Europas Innenminister feiern sich für „historischen“ Asylkompromiss

EU Die Innenminister der Europäischen Union wollen es sich erleichtern, Geflüchtete schnell des Kontinents zu verweisen. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni reist jetzt mit Ursula von der Leyen und Mark Rutte nach Tunesien
Mehr als 2.000 Menschen auf der Flucht sind im vergangenen Jahr im Mittelmeer ertrunken
Mehr als 2.000 Menschen auf der Flucht sind im vergangenen Jahr im Mittelmeer ertrunken

Foto: Chris McGrath/Getty Images

Die Europäische Union hat sich auf radikale Reformen ihrer Migrations- und Asylgesetze geeinigt. So sollen Mitgliedsländer, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, mit 20.000 Euro pro Kopf zur Kasse gebeten werden. Nach fast zwölf Stunden intensiver Verhandlungen in Luxemburg und jahrelangem Streit einigten sich die EU-Innenminister auf einen „historischen“ neuen Ansatz.

Maria Malmer Stenergard, die dem schwedischen Verhandlungsteam angehörte, sagte: „Ich hätte nicht geglaubt, dass ich hier sitzen und dies sagen würde. Aber wir haben allgemeine Ansätze zur Verordnung über die Verwaltung von Asyl und Migration und zur Verordnung über das Asylverfahren angenommen.“

Sicherheit soll nationale Definitionssache sein

Im Rahmen eines Kompromisses in letzter Minute wurde vereinbart, dass die Mitgliedstaaten und nicht die EU als Ganzes bestimmen, welches Land für Migranten, die mit der Begründung abgewiesen werden, dass sie nicht asylberechtigt sind, „sicher“ ist. Die Länder sollen verpflichtet werden, eine „Verbindung“ zu dem Land nachzuweisen, in das ein Migrant überstellt wird – die Definition dieser „Verbindung“ läge bei den Mitgliedstaaten. Dies scheint jedem Land Flexibilität bei der Frage zu geben, ob es Migranten in Drittländer zurückschicken kann, die nicht von allen EU-Staaten als sicherer Hafen angesehen werden.

Einer Quelle zufolge sei Einigkeit erzielt worden, nachdem Italien und mehrere andere Staaten gefordert hatten, dass die so genannte „Verbindungs“-Regel – die eine starke Bindung an ein Drittland erfordert, z.B. jahrelang dort gearbeitet zu haben – aufgeweicht wird.

EU-Trio mit Giorgia Meloni in Tunesien

Bei der schwächsten Auslegung der „Anschluss“-Regel muss ein Mitgliedstaat, der einen Migranten in ein Drittland zurückschicken will, lediglich nachweisen, dass der Antragsteller in dem Land geblieben ist, was es beispielsweise Italien ermöglichen würde, Migranten in ein „Übergangsland“ wie Tunesien zu überführen. Italiens parteiloser Innenminister, Matteo Piantedosi, sagte: „Heute ist ein Tag, an dem etwas beginnt. Wir kommen nicht an, wir brechen auf.“

Die politische Bedeutung Italiens, das in der Migrationskrise an vorderster Front steht, wird durch die Ankündigung unterstrichen, dass die Chefin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, in den kommenden Tagen gemeinsam mit der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni nach Tunesien reisen werden. Meloni, die im vergangenen Jahr mit einer harten Rhetorik gegenüber Migranten an die Macht kam, hofft, mit der Regierung ein Partnerschaftsabkommen zur Aufnahme von Migranten zu schließen.

Außerdem soll ein neues System eingeführt werden, das eine Umverteilung von Migranten innerhalb der EU ermöglicht und eine effektive Quote dafür vorsieht, wie viele Menschen die Anrainerstaaten aufnehmen müssen, bevor sie um Hilfe bitten können.

Die von Polen als „Bußgelder“ bezeichneten Gebühren für Länder, die keine der umgesiedelten Migranten übernehmen können, wurden auf 20.000 Euro pro Kopf festgesetzt, während eingangs der Verhandlungen noch von 22.000 Euro die Rede gewesen war.

Was Innenministerin Nancy Faeser sagt

Bulgarien, Litauen, Malta und die Slowakei enthielten sich der Stimme, während Ungarn und Polen signalisierten, dass sie das Abkommen nicht unterstützen würden. Deutschland, Irland, Luxemburg und Portugal erklärten, sie würden sich weiter für Änderungen einsetzen, um Kinder und unbegleitete Minderjährige von den neuen Regeln auszuschließen. Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Diese Entscheidung ist uns allen am Tisch nicht leicht gefallen, aber sie ist historisch.“

Die niederländische Regierung begrüßte die Entscheidung als „wichtigen Schritt“, während die Österreicher von einem „Schritt nach vorn“ sprachen, ihre Amtskollegen jedoch aufforderten, sich weiterhin darum zu bemühen, etwas gegen die Tragödie im Mittelmeer zu tun. Mehr als 2.000 Menschen sind im vergangenen Jahr bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, erstickt oder ertrunken.

Lisa O'Carroll ist Brüssel-Korrespondentin des Guardian.

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Geschrieben von

Lisa O'Carroll | The Guardian

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