Fotos: Chip Somodevilla/Getty Images , Don Emmert/AFP/Getty Images
Bernie Sanders: Herr Vize-Präsident, viele Leute erlangen hohe politische Ämter und verschwinden dann. Sie sind nicht verschwunden, sondern haben sich entschlossen, sich mit einer der bedeutendsten Krisen unseres Planeten zu befassen: dem Klimawandel. Jetzt veröffentlichten Sie einen neuen Film, An Inconvenient Sequel. Könnten Sie uns ein wenig darüber erzählen?
Al Gore: Ja, in dem Film erfahren Sie alles, was Sie über die Klimakrise wissen sollten, und auch über die Lösungen, die es gibt und wie Sie selbst aktiv werden und mithelfen können.
Bernie Sanders: Vor zehn Jahren haben Sie An Inconvenient Truth veröffentlicht. Was hat sich seitdem verändert?
Al Gore: Zwei entscheidende Dinge: Zum einen kommen extreme Wetterlagen, die mit de
r zehn Jahren haben Sie An Inconvenient Truth veröffentlicht. Was hat sich seitdem verändert?Al Gore: Zwei entscheidende Dinge: Zum einen kommen extreme Wetterlagen, die mit dem Klima zusammenhängen, heute weitaus häufiger vor und sind weitaus zerstörerischer. Hier in den USA hatten wir in den vergangenen sieben Jahren bereits elf Mal sogenannte Jahrhundertregen.Die zweite Veränderung besteht darin, dass es heute Lösungen gibt. Vor zehn Jahren waren sie am Horizont sichtbar. Jetzt sind sie da.In immer mehr Städten und Regionen ist der Strom aus Solar- und Windenergie mittlerweile billiger als die Energie aus fossilen Brennstoffen. Elektroautos werden immer alltäglicher. Energiesparende Technologien werden immer kostengünstiger.Die Probleme sind heute größer, aber es gibt Lösungen. Es braucht politischen Willen, doch dabei handelt es sich um eine erneuerbare Ressource. Die Leute stehen auf. Das Pariser Abkommen vor 18 Monaten war ein historischer Durchbruch.Im ganzen Land werden Menschen aktiv. Wir arbeiten mit den Betreibern der Seite Indivisibleguide.com zusammen. Die haben eine wirklich tolle Anleitung, wie man zum Klimaaktivisten werden kann. Wir bauen auf die Menschen an der Basis.Bernie Sanders: Die meisten Menschen in unserem Land haben begriffen, dass der Klimawandel real ist. Die meisten wollen, dass wir zu erneuerbaren Energien übergehen. Dennoch gibt es allen möglichen Widerstand aus den Reihen der Republikaner. Welche Rolle spielt die Ölindustrie dabei?Al Gore: Ölunternehmen und die Betreiber von Öl-, Gas- und Kohlekraftwerken haben das Drehbuch von den Tabakkonzernen übernommen. Es gibt ein großartiges Buch mit dem Titel The Merchants of Doubt, in dem das dokumentiert wird. Sie haben dieselben PR-Agenturen engagiert. Sie versuchen, die Leute bewusst zu verwirren.Können Sie sich daran erinnern, als Wissenschaftler und Mediziner sich einig waren, dass Zigaretten mit Lungenkrebs und anderen Krankheiten in Zusammenhang stehen? Die Tabakindustrie engagierte Schauspieler, verkleidete sie als Ärzte und stellte sie vor Kameras, um den Leuten zu versichern, dass es keine gesundheitlichen Folgen gibt.Jetzt machen die Co2-Verursacher dasselbe. Sie finanzieren eine große Zahl von Pseudowissenschaftlern, die den Klimawandel leugnen und die Leute hinters Licht führen wollen.Wir sind das einzige Land der Welt mit einer großen konservativen Partei, die einen solchen Blödsinn über das Klima verbreitet. Aber so langsam tut sich etwas, da immer mehr Menschen den Schwindel durchschauen.Eingebetteter MedieninhaltBernie Sanders: Wie reagieren sie? Meine republikanischen Freunde behaupten, dass die Stromkosten für die Wirtschaft stark steigen und Arbeitsplätze verloren gehen würden, würden wir den fossilen Brennstoffen den Rücken kehren. Was erwidern Sie auf diese Sicht der Dinge?Al Gore: Das Bureau of Labor Statistics gibt eine Antwort. Jobs in der Solarbranche wachsen in den USA 17 Mal schneller als alle anderen Jobs. Den Prognosen der Behörde zufolge wird der Beruf, für den Die Nachfrage in den nächsten zehn Jahren am schnellsten wächst, der des Windturbinentechnikers sein.Weltweit