Für Moll Morgengrau war das kein guter Tag. Der Berliner Künstler mit dem düsteren Namen, hatte endlich eine Galerie gefunden, die bereit war, seine Plakatkunst auszustellen: Die Galerie Verrückt in Berliner südlichem Bezirk Kreuzberg. Doch kaum war der Vertrag gemacht, gab die Galerie bekannt, dass sie ein „Opfer der Finanzkrise“ geworden sei und schloss ihre Türen.
Morgengrau zeichnete seine Gefühle auf eines der grau und weißen Poster, die bei der Galerie-Eröffnung – und gleichzeitig Schließung - zu Beginn des Monats ausgestellt wurden und bei der die Gäste billiges Bier tranken „Einen Toast auf die Finanzkrise – jetzt kann jeder endlich mal am eigenen Leib spüren, was es heißt, arm zu sein“.
Der Künstler Moll Morgengrau existiert gar nicht. Seine Galerie auch nicht. Beide wurden für eine Ausstellung und Performances erfunden, die von einer Gruppe dänischer und deutscher Plakatkünstler in Galerien quer durch Europa auf die Bühne gebracht werden sollen. Die unter dem Namen Surrend bekannt gewordene Gruppe hat sich einen Ruf erworben, politische Tabus aufzugreifen. Vor kurzem haben sie die Vorlieben von Wladimir Putin und Mahmud Ahmadineschad in ihrer Plakatkunst aufgegriffen und sich prompt eine Klage der beiden Staatschefs eingehandelt. 2005 machten sie in London Schlagzeilen, als sie 1.000 Original-Kunstwerke an überraschte Passanten verteilten.
Diesmal haben sie ihr satirisches Interesse gegen sich selbst gerichtet und zwar mit einem Projekt, das aufzeigen soll, wie sich Künstler mit der globalen Wirtschaftskrise auseinandersetzen. Der Fokus liegt auf der Kunststadt Berlin – Heimat von geschätzten 600 Galerien – die wie keine andere in den letzten Jahren boomte, jetzt aber zu spüren bekommt, was das heißt: Notfall.
Jeden Monat schließen Galerien, internationale Firmen schließen ihre örtlichen Filialen und viele andere verkleinern oder entlassen Angestellte. Die Gewinne sind um ein Drittel zurückgegangen: „Viele weitere Galerien werden in den nächsten Monaten schließen“, sagt Jan Egesborg von der Gruppe Surrend. „Künstler – wir eingeschlossen – haben neuerdings viel mehr Schwierigkeiten, Geld aufzutreiben. Es gibt inzwischen eine Menge Moll Morgengraus“.
Egesborg glaubt, dass die Künstler die Stadt bald verlassen werden, wenn sie es nicht schaffen, über die Runden zu kommen. „Auch Künstler müssen ihren Lebensunterhalt verdienen. Diese Vorstellung, dass Künstler kein Geld brauchen und glücklich in der Dachstube leben ist doch ein Mythos. Sie müssen Kinder ernähren und Miete zahlen. Und wenn sie das in Berlin nicht können, werden sie die Stadt verlassen“. „Unsere Botschaft heißt: Die Kunstwelt befindet sich mitten in einer großen Depression. Das ist aber nicht das Ende der Welt. Wir hoffen, die Leute inspirieren zu können, dass sie ihre Sorgen bezwingen können“.
Diese Sorgen scheinen erheblich zu sein. Die New Yorker Galerie Goff hat ihre Dependance in der angesagten Gegend an der Brunnenstrasse in Berlin geschlossen. Zum selben Zeitpunkt sandte der Mumbaier Kunst-Gigant Bodhi Art Schockwellen aus, als er seine Zweigstelle in dem Galerien-Komplex Halle am Wasser schloss. Giti Nourbakhsch, die ihre Galerie in Berlin schon seit zehn Jahren betreibt, sagt: „Ich habe dicken Gewinn gemacht bis Ende Juli, aber seit September ist alles tot.“ Sie reduzierte die Öffnungszeiten ihrer Galerie und die Arbeitszeit ihrer Angestellten.
