Es geht nur um den Blick

Kino Eine Ausstellung in New York untersucht Geschlechterrollen auf klassischen Filmplakaten
Ausgabe 17/2019

Klassische Hollywoodfilmposter werden oft nostalgisch betrachtet, als eine Art von Eskapismus. Aber wir wollen den Leuten einen anderen Zugang ermöglichen“, sagt Ron Magliozzi, Co-Kurator einer besonderen neuen Ausstellung. Das Museum of Modern Art in New York zeigt in What Price Hollywood 140 alte Filmplakate. Sie wurden zusammengestellt, um einen neuen Blick auf die goldene Ära des Films zu ermöglichen.

„Wir haben die Plakate ausgesucht, um eine Aussage über Geschlechterrollen zu treffen. Über den Fakt, dass es viele Blicke auf diese Motive gibt, je nachdem, ob man schwul, queer, trans, ein Mann oder eine Frau ist. Wir wollten die Arbeiten in diesem Kontext zeigen“, meint Magliozzi weiter. „Es ist ein gegenderter Zugang zu dieser Sammlung.“ Das Museum verfügt über einen Bestand von rund 12.000 Plakaten. Viele der Stücke sind eine Leihgabe von Ira M. Resnick, einem Historiker und Sammler von Filmplakaten in New York. „Keiner dieser Filme hat einen queeren Inhalt, es geht nur um den queeren Blick“, sagt Co-Kuratorin Britanny Shaw. „Es geht darum, wie du als schwule Person eine Beziehung zu einem Werk herstellen kannst, wenn du dich darin wiederfinden willst, selbst wenn du gar nicht repräsentiert wirst.“

Alles fing an mit einem Plakat von What Price Hollywood?, einem US-Spielfim aus dem Jahr 1932. Als einer der ersten Filme überhaupt zeigte er den Glamour und die Abgründe des Schauspielerlebens. What Price Hollywood? war die Grundlage für viele andere Filme. Zuletzt basierte auf der gleichen Idee der Musikfilm A Star is Born mit Lady Gaga in der Hauptrolle. In dem Klassiker von 1932 sind traditionelle Geschlechterrollen dominant. „Bei einigen von denen komme ich mir vor wie in einem heterosexuellen Albtraum“, sagt Shaw. „Es ist so monoton, alle sind auf ihre Art ein bisschen gefangen.“ Im zweiten Raum der Ausstellung wird es interessanter. Hier verwischen sich die Geschlechterrollen – männliche Schauspieler spielen weibliche Charaktere und andersherum. „Rudolph Valentino war das erste Opfer von Queerfeindlichkeit in den 1920er Jahren, weil er einen femininen Mann gespielt hat“, meint Magliozzi. „Er wurde in der Presse von männlichen Journalisten schikaniert.“

Shaw und Magliozzi sind Tausende Filmplakate und sogenannte Lobbykarten durchgegangen. Das waren kleine Kärtchen, die in den Empfangshallen der Kinos auslagen und meist Standbilder oder Starporträts aus den jeweiligen Filmen zeigten. Sie erfüllten in etwa dieselbe Funktion wie heutzutage Trailer. „Das war so aufregend“, sagt Shaw, „durch Hunderte Lobbykarten zu blättern, die uns heute geradezu subversiv vorkommen, und zu verstehen, wie sie damals als Werbung benutzt wurden.“ Als die beiden Co-Kuratoren einen Brief in Resnicks Sammlung entdeckten, verschlug es ihnen die Sprache. Er stammte von Hollywood-Stummfilmstar Louise Brooks, die 1965 schrieb, dass kein Mann Filme mit Greta Garbo sehen wolle – wobei „Weicheier von dieser Verallgemeinerung natürlich ausgenommen“ seien. Der Brief beschreibt eine unausgesprochene Wahrheit der damaligen Filmindustrie.

