Unser Kampf gegen Ebola

Epidemie Nirgendwo sonst breitet sich Ebola so stark aus wie in Sierra Leone und Liberia. Hier erzählen die drei Krankenschwestern schockierend und anrührend von ihrer Arbeit
Ausgabe 43/2014

Anine Kongelf, 27,
arbeitet als Krankenschwester beim norwegischen Roten Kreuz. Nun ist sie in Kenema, Sierra Leone, im Einsatz

Heute ist doch noch ein glücklicher Tag geworden: Die elf Jahre alte Kadiatu und der 35-jährige Osman konnten entlassen werden. Sie sind unsere beiden ersten Ebola-Überlebenden. Ihre Bluttests sind aus dem Labor zurückgekommen: negativ. Nun sind sie nicht länger ansteckend und können zu ihren Familien zurückkehren. Beide stellen keine Gefahr mehr dar. Eine ganze Woche lang waren wir durch einen 1,5 Meter hohen, orangefarbenen Zaun von ihnen getrennt. Ich habe Kadiatu „Plumpinut“, das ist so eine sehr nahrhafte Erdnusspaste, und Kekse über den Zaun zugeworfen. Während der vergangenen zwei Tage haben wir geredet, gesungen und sogar getanzt – jede auf ihrer Seite des Zaunes. Heute gibt es keinen Zaun mehr zwischen uns.

Meine erste Woche in dem Ebola-Zentrum, das von der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften geführt wird, war eine surreale Achterbahnfahrt zwischen Leben und Tod, Hoffnung und Trauer, Schmerz und Freude. Meine erste Aufgabe bestand darin, vier Bestattungen zu überwachen. Während ein Team in kompletten Schutzanzügen die Körper in doppelten Leichensäcken aus dem Leichenzelt trug, erwiesen wir den Toten die letzte Ehre und stellten sicher, dass der Ort der Bestattungen schriftlich festgehalten und die Gräber korrekt gekennzeichnet wurden. Einer der Toten war ein acht Jahre alter Junge.

Manchmal ein Wunder

Als wir von der Bestattung zurückkehrten, kamen die Angehörigen des Jungen gerade an. Sie wollten wissen, ob es Neuigkeiten von ihm gebe. Sein Vater war bereits an Ebola gestorben. Sein Onkel und sein Bruder waren den ganzen weiten Weg von Freetown gekommen. Das ist fünf Autostunden weit entfernt. Die beiden hatten Kontakt mit Infizierten und trugen das Virus daher möglicherweise selbst in sich, also konnten wir sie nicht in den Bereich mit geringem Infektionsrisiko bringen. Zum Grab konnten wir sie auch nicht lassen. Stattdessen brachten wir sie in den gerade ungenutzten Sichtungsbereich, wo wir, mit dem orangefarbenen Zaun zwischen uns, reden konnten. Sie sagen nicht viel, als sie hören, dass der Junge gestorben ist. Sie nicken zwar, als hätten sie verstanden, aber ihr Gesichter zeugen von Schrecken und Fassungslosigkeit. Am Ende dieses Tages war ich mir nicht sicher, ob ich diese Arbeit einen ganzen Monat würde durchhalten können.

Kadiatu, das elfjährige Mädchen, war eine der ersten Patientinnen im Behandlungszentrum und weil sie im Hochrisiko-Bereich gelegen hatte, musste sie unter die „Glücksdusche“, bevor wir sie entlassen konnten: ein Chlorbad, gefolgt von einer normalen Dusche mit viel Seife, um auch die letzten potenziellen Überreste des Virus zu beseitigen. Ihre kontaminierten Kleidungsstücke wurden vernichtet und sie erhielt ein neues Kleid und Sandalen. Jetzt war sie wieder gesund, infektionsfrei und außer Gefahr. Sie drehte sich um, um Haja, einer anderen Ebola-Patientin, zu winken, und verließ dann den Bereich an dem doppelten orangefarbenen Zaun entlang.

