Es schreit nach Korrektur

Indien Anstatt vor dem Westen zu katzbuckeln, sollte Delhi wachsenden internationalen Einfluss klug einsetzen. Aber die Partnerschaft mit den USA und Israel genießt Priorität

Als Indien in der Vorwoche als eines der fünf nicht-ständigen Mitglieder in den Weltsicherheitsrat gewählt wurde, konnte Außenminister Krishna seine Begeisterung nicht verbergen. Er sprach von einem „großen Tag für die indische Diplomatie“ . Die Wahl zeige, welche Erwartungen die Welt an Indien habe. Die indischen Medien feierten diesen „monumentalen“ Sieg, der Indien die Gelegenheit geben werde, „seine Eignung für eine Vollmitgliedschaft“ unter Beweis zu stellen. Delhi hegt schon lange diesbezügliche Ambitionen und bekräftigt diese unermüdlich, ebenso wie die anderen drei Aspiranten auf einen ständigen Sitz – Japan, Deutschland und Brasilien –, die unter dem Namen „Gruppe der Vier“ gemeinsam umfassende Reformen der UN fordern.

Niederlage gegen Japan

Aber es ist lächerlich, eine Wahl zu bejubeln, bei der es keinen Wettbewerb gab. Im Rahmen des Rotationssystems unter den asiatischen Staaten war Indiens Sieg unvermeidlich, nachdem Kasachstan dazu überredet wurde, sich zurückzuziehen. Indien betrieb mit Feuereifer Lobbyarbeit, um den Sitz zu bekommen: Während der UN-Vollversammlung in New York sprach Krishna persönlich mit den Außenministern von 123 Ländern. Begünstigt wurde die Wahl des Weiteren dadurch, dass Pakistan nicht gegen Indien antrat.

Die Wahl Indiens in den Sicherheitsrat steht in scharfem Kontrast zur Bewerbung von 1996, als es gegen Mitbewerber Japan eine demütigende Niederlage von 142:40 Stimmen gab. Natürlich hat sich Indiens internationales Ansehen in der Welt seitdem gewaltig verändert – das Land ist eine potentielle ökonomische Supermacht und eine regionale Großmacht, mit der es sich niemand verscherzen möchte. Indien konnte die USA sogar zu einem einzigartigen Deal bewegen, der seine Atomwaffen legitimiert und Indien in den Stand eines vertrauensvollen Handelspartners in Sachen Atomtechnik erhebt, obwohl das Land sich mit keinem Vertrag zu atomarer Abrüstung verpflichtet hat.

Bringt die zeitweilige Mitgliedschaft Delhi einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat in irgendeiner Form wirklich näher? Wahrscheinlich nicht. Die strategische Kooperation der G 4 ist nicht unproblematisch: China liegt ebenso viel daran, Japan aus dem Gremium fernzuhalten, wie Washington daran gelegen ist, die Japaner mit ins Boot zu holen; es gibt mehr Vorbehalte gegenüber der deutschen Bewerbung als gegenüber der indischen und der so genannte Coffee-Club – Italien, Spanien, Mexiko und Pakistan – lehnt das gesamte Projekt der „Gruppe der Vier“ strikt ab.

Vor diesem Hintergrund wäre es klüger, Indien würde seine Energien anderweitig einsetzen, sich nicht länger mit der Bewerbung um einen ständigen Sitz herumquälen und stattdessen für eine Stärkung der Generalversammlung eintreten, um den kleineren Staaten mehr Gehör zu verschaffen. Viel wichtiger als Status oder Symbolik ist die Frage, wie und wozu Indien seinen zunehmenden Einfluss nutzt.

Pro-westliche Versuchung

Anstatt bei wichtigen Themen wie der Haltung zu Iran, zum Nahostkonflikt, zu Afghanistan, dem Klimawandel, dem Verhältnis zwischen Norden und Süden und der Weltwirtschaftskrise Eigeninitiative zu zeigen und eine unabhängige Position einzunehmen, läuft Indien heute dem Westen hinterher und hat damit im Vergleich zu den Zeiten der Blockfreiheit des Landes eine komplette Kehrtwende vollzogen. Delhi ist so sehr darum bemüht, seine neue „strategische Partnerschaft“ mit den USA zu pflegen, dass es nicht einmal dazu in der Lage war, seine guten Beziehungen zum Iran konstruktiv einzubringen. Es hat nicht nur ein lukratives Gas-Pipeline-Projekt von Iran über Pakistan auf Eis gelegt, sondern auch auf amerikanischen Druck hin bei der Internationalen Atomenergiebehörde gegen Iran gestimmt, obwohl es eigentlich die Haltung vertritt, Teheran verstoße überhaupt nicht gegen seine Nichtverbreitungsverpflichtungen. Indien sollte eine Vermittlerrolle einnehmen, die verhindert, dass Iran in die Ecke gedrängt wird, und es Teheran ermöglicht, sein legitimes Atomprogramm zur zivilen Nutzung unter Kontrolle der IAEA weiterzuverfolgen.

Jahrzehntelang war Indien zudem klar für einen unabhängigen palästinensischen Staat eingetreten – eine Position, die vor kurzem aufgegeben wurde, um sich von den Israelis mit Waffen beliefern zu lassen, ohne dadurch verbesserte Beziehungen zu nutzen, um den Palästinensern zu helfen. Ein anderer Fall: Indien hat versprochen, die Forderung der G77 nach einer differenzierten Verantwortlichkeit von Nord und Süd für den Klimawandel und ein rechtsverbindliches Abkommen mit einklagbaren Emissionsreduzierungen der Industrieländer mit Nachdruck zu vertreten – doch dann stimmte das Land beim Kopenhagener Klimagipfel Ende 2009 mit den USA und anderen für einen vorab abgesprochenen, ineffektiven und zu nichts verpflichtenden Deal – eine Katastrophe für unseren Planeten.

Diese in der pro-westlichen Voreingenommenheit der indischen Eliten wurzelnden Positionen schreien nach Korrektur. Indiens Führung genießt wachsenden internationalen Einfluss, führt aber keine Debatte darüber, für welche Ziele er eingesetzt werden soll. Sie fragt nicht danach, wie Indien seinen Einfluss für eine gerechtere Weltordnung geltend machen könnte. Dabei preisen sie die indischen Interessen als diejenigen eines Anwaltes der Unterprivilegierten.

Der digitale Freitag

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Praful Bidwani | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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