Gegen Ende der Ausstellung findet sich eine Auswahl von Lobbykarten aus den 1930er Jahren an einer Wand. Sie sind um ein Filmplakat des Klassikers Female Trouble von John Waters aus dem Jahr 1974 angeordnet. „Wenn man sie alle zusammenstellt, erkennt man ein Muster“, sagt Magliozzi. „Mit John Waters ist ein Höhepunkt erreicht, er fordert die Auffassung von Geschlecht komplett heraus. Er zeigt, was viel später nach dieser Filmperiode kam.“

Ein weiteres Schlüsselbild der Ausstellung ist ein Plakat für Die scharlachrote Kaiserin, einen Film mit Marlene Dietrich aus dem Jahr 1934, gedreht unter der Regie von Josef von Steinberg. „Er war einer der ‚aufgeklärten Regisseure‘, zusammen mit Nicholas Ray und John Houston“, weiß Magliozzi. „Diese Regisseure spielten mit dem Geschlecht und trieben ihre Stars in Bezug auf das Geschlecht in verschiedene Richtungen.“ Das Plakat zeigt Dietrich mit US-Schauspieler Sam Jaffe, der einen Pelzmantel und eine Perücke trägt, die der Frisur seiner Filmpartnerin ähnelt. „Sie ist ein bisschen männlicher, er ist ein bisschen weiblicher“, stellt Magliozzi fest.

Zu den Filmplakaten werden auch 20 Filme gezeigt. Sie erlauben einen Rückblick auf etwas, was die Co-Kuratoren „das Wesen der Sexualpolitik auf der Leinwand“ nennen. Von homoerotischen Narrativen bis hin zu die Geschlechterstereotype verbiegenden Rollen können die Besucher Filme wie Georg Wilhelm Pabsts Tagebuch einer Verlorenen aus dem Jahr 1929, mit der bereits erwähnten Louise Brooks in der Hauptrolle, oder den experimentellen Horrorfilm Ganja & Hess von 1973 sehen.

Überall ein wenig Perversion

Die Kuratoren heben außerdem die Homoerotik verschiedener Lobbykarten hervor. Auf einer, die einen Cowboy-Film anpries, steht: „Ihre Gläser waren leer, ihre Waffen geladen.“ („Their glasses were empty, their guns were loaded.“) „Western sind die am meisten fetischisierten Filme überhaupt, da geht es viel ums Auspeitschen, ein ganzer Katalog voller suggestiven Erotizismus“, sagt Magliozzi. An anderer Stelle hängt ein Plakat für einen Warner-Bros.-Film namens Jagd auf James A., das einen Mann mit nacktem Oberkörper zeigt, der von einer Gruppe Männern ausgepeitscht wird. „Das ist eine sadomasochistische Szene, es ist ein bisschen pervers“, meint Magliozzi. „Es gibt eine Perversion in vielen von diesen Bildern.“

Magliozzi pausiert vor einer Lobbykarte für Sayonara mit Marlon Brando aus dem Jahr 1957. Sie zeigt Brando auf einem Bett sitzend, wie er einen anderen Mann im Raum anschaut. „Das sieht aus wie eine Verführungsszene“, sagt er. Die Hoffnung der Kuratoren ist es, dass die Besucher die Filmplakate über den männlichen Blick, der sie hervorgebracht hat, hinaus betrachten. „Wir wollten einem jüngeren Publikum einen Weg in die Werke aufzeigen, der neue Bedeutungen freilegt. Einem Publikum, das freier mit seinem Geschlecht umgeht, als Hollywood es einst tat“, sagt Magliozzi.

Lange vor der #MeToo-Bewegung und den Vorwürfen gegen Harvey Weinstein gab es bereits Fehlverhalten in der Filmindustrie von Hollywood. „Eine Menge toxischer Dinge sind in Hollywood vorgefallen, es gab aber auch aufgeklärte Menschen“, glaubt Shaw. „Man findet queere und feministische Momente, aber nichts davon ist perfekt.“

Info

Die Ausstellung What Price Hollywood ist noch bis zum 15. Juni im Museum of Modern Art in New York zu sehen

Nadja Sayej ist Autorin des Guardian und lebt in New York City

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Konstantin Nowotny
Geschrieben von

Nadja Sayej | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden