger automatisch zum Umschreiben weitergereicht wurden, wie es bei dem Magazin üblich war.

Die Updikes mieteten ein kleines Appartement am Riverside Drive in der Upper West Side von Manhattan. Es war eine Zeit der aufregenden literarischen Entdeckungen. In Oxford hatte Updike zum ersten Mal Nabokov gelesen, in New York lernte er Joyce, Proust und Kierkegaard kennen. Arbeitete Updike gerade nicht für das Magazin, saß er an einem langen Manuskript mit dem Titel „Home“, das sein Leben bis zum sechzehnten Lebensjahr behandelte. Dass sich auf der Lektüre von Hemingway, Steinbeck oder Dos Passos eine literarische Karriere gründen ließe, kam ihm nie in den Sinn. Die Ära der amerikanischen Literatur, die von der Erfahrung des Ersten Weltkrieges und dem Paris der Expatriierten geprägt wurde, endete in John Updikes New Yorker Wohnung mit der zweiten Amtszeit des Präsidenten Dwight D. Eisenhower.

Meinungen interessierten ihn nicht

Der New Yorker förderte Updikes liebevollen Respekt für die Faktizität, für das Gewicht der Dinge. Er spürte den Dingen nach, die man riechen und berühren kann. Als Romanautor zeigte er schlichtweg kein Interesse an „Meinungen“. Der Kommentar des Kritikers John Carey, die ersten drei Rabbitt-Romane seien eine „intellektuelle“ Wüste, hätte Updike wohl mit einigem Stolz zur Kenntnis genommen.

Zwanzig Monate blieb Updike beim New Yorker, befand dann aber, dass die Stadt ihn zu sehr ablenke und sogar seine Kreativität bedrohen könne. Im Jahr 2003 schrieb er: „Während der zwanzig Monate meines Aufenthaltes in New York kam es mir vor, als sei die Stadt voll von anderen Schriftstellern, voll kultureller Hektik, und das Geschäft mit den Worten überlaufen von Literaturagenten und Besserwissern. Das echte Amerika schien mir „dort draußen“ zu sein. „Dort draußen“ gehörte ich hin.“ Er schmiss den Job, schrieb allerdings weiter für die Talk-Kolumne und verdiente den Unterhalt der Familie mit Kurzgeschichten, die er an den New Yorker verkaufte.

1957 zog die Familie nach Ipswich im Bundesstaat Massachusetts. Dort bekam das Ehepaar Updike noch drei weitere Kinder und begann ein Leben in einer Kleinstadt an den Ausläufern des Bostoner Pendler-Gürtels. Sie besuchten die Congregational Church, spielten in der örtlichen Flötengruppe und waren in der demokratischen Partei eingeschrieben. Durch Mary, die liberaler und feministischer eingestellt war als ihr Ehemann, nahmen die Updikes aktiv an den Debatten um eine gerechte Wohnungspolitik teil, die in der Stadt geführt würden.

Updikes Debütroman The Poorhouse Fair (1959) ist eine meisterhafte Beobachtung der Bewohner des Altersheims und Armenhauses von Diamond County, wo eine Werteauseinandersetzung zwischen einem christlichen Heimbewohner und dem Leiter der Anstalt tobt, der an die Perfektionierbarkeit des Menschen glaubt. Updikes sprachliche Brillanz wurde 1959 noch recht verhalten aufgenommen. „Das ist alles sehr gut gemacht“; schrieb Orville Prescott, der Chefrezensent der New York Times, „aber es ist auch unscharf und formlos, man kann es leicht beiseite legen und schnell wieder vergessen.“

Ein geschickter Handwerker

Die Veröffentlichung zweier Bände mit Short Stories – The Same Door (1959) und Pigeon Feathers (1962) festigte Updikes Ruf als geschickter Handwerker. Dies war allerdings nicht unproblematisch. Was einem Borges oder einem Nabokov verziehen oder bei diesen sogar bewundert wurde, wurde bei einem jungen Amerikaner mit Misstrauen betrachtet. Und so fragten Rezensenten und Zeitgenossen wie Norman Mailer mit zunehmender Schärfe, ob es sich bei Updike nicht um einen inhaltslosen Stilisten handele.

Die Rabbit-Romane (1960-1999) wurden mit Preisen überschüttet und Updike gewann für zwei von ihnen den Pullitzer-Preis für Belletristik. „Ich mag das Durchschnittliche“, bemerkte Updike. „Hier treffen die Extreme aufeinander, hier herrscht die Mehrdeutigkeit.“ Nur wenigen Romanen ist es gelungen, das gewöhnliche Kleinstadtleben und seine Mühen besser auf den Punkt bringen.