Während wir auf den Wagen warten, der sie nach Hause nach Freetown bringt, können wir endlich ganz normal zusammensitzen. Die Schwestern, die Kadiatu ihr Frühstück und Vitamine bringen, brauchen jetzt keine Schutzanzüge mehr zu tragen und der Mann vom psychosozialen Dienst kann ungestört und unter vier Augen mit ihr reden. Kadiatu fordert uns auf, für sie zu tanzen, während sie singt. Jetzt können wir uns zusammen fotografieren lassen, ohne Angst haben zu müssen, dass wir uns zu nahe kommen.

Es ist wie ein Wunder, dass dieses hübsche, starke Mädchen mit dem breitesten und weißesten Lächeln, das ich je gesehen habe, unsere erste Überlebende ist. Als das Auto, das sie abgeholt hat, weggefahren ist, weiß ich, dass ihr nichts mehr geschehen wird. Zu Hause warten ihre Mutter und ihre Geschwister auf sie. Wir im Behandlungszentrum wissen nun, dass man Ebola überleben kann und dass es inmitten all der Angst und Verzweiflung noch viele weitere glückliche Tage geben wird.

Bridget Mulrooney, 36,
arbeitet als Krankenschwester in den USA. Nun ist sie für das International Medical Corps in Bong County, Liberia, im Einsatz

Ich hatte gerade als travel nurse, also als Krankenschwester auf Zeit, in einem Kinderkrankenhaus in Kalifornien gearbeitet, als ich per Mail eine Anfrage vom International Medical Corps erhielt, ob ich an einem Einsatz in Liberia interessiert wäre, um dort gegen die Ausbreitung von Ebola zu kämpfen. Am liebsten hätte ich mich sofort auf den Weg gemacht. Meine Aufregung wurde immer größer, je mehr ich über den Einsatz und die Ausbreitung der Krankheit erfuhr. Drei Tage nach Ablauf meines Vertrags bekam ich in Alabama eine Schulung, wie man Ebola-Patienten sicher behandelt. Eine Woche später dann war ich bin Liberia.

Jetzt bin ich schon seit zwei Wochen auf der Ebola-Station. Das ist eine unglaubliche Erfahrung. Diese Woche habe ich Nachtschicht, das heißt, mein Arbeitstag beginnt um 19.00 Uhr. In der vergangenen Nacht hatten wir zwölf Ebola-Patienten auf Station. Unter ihnen befindet sich ein neunjähriges Mädchen. Als sie zusammen mit ihrer Mutter eingeliefert wurde, ging es beiden nicht gut. Bei der Mutter fiel der Bluttest dann aber negativ aus. Das Mädchen hatte leider weniger Glück. Schweren Herzens entschloss sich die Frau, ihre Tochter alleinzulassen und nach Hause zu gehen. Das Mädchen ist sehr schwach und hat große Angst so ganz allein. Ich werde heute Nacht etwas länger bei ihr bleiben und sie füttern, damit sie wieder zu Kräften kommt. In unseren Schutzanzügen wird es leider sehr heiß. Wir verbringen bis zu zwei Stunden bei den Patienten. Länger hält man es in diesen Anzügen nicht aus.

Alle, mit denen ich zu tun habe, freuen sich, dass ich hier bin, und unterstützen mich. Ich habe mich schon öfter zu solchen Einsätzen gemeldet. Meine Familie ist daran gewöhnt, dass ich immer mal für eine Weile in Seuchengebieten oder anderen Krisenregionen arbeite. Auch wenn sie sich dieses Mal wohl mehr Sorgen machen als sonst, stehen sie voll hinter mir.

Mich beunruhigt, dass in den Medien über Forderungen berichtet wurde, medizinisches Hilfspersonal wie mich für 21 oder sogar 42 Tage in Quarantäne zu stecken. So etwas entbehrt jeglicher medizinischen Grundlage. Wer keine Symptome aufweist, der muss auch nicht in Quarantäne. Wenn jemand kein Fieber hat, besteht auch keine Infektionsgefahr. Wir arbeiten hier wirklich sehr hart. Die Arbeit ist sehr anstrengend, physisch wie emotional. Wenn ich nach sechs Wochen zum ersten Mal für längere Zeit frei bekomme, würde ich gerne reisen können, wohin ich möchte. Aber ich fürchte, dass ich bis dahin an vielen Orten nicht mehr willkommen sein werde.

