Eskalation mit Ansage

Türkei Der gescheiterte Militärputsch ist ein Ergebnis der autoritären Politik von Präsident Erdoğan
Eskalation mit Ansage

Foto: Defne Karadeniz/AFP/Getty Images

Die Nachrichten des versuchten Militärputsches in der Türkei ist eine Rückkehr zu noch unstabileren Verhältnissen, als sie in dem Land ohnehin herrschten. Soldaten hielten zeitweise strategische Punkte in Anakara und Istanbul besetzt, darunter eine der Bosporus-Brücken. Sie verkündeten den Putsch über mehrere türkische Medien und griffen den Präsidentenpalast in Ankara an. All dies ist Zeichen des wachsenden Unbehagens eines Landes und dessen Militär, welches der Regierung Erdoğan zutiefst misstraut.

Als direkter Hintergrund hierfür sind die zahlreichen terroristischen Anschläge der jüngsten Vergangenheit des IS und der kurdischen PKK zu sehen, befeuert durch den Krieg im Nachbarland Syrien, welcher nun schon seit sechs Jahren andauert. Anfang Juni starben elf Menschen und zahlreiche wurden verletzt, als eine Autobombe in Istanbul explodierte. Nur zwei Wochen später tötete ein Selbstmordattentäter 42 Menschen und verletzte mehr als 200.

Die Informationen zu diesen Anschlägen waren lückenhaft, doch Recep Tayyip Erdoğan versetzte das türkische Volk und das Militär mit seinen eindeutig autoritären und konservativ-muslimischen Reaktionen in Unruhe. Besonders das türkische Militär konnte das nicht gutheißen, sieht es sich doch traditionell als Bewahrer der säkularen Traditionen des Landes nach den Grundsätzen von Kemal Atatürk – dem Begründer der Republik Türkei. Die Rhetorik von Präsident Erdoğan hat das Land polarisiert und ethnische und religiöse Spannungen entfacht.

Seine Verwicklungen in den Syrien-Krieg – die Ablehnung von Präsident Bashar al-Assad und die Unterstützung islamistischer Gruppen in dem Versuch, ihn zu stürzen – hat das Gegenteil der früheren politischen Maxime nach „Null Problemen mit den Nachbarn“ ausgelöst. Das Wiederentfachen der Konflikte mit der PKK nach einem zweijährigen Waffenstillstand hat ihr übriges getan, die Situation noch weiter zu verkomplizieren.

Nach Jahren der Entfremdung begann er sich jedoch in den vergangen Wochen um bessere diplomatischen Beziehungen zu Russland und Israel zu bemühen. Mit Israel waren seit dem Ship-to-Gaza-Zwischenfall 2010 mit den Tod von neun türkischen Aktivisten die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel angespannt.

Noch zu Beginn der Woche überraschte Ministerpräsident Binali Yıldırım die syrischen Rebellengruppen mit der Aussage, Ankara wolle das angespannte Verhältnis mit Syrien normalisieren und deutete damit eine bedeutsame außenpolitische Kehrtwende an. Vielen Experten schien dies jedoch ein diplomatischer Kniff zu sein, um Erdoğans beunruhigte Kritiker aus dem türkischen Wirtschaftssektor zu besänftigen, welche die ökonomischen Probleme des Land derzeit deutlich zu spüren bekommen.

Türkei-Beobachter haben seit langem gewarnt, dass die Konflikte mit den Kurden eine militärische Antwort provozieren könnten. Doch mit einem Militärputsch hatten die wenigsten gerechnet. „Das Militär könnte reagieren wenn die Kämpfe zwischen PKK und dem Staat außer Kontrolle geraten. Wenn sich die Gewalt in westlichen, urbanen Zentren des Landes ausbreitet und zu einem Sicherheitskollaps und Wirtschaftszusammenbruch führt, und wenn die Regierung sich zunehmend autoritär verhält“, schrieb die Nahost-Expertin Gönül Tol in dem Magazin Foreign Affairs.

„All diese Umstände könnten massive Proteste gegen die Regierung auslösen. Falls Erdoğan darauf mit brutaler Polizeigewalt reagiert, die mehr Chaos und Blutvergießen nach sich zieht, könnte sich ein öffentlicher Ruf nach einem Eingreifen des Militärs formieren. Doch selbst innerhalb dieser gefährlichen und nicht wünschenswerten Szenarios würden die Armeegeneräle wohl versuchen, mit politischen und nicht militärischen Mittelns zu intervenieren. Die Türkei ist in ihrer politischen und ökonomischen Entwicklung zu weit gekommen, um sich von einer Militärjunta regieren zu lassen.“

Ironischerweise unterzeichnete Erdoğan vor wenigen Tagen einen Gesetzesentwurf, welcher den Handlungsspielraum des Militärs massiv ausweitete. Dieser gewährt Soldaten Immunität, solange sie in nationale Sicherheitoperationen involviert sind und unterstellt Verfahren gegen militärische Befehlshaber der Billigung des Premierministers. Der Entwurf wurde als Zeichen der sich verbessernden Beziehungen zwischen Militär und Regierung gedeutet und spielt vor allem für die umkämpften kurdischen Regionen im Südosten des Landes eine wichtige Rolle.

Derzeit sieht es nicht danach aus, aber sollte der Militärputsch doch noch erfolgreich sein, hätte dies massive Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen der Türkei. Das Land ist NATO-Mitglied und enger Verbündeter der USA in einer zutiefst unstabilen Region. Eine militärische Machtübernahme zu billigen, wäre eine Wiederholung des Szenarios, mit welcher Barack Obama 2013 bereits gegenüber Ägypten konfrontiert war.

Und doch ist das Unbehagen westlicher Mächte an Erdoğans Politik, darunter die Verfolgung von regierungskritischen Journalisten und Juristen, nicht zu übersehen. Der neue britische Außenminister Boris Johnson schrieb ein respektloses Gedicht über den türkischen Präsidenten. Die USA, Großbritannien und andere europäische Länder drückten ebenfalls ihre Besorgnis über Anakaras Versagen aus, ausländische islamistische Kämpfer auf ihrem Weg nach Syrien zu stoppen.

Militärputsche mögen in den 1970er und 1980er Jahren zum türkischen Alltag gehört haben. Doch schon länger hatte man geglaubt, sie würden inzwischen der Vergangenheit angehören.

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Übersetzung: Juliane Löffler
Geschrieben von

Ian Black | The Guardian

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