Ihre Erfahrung sagt ihr aber, dass sie durchkommen wird. Schließlich ist das Berlin, eine Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Mieten und die Theorie ist hier weit verbreitet, dass gerade weil die Stadt so lange ein Platz war, an dem man billig leben konnte, man hier besser dem Sturm trotzen kann als anderswo.
„Die örtlichen Galeristen sind resistenter gegen die Krise. Sie sind an die unkomfortablen Rahmenbedingungen gewöhnt. Und Berlin war auch in den Boom-Jahren immer eher ein Platz, um Kunst zu machen und weniger, um sie zu verkaufen“, sagt eine gut situierte Galeristin, die ihren Namen nicht genannt wissen möchte. Es ist rund 15 Jahre her, dass die ersten kommerziellen Galeristen ihre bescheidenen Showrooms in Berlin öffneten. Sie machten sich überall breit: In Ladenschaufenstern, privaten Wohnungen, Durchgängen zu Hinterhöfen, in Kellern und umgewandelten Fabriken. Mit der Zeit begannen dann internationale Sammler die Stadt zu entdecken. Während die Mehrzahl der Galerien eher klein blieb, zogen einige in elegante Villen aus dem 19. Jahrhundert um, in speziell gebaute Gebäude in der City oder in schicke, renovierte Lagerhäuser. Alle, ob groß oder klein, partizipierten an dem Kunstmarkt-Wahnsinn der letzten Jahre. Dann kam die Krise.
Es ist eine Geschichte mit zwei Seiten, sagt die Galeristin, die nicht genannt werden will. „Es ist eine Befreiung, dass die Tage der Spekulanten vorüber sind, jedenfalls für den Moment“, sagt sie. „Viele kauften Werke auf, die sie direkt zur Auktion weitergaben, damit haben sie jede vernünftige Preispolitik zerstört.“ Optimisten sehen in der Krise eine Chance. Jette Rudolph von der Galerie Jette Rudolph, die als einer der innovativsten neuen Galerien der Stadt gilt, stimmt zu: „So eine Krise ist eine Einladung für die Leute, wieder experimenteller zu werden“.
Eine Folge der Krise ist, dass junge Sammler jetzt die Gelegenheit nutzen, junge Künstler zu entdecken und zu kaufen, deren Preise noch nicht in unerreichbare Höhen gestiegen sind. Michael Schulz, der zwei Galerien in Berlin und je eine in Peking und Seoul hat, sagt: „Es gibt viele junge Sammler in der Welt, die jetzt gerade eine gute Zeit haben. Es ist besonders aufregend, sich jetzt mit viel versprechenden jungen Künstler zu positionieren. Jetzt hat man die Chance, sich von dem ganzen Pack abzusetzen“.
Es gibt also Anhaltspunkte, dass auch älteren Künstlern wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, die nie ihren Durchbruch hatten, aber deren Arbeiten nun in neuem Licht gesehen werden. Die Galerie Barthelmess und Wischnewski in Berlins wohlhabendem Bezirk Charlottenburg zieht gerade große Aufmerksamkeit mit ihrer Schau Impressionismus in Berlin auf sich, eine Ausstellung mit Bildern vergessener Künstler aus der Berliner Moderne des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie August Blunck und Adolf Müller-Cassel. Alle haben Aufkleber, auf denen moderate Preise stehen: von 3.500 bis 6.000 Euro.
Und immer wieder schaffen es neue Galerien, zu eröffnen. So wie Kirsten Hermanns wundervolle Galerie für Modefotografie, bei deren Eröffnungsshow Bilder zu sehen waren, die bei anderen Galerien durchgefallen waren, weil die Models auf ihnen zu viel lachten, unbeholfen posierten oder ihre Schwangerschaftsstreifen zu sehen waren.
Und dann gibt es noch die neue Galerie Cruise, die so etwas wie ein Geheimnis ist, das darauf wartet, entdeckt zu werden. Vergangenen September eröffnete sie in einem umgewandelten Mechanikerhof in Kreuzberg und ist zu einem Treffpunkt junger Künstler geworden. Mario Testino, Modefotograf für Vogue und Vanity Fair, gehört zu denen, die gern auf einen Sprung vorbeikommen. Und es gibt immer in Berlin eben auch immer noch genug Raum für Satire, wie der Fall des schmählich verlassenen Moll Morgengrau zeigt.
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