Vergangene Nacht haben Rettungswagen vier neue Patienten gebracht, darunter ein Vater mit zwei Söhnen. Dem Vater ging es bereits sehr schlecht. Er musste sich alle paar Minuten übergeben. Wir versorgen die Patienten mit genügend Flüssigkeit und verabreichen ihnen Medikamente gegen das Erbrechen. Dann nehmen wir Blut ab, um es auf das Virus zu testen. Später dann musste ich noch den Leichnam eines Mannes, der gestorben war, ins Leichenzelt bringen.

Ebola ist brutal

Die Sonne geht hier im Moment gegen sechs Uhr auf. Oft kommen die Schwestern und Pfleger der Nachtschicht zusammen, um sich dieses Naturereignis anzusehen. Unsere liberianischen Kolleginnen und Kollegen fangen an zu singen und wir tanzen eine Weile dazu. Das ist keine große Sache, aber nach einer langen Nacht, vor allem, wenn Patienten gestorben sind, sind das sehr emotionale Momente.

Meine Schicht endet um sieben Uhr früh, wenn wir alle Patienten an die Frühschicht übergeben haben. Heute Abend steht uns das Ganze wieder von neuem bevor. In der Regel sind die Nächte auf der Ebola-Station nicht allzu schlimm, manchmal haben wir sogar Spaß zusammen. Ich hoffe sehr, dass wir etwas erreichen können.

Ebola ist brutal. Die Krankheit kann Familien auseinanderreißen, einen nach dem anderen befallen oder alle auf einmal. Vor kurzem ist uns ein junges Mädchen verblutet, als wir ihm einen intravenösen Zugang legen wollten. Zwei Tage gelang es uns nicht, die Blutung zu stoppen. Man denkt, so etwas müsste leicht in den Griff zu bekommen sein. Druckverband, hochlagern. Aber so funktioniert das auf einer Ebola-Station nicht. Hier können ansonsten völlig normale Eingriffe wie ein kleiner Nadelstich am Handrücken dazu führen, dass jemand verblutet.

Es ist nicht leicht, ein Zimmer zu betreten, in dem das Blut auf dem Boden steht und ein halb bewusstloses Mädchen mit dem Gesicht nach unten in ihrem kaum geronnenem Blut liegt. Am zweiten Tag ist es noch schlimmer, wenn einem klar wird, dass man nichts mehr für sie tun kann. Ich habe sie saubergemacht und ihr ein paar neue Jeans angezogen. Sie versuchte zu lächeln und schluckte ihre Medikamente. Dieses Lächeln werde ich nicht vergessen. Auch nicht ihr sanftes Stöhnen, während das Leben langsam aus ihrem Körper entwich.

Foto: Getty Images

Heute früh habe ich ein Baby ins Leichenzelt getragen. Sein Vater ist bereits vor einigen Tagen auf der Fahrt zu uns im Krankenwagen gestorben. Das Kind hat Malaria. Auf den Ebola-Befund für Mutter und Kind warten wir noch. Zuerst war der kleine Kerl schlapp und lustlos. Gestern Abend gegen zehn schien es dann aber, als würde er sich doch noch berappeln. Er lächelte und schluckte bereitwillig seine Medizin. Seine Mutter, die neben ihm lag, war zu schwach, um sich um ihn kümmern zu können. Sie musste sich permanent erbrechen. Um vier gingen wir dann noch mal zu ihm und versuchten ihm beizubringen, wie man aus der Flasche trinkt, damit er sich alleine durchschlagen kann. Als ich ihn verließ, war ich glücklich, dass er sich erholt hatte. Doch um halb sechs kam seine Mutter weinend zu uns gerannt. Das Kind war gestorben. Ich war erschüttert. Das zeigt, wie schnell sich eine Situation ändern kann. Als wir hineingingen, um das Baby zu holen, waren bereits zwei weitere Patienten gestorben.