Die Sechziger waren in den USA eine gute Zeit für einen jungen, aufstrebenden Romancier. Updike mietete sich über einem Restaurant im Zentrum von Ipswich ein Arbeitszimmer und schrieb dort an sechs Tagen in der Woche, immer morgens und immer mit der Hand. (Er fing erst 1983 an, einen Computer zu benutzen.) Vietnam war weit weg und es gab ausgezeichnete Golfplätze. (Updike schrieb für Golf-Magazine und brachte seine gesammelten Essays und Geschichten 1996 in dem Buch Golf Dreams heraus). Wenn er in New York war, besuchte er regelmäßig das Museum for Modern Art – seine gesammelten Kunst-Kritiken wurden 1989 unter dem Titel Just Looking veröffentlicht – und es gab immer genügend Bücher für den New Yorker und die New York Review of Books zu besprechen (wie z.B. Assorted Prose, 1965). Trotz allem hielt sich der Verdacht, Updike habe es sich im kleinstädtischen Amerika gemütlich gemacht, er habe kein großes Thema und nicht wirklich etwas zu sagen.

Ein ambitioniertes Porträt der ersten nach-puritanischen Generation

Die gesellschaftlichen Veränderungen der Sechziger hatten einen gewaltigen Einfluss auf den hart arbeitenden Schriftsteller in seiner Dachkammer: „Wir rauchten Gras, trugen Dashikis und Liebesketten und hörten die Beatles und Janis Joplin.“ Mit seinem fünften Roman Couples, der 1968 veröffentlicht wurde, schaffte Updike es in die Bestseller-Listen. Er erschien auf der Titelseite des Time-Magazine. Obwohl die Geschichte abermals vor einem kleinstädtischen Hintergrund spielte, war Couples ein sehr ambitioniertes Portrait der ersten nach-puritanischen Generation. In dem Roman geht es um zehn Paare, deren Leben sich um Geld und die Anti-Baby-Pille dreht. Alle sind „Swinger“ (ein neuer Ausdruck in der amerikanischen Kultur), die Ehen in unterschiedlichem Maße zerrüttet und Sex ist eine Sache, über die man bei Cocktail-Partys plaudert. Updike beschreibt eine kleinstädtische Welt, die weit weniger von der Politik berührt wird, als man dies heute erwarten würde. Die sexuellen Umtriebe der Paare werden von der Ermordung John F. Kennedys, dem Vietnam-Krieg und dem Kampf der Bürgerrechtsbewegung kaum gestört.

Updike hatte nicht von Natur aus die Anlage zum Bad Guy wie etwa Philip Roth oder Henry Miller, aber er verachtete „guten Geschmack“ – „Ich denke, guter Geschmack ist eine soziale Kategorie, keine ästhetische“, sagte er einmal in einem Interview, – und schrieb mit viel Humor und unverhohlener Lust über Frauen. Er verurteilte die Untreue der Paare nicht, sondern beobachtete nur und beschrieb, wie Flaubert und Joyce dies getan hatten, und wie es einem Romancier auch am besten zu Gesichte steht.

Updike trennte sich 1974 von seiner Frau und sie ließen sich zwei Jahre später in aller Freundschaft scheiden. 1977 heiratete er Martha Bernhard. Seine erste Ehe und deren Scheitern stellte ihm reichhaltiges Material für eine autobiographische Reihe von Geschichten über Richard und Joan Maple zur Verfügung (Too Far to Go: The Maple Stories, 1979).

In den Achtzigern schrieb er seine Autobiographie (Self-Consciouseness) und vier bedeutende Romane, von denen einer – The Witches of Eastwick – erfolgreich verfilmt wurde. Fünf Romane, eine Geschichtensammlung (The Afterlife, 1994), besagtes Golfbuch, ein Gedichtband und weitere Sammlungen mit literarischen Essays folgten. Ein viel beachteter, über 800 Seiten starker Band versammelte Updikes Early Stories (2003), für die er 2004 den PEN/Faulkner-Preis erhielt.

Zum Schluss ein geachteter Rezensent

John Updike war drei Jahrzehnte lang Chef-Rezensent des New Yorker. Die Bandbreite der Interessen Updikes, die von einer kenntnisreichen Besprechung einer theologischen Abhandlung von Karl Barth bis zu der Rezension einer Doris Day-Biographie reichen, lassen den Vergleich mit Edmund Wilson angemessen erscheinen. Seine Besprechungen fielen fast immer positiv aus. Dass er einige wenige Romane von Philip Roth und Tom Wolfe negativ besprach, verwirrte die beiden Kollegen sehr, was davon zeugt, dass sein Urteil, dem er nie auf aggressive Weise Gehör zu verschaffen suchte, mit zunehmendem Respekt aufgenommen wurde.
Peter Conrad schloss ein Ende 2008 mit Updike geführtes Interview mit folgenden Worten:
„Er hat mehr für uns alle getan, als die Banker und Broker der Wall Street. Und anders als die Profite, die man an der Börse auf dem Papier machen kann, werden seine Bücher niemals ihren Wert verlieren.“

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman, Holger Hutt
Geschrieben von

Eric Homberger, The Guardian | The Guardian

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