Es ist wieder soweit

Schweden Eine skandinavische Stadt ist in Aufruhr. Eine Nation im Norden verändert ihr Gesicht. Eine Demokratie sucht nach einer neuen Richtung und findet sie nicht

Es beginnt im August 1991 an einem ruhigen Sommerabend in Stockholm. Die Stille endet jäh: Ein Mann wird angeschossen und verletzt. Sechs Monate lang fühlt sich die gesamte schwedische Gesellschaft verwundet – die Angst wird ein Teil von ihr. Ein Mensch stirbt, andere tragen Schäden fürs Leben davon. Langsam kristallisiert sich ein Schema heraus: Ein schwedischer Staatsbürger schießt mit einem Gewehr mit Laser-Visier auf Opfer, die alle eines gemeinsam hatten – dunklere Haut, dunkles Haar, einen Migrationshintergrund.

Von Bodyguards beschützt

Ich berichtete damals als Reporter für das schwedische Fernsehen über die Geschichte. Sie führte zur größten Polizeioperation und zum wichtigsten Prozess, die Schweden seit der Ermordung von Ministerpräsident Olof Palme 1986 erlebt hatte. Von den ersten Schüssen bis zum letzten Prozesstag war ich journalistisch mit dem Fall befasst und spürte, wie Schweden sich veränderte: Nazi-Flaggen wurden gehisst; es kam zu Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Gegen-Demonstranten; junge Menschen schlossen sich extremistischen Gruppen an. In dieser Zeit entstand eine Anti-Einwanderungspartei, die sich Neue Demokratie nannte und wenige Monate später ins schwedische Parlament einzog.
Ich berichtete weiter über den Anstieg des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit. Wie mein Kollege, der Bestsellerautor Stieg Larsson, erhielt auch ich Morddrohungen, dass ich bald an einem unbekannten Ort leben und von Bodyguards beschützt werden musste.

Dann sollte sich wieder alles verändern. Jahre später hatten Demokratie und Aufgeschlossenheit die Angst vor dem Fremden zurückgedrängt. Wir konnten wieder stolz auf unser Land sein. Bis jetzt. Bis alles wieder von vorn begann – nur dieses Mal anders herum. Dieses Mal kam die Gründung einer Anti-Einwanderungspartei, der Schwedendemokraten, zuerst. Ihr Wahlkampf konzentrierte sich auf ein einziges Thema – im September kam diese Partei ins Parlament.

Die Fremdenfeindlichkeit etablierte sich und – dessen bin ich mir gewiss – legitimierte das, was wir nun mit ansehen müssen. In Malmö, der drittgrößten Stadt, die weit im Süden, nahe dem europäischen Festland liegt und Heimat vieler Einwanderer ist, werden diese – laut Annahme der Polizei – seit Monaten von einem rassistisch motivierten Schützen ins Visier genommen. Sein letzter Angriff galt am 23. Oktober einem iranisch-stämmigen Friseur.

2010 ist nicht 1991

Vor 19 Jahren war der Täter ein einzelner, verrückter Schütze, der eine politische Entwicklung vorwegnahm. Nun haben wir es mit einer demokratisch gewählten, parlamentarischen Partei zu tun, die den Verblendeten zur Inspiration verhilft. Bereits bevor der unsichtbare Amokläufer zu feuern begann, hat es in diesem Jahr in Malmö 50 Zwischenfälle mit Schusswaffen gegeben. In dieser Metropole besteht seit langem eine Banden-Kultur, die von vielen kriminellen unterhalten wird und seit Jahren auf brutalste Weise die soziale Spaltung der Stadt offenlegt. Selbst vor den Attentaten war der Kurs Malmös in Integrationsfragen katastrophal. Ich bin mir deshalb sicher, dass die jetzigen Ereignisse nicht das Werk eines einzelnen, verrückten Schützen sind. Es gibt immer Nachahmer, aber diesmal wird sich eine Sucht als ansteckend erweisen.

Mit einer demokratisch gewählten fremdenfeindlichen Partei in unserem Parlament, werden die xenophoben Tendenzen der Gesellschaft, gegen die wir so lange gekämpft haben, neue Kraft, neue Hochburgen, neue Legitimität erhalten. 1991 ist es uns gelungen, mit Schüssen, Morddrohungen und Ausschreitungen fertig zu werden und ihnen Einhalt zu gebieten. und dieses Mal? Wir können nur Ruhe bewahren und der Integrationspolitik Nachbesserungen angedeihen lassen. Schweden, wie man es kennt, hat sich für alle Zeiten verändert.


Für den Guardian aus dem Schwedischen von Andrew Brown ins Englische übersetzt / ins Deutsche von Christine Käppeler

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Geschrieben von

Anders Roslund | The Guardian

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