Wenn sich ein Patient erholt, freuen wir uns riesig darüber, weil wir tagtäglich so viel Leid und Verzweiflung miterleben. Leider ist es uns noch nicht gelungen, die Ausbreitung von Ebola zu verlangsamen. Ich tue, was ich kann, um unsere Patienten dazu zu bringen, so viel wie möglich zu essen und zu trinken, auch wenn es ihnen so schlecht geht, dass sie glauben, sie könnten rein gar nichts zu sich nehmen. Ich versuche ihnen Mut zu machen. Wir leisten hier wirklich eine qualitativ hochwertige Pflege. Aber der Schwerpunkt liegt eher darauf, möglichst viele Patienten einigermaßen zu versorgen als nur einige wenige richtig gut. Die letzten Tage waren ziemlich hart und es tut mir leid, wenn ich zu drastisch geworden bin. Aber so sieht im Augenblick die Realität hier in Liberia aus.

Sue Ellen Kovack, 56,
arbeitet als Krankenschwester beim australischen Roten Kreuz. Nun ist sie in Kenema, Sierra Leone

Bevor ich den Tag beginne, untersuche ich meine Hände nach kleinen Schnitten oder Kratzern, mit denen ich die Schutzanzüge nicht tragen dürfte. Wenn ich das Zentrum betrete, muss ich meine Hände mit einer 0,05-prozentigen Chlorlösung waschen. Ich balanciere auf einem Bein, während mir jemand die Schuhsohlen mit der Lösung einsprüht. Erst dann darf ich in den Bereich, in dem nur geringes Ansteckungsrisiko herrscht.

Ich suche nach einem Paar kalter, nasser Stiefel in meiner Größe. Sie stehen die ganze Nacht über in einer Chlorlösung. Dann ziehe ich meinen OP-Kittel an. Als Erstes gehe ich zum Whiteboard, um zu sehen, wer in der Nacht gestorben ist. Heute steht dort der Name einer Krankenschwester, die sich während der Arbeit angesteckt hat. Eine weitere Kollegin befindet sich auf dem Wege der Besserung, bei einer dritten lässt sich noch nichts Konkretes sagen.

Alle Mitglieder einer Schicht sollten die Schutzanzüge möglichst gleichzeitig anziehen. Wenn einer länger braucht, müssen die anderen auf ihn warten und werden in der Sonne gebraten. Wenn uns niemand beim Ankleiden hilft und überprüft, ob wir auch wirklich komplett bedeckt sind, arbeiten wir paarweise und kontrollieren uns gegenseitig. Als Erstes kommen Handschuhe und ein Overall. Dann ein zweites Paar Handschuhe, eine dicke Filtermaske, eine Haube und eine Schürze, die von dem Ankleidehelfer so zugebunden wird, dass wir sie selbst mit einem Griff wieder lösen können. Als Letztes wird die Brille großzügig mit Beschlagschutz eingesprüht und aufgesetzt. Dann noch ein letzter Kontrollblick in den Spiegel und bei den Kollegen, mit denen man hineingeht.

Die Vorsichtsmaßnahmen hören damit aber natürlich nicht auf. Während wir uns im Hochrisikobereich aufhalten, müssen wir ständig überprüfen, ob noch alles richtig sitzt und nicht etwa eine Maske verrutscht ist oder irgendwo ein Stück nackte Haut freiliegt. Wenn so etwas vorkommt, müssen wir den Bereich umgehend verlassen. Es ist auch wichtig, auf die Zeit zu achten; wir dürfen die Schutzanzüge nicht länger als 45 Minuten am Stück tragen.

Foto: Getty Images

Heute haben wir die komfortable Situation, dass vier Schwestern anwesend sind. Patienten, die sich wohl genug fühlen, sitzen auf Plastikstühlen und warten auf etwas zu essen. Manchmal können wir ihnen mit einem Schmerzmittel helfen oder ihnen durch unsere Schutzanzüge hindurch ein Lächeln schenken. Ja, man kann mit den Augen lächeln.