bietet die Revolution auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit und der erneuerbaren Energien die besten Aussichten für wirtschaftliche Erneuerung und Dynamik. Deshalb schließt China hunderte von Kohlekraftwerken. Dort sind die Ausstöße jetzt drei Jahre hintereinander zurückgegangen. Sie versuchen, den Großteil der Arbeitsplätze in China zu schaffen.Und letzten Monat hat Indien bekanntgegeben, dass in 13 Jahren alle Autos und Lkw, die im Land unterwegs sind, mit einem Elektroantrieb laufen müssen.Wenn Entwicklungsländer schneller voranschreiten als wir und so von dem Wirtschaftswachstum und den Arbeitsplätzen profitieren, dann unterstreicht dies nur, wie sehr wir uns schaden, wenn wir die Leute, die für die Co2-Verschmutzung verantwortlich sind, über die Politik entscheiden lassen.Bernie Sanders: Die Kosten für Solar- und Windanlagen gehen stark zurück. Branchenführer erwarten, dass Sonnenenergie ganz ohne jegliche Subventionen schon bald billiger sein wird als Kohlestrom. Was erwarten Sie für die Zukunft?Al Gore: Die Kosten fallen dramatisch. In meinem neuen Film gibt es eine Szene, in der ich in eine der konservativsten Städte des Landes gehe, nach Georgetown, Texas – mitten ins Herz des Öllandes Texas. Dort setzt sich der republikanische Bürgermeister dafür ein, die Energieversorgung vollständig auf Erneuerbare umzustellen. Die Stadt spart damit Kosten und generiert Arbeitsplätze.Bernie Sanders: Und er tut das nicht, weil er so ein großer Klimaschützer wäre, sondern um Geld für seine Gemeinde zu sparen.Al Gore: Es gibt in Texas mittlerweile mehrere Anlagen, die den Strom von neun Uhr abends bis um sechs Uhr morgens kostenlos abgeben, weil es teurer käme, die Turbinen über Nacht abzuschalten. Das Konzept besteht darin, die Grenzkosten auf null zu senken. Es verändert die Ökonomie der Energieversorgung auf der ganzen Welt.Bernie Sanders: Und vor kurzem hat Chile einen Vertrag ausgehandelt, der es dem Land ermöglichen wird, den billigsten Strom weltweit zu generieren. Stimmt das?Al Gore: Ja, 2,4 Cent pro Kilowattstunde. Das ist weniger als die Hälfe von dem, was Kohlestrom kostet.Bernie Sanders: Wow.Al Gore: Die Kraftwerke, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sprechen untereinander selbst davon, dass sie sich in einer "Todesspirale" befinden. Viele von ihnen betreiben den Wechsel zu Erneuerbaren schneller als er hier in den USA vor sich geht.Aber wir haben dieses Problem mit unserem politischen System. Leider bestimmt das große Geld allzu oft, wo es langgeht. Sie haben das selbst oft genug ausgesprochen, Senator, und taten gut daran. Solange sich daran nichts ändert, können die großen Konzerne ihren Einfluss geltend machen und die Entwicklung der Sonnen- und Windenergie bremsen.Das ist nicht allein eine Frage der Parteizugehörigkeit. Die Vorsitzende der Tea Party von Atlanta wurde vor einer Weile von den Koch-Brüdern gebeten, sich dafür einzusetzen, die Entwicklung der Solarenergie zu behindern, dabei hatte sie sich gerade erst Solarzellen aufs Dach montieren lassen.Sie setzte sich mit dem Sierra Club in Verbindung, gründeten eine neue Koalition namens Green Tea Party und haben es geschafft, ein solches Gesetz in Georgia zu verhindern. Ähnliches passiert im ganzen Land.Eingebetteter MedieninhaltBernie Sanders: Ich habe den Eindruck, wenn wir einen vernünftigen Präsidenten hätten, müssten wir uns jetzt nicht über diese Dinge unterhalten, sondern würden in Wind und Sonne investieren.Ich möchte Ihnen danken, dass Sie auf die Krise und die bereits vorhandenen Lösungen aufmerksam machen. Sie sind damit nicht nur in den USA, sondern weltweit eine führende Persönlichkeit.Wir sprechen über die Zukunft des Planeten. Deshalb ist es notwendig, dass das amerikanische Volk sich erhebt und den Ölkonzernen klarmacht, dass das Leben künftiger Generationen wichtiger ist als deren kurzfristige Profite.
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