Eine Patientin, Hannah, sitzt draußen und begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln. Sie hat all ihre Kinder und ihren Mann an Ebola verloren. Und jetzt fragt sie mich, wie mein gestriger Feierabend war! Die Kolleginnen sagen mir, dass es ihr phasenweise sehr schlecht geht. Aber sie können nichts weiter tun, als ihr Mut zu machen. Sie ist noch jung und kann wieder Kinder bekommen.

Anderen geht es körperlich nicht so gut. Sie sind zu schwach, um sich aufzusetzen und zu den Toiletten oder in den Waschtrakt zu gehen. Wir tun unser Bestes, geben ihnen zu trinken, etwas Paracetamol und waschen sie. Der Mut der einheimischen Schwestern ist bewundernswert. Obwohl ihre Familien sie verstoßen, kommen sie weiter zu uns und helfen uns dabei, diesen brutalen, unsichtbaren „Krieg“ zu beenden. In Afrika werden Kranke für gewöhnlich in den Familien gepflegt. Doch bei uns sind Angehörige nicht zugelassen.

Meine drei Leitbegriffe sind „warm“, „trocken“ und „bequem“. Die Patienten, die so schwach sind, dass sie sich nicht mehr aus ihrem Erbrochenen, ihrem Kot oder Urin erheben können, brauchen die meiste Hilfe. Wir kümmern uns um so viele wie möglich. Wenn wir den Bereich aber verlassen müssen, weil wir von der Hitze zu sehr erschöpft sind, dann hat das Priorität. Wenn man in dem Schutzanzug ohnmächtig wird, bringt man seine Kollegen in Gefahr.

Nachdem das Pflegepersonal die Station betreten hat, machen sich die Reinigungskräfte bereit, um das Erbrochene, die Überreste von Durchfall und Urin, den Müll und die Windeln wegzuschaffen. Diese Arbeit stellt eine gewaltige Belastung dar und kann sehr gefährlich sein.

Um die Schutzkleidung wieder auszuziehen, braucht man mindestens fünf Minuten. Wir haben zwei Zelte, in denen unsere Entkleidungs- und Desinfektionshelfer bereitstehen müssen. Der Drang, sich den Anzug schnell vom Leib zu reißen, ist groß. Doch wir müssen Geduld haben. Zuerst werden die Hände mit Chlorspray desinfiziert. Dann müssen wir uns breitbeinig hinstellen und die Arme in die Höhe halten, um von Kopf bis Fuß eingesprüht zu werden, erst von vorn, dann von hinten. Abermals waschen wir uns die Hände in 0,05-prozentiger Chlorlösung, dann ziehen wir uns das erste Paar Handschuhe aus. Wir waschen uns erneut die Hände. Dann nehmen wir die Schürze ab. Hoffentlich ist sie richtig zugebunden, denn wir müssen die Schlaufe auf unserem Rücken blind lösen. Dann ziehen wir sie über den Kopf und legen sie in das Chlorbad. Erneutes Händewaschen. Dann nehmen wir die Brille ab. Wir beugen uns nach vorne, schließen die Augen, streifen sie behutsam ab, tauchen sie dreimal in einen mit Chlor gefüllten Eimer und legen sie dann in Wasser.

Dauernd Händewaschen

Wir waschen uns die Hände. Als nächstes ist die Haube dran. Wir beugen uns abermals vornüber, schließen die Augen, um eine Verunreinigung zu verhindern, nehmen die Haube ab und entsorgen sie im Müll. Wir waschen uns die Hände. Als Nächstes ziehen wir den Schutzanzug aus. Langsam legen wir den Reißverschluss frei, der unter einer unter Lasche verborgen liegt. Wir waschen uns noch mal die Hände. Dann müssen wir unter Anleitung unserer Entkleidungs- und Desinfektionshelfer blind den Reißverschluss finden. Wir waschen uns ein weiteres Mal die Hände.

Wenn wir schließlich aus unseren Anzügen steigen, sind wir bis auf die Knochen nassgeschwitzt. Trotzdem fühlt es sich großartig an. Das ist der schwierigste Teil: den Anzug abstreifen, indem man mit den Beinen strampelt, dann aber auf ihm stehen bleiben, damit er nicht wegfliegt. Der Desinfektionshelfer sprüht den ganzen Overall mit einer stärkeren Chlorlösung ein, dann werfen wir ihn in den Müll. Und waschen uns schon wieder die Hände.

Als Nächstes kommt unsere Filtermaske dran. Ich schließe die Augen und hoffe, dass ich nicht mit meinem Pferdeschwanz hängen bleibe. Händewaschen. Nun ziehen wir das letzte Paar Handschuhe aus. Unsere Stiefel werden aus allen Richtungen eingesprüht und wir müssen auf einem Bein balancieren, um die Linie zwischen dem Hochrisikobereich und dem mit geringem Infektionsrisiko zu überqueren. Wir waschen uns die Hände und sind fertig. Jetzt haben wir wieder nur noch unsere OP-Kittel an, die vor Schweiß klitschnass sind.

Ich brauche dringend eine Rehydrationslösung oder Wasser. In dem Bereich mit geringer Infektionsgefahr sind keine Lebensmittel erlaubt. Es ist zu riskant, etwas mit den Händen an den Mund zu führen. Trotzdem sehe ich immer wieder, wie Leute an ihren Nägeln kauen, ihr Gesicht berühren oder sich die Augen reiben – das ist riskant, aber man macht das automatisch. Wir haben uns zwar tausendmal die Hände mit Chlor gewaschen, können uns aber nie ganz sicher sein, wie sorgfältig die Kollegen waren. Man vertraut ihnen im wahrsten Sinne des Wortes sein Leben an. Bevor ich Australien verlassen habe, fing ich an, ein Gummiband zu tragen. Jedes Mal, wenn ich mich beim Ins-Gesicht-Fassen ertappte, ließ ich mir das Band so stark gegen die Haut schnappen, dass es wehtat. So habe ich versucht, mir diese Angewohnheit auszutreiben.

Dann kam ein Rettungswagen, der Sirene nach fuhr er ziemlich schnell und wir bereiteten uns blitzartig darauf vor, die Patienten entgegenzunehmen. Ich hab mich wieder angezogen und alles zusammengestellt, was die Patienten bei der Aufnahme brauchen: ein Handtuch, eine Stück Seife, eine Tasse, eine Zahnbürste. Das kommt in einen verschlossenen Eimer, der als Spucknapf, Bettpfanne und Urinflasche zugleich genutzt wird, wenn der Patient nicht in der Lage ist, auf die Toilette zu gehen.

Auf der ersten Bahre lag ein Mann, der beide Beine in die Höhe streckte, steif wie ein Brett. Mir wurde klar, dass dieser Mann gerade stirbt. Dabei ist er in Freetown noch selbst in den Krankenwagen gestiegen. Die Fahrt dauert fünf Stunden und führt an einem Dutzend Kontrollpunkten vorbei.

Der andere Patient war eine Frau. Sie lag auf dem Boden zwischen Sitz und Trage und war mit Gurten festgeschnallt. Sie konnte sich nicht rühren, blickte entsetzt und schlug mit den Armen um sich. Ich versuchte, sie zu beruhigen. Während wir sie so gut es ging aus dem Wagen trugen, wurde mir klar, dass sie versuchte, ihren Unterleib zu bedecken. Sie kämpfte mit dem Tod und sorgte sich. Ich fragte nach ihrem Namen und ob sie verheiratet sei. „Ja“, sagte sie, wandte den Blick ab und starb. Die ganze Mühe und Verzweiflung im Rettungswagen, allein weil sie ihre Würde bewahren wollte, das hatte viel Kraft gekostet.

Übersetzung: Holger Hutt

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Bridget Mulrooney, Sue Ellen Kovack und Anine Kongelf | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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