Ist da etwa ein Zögern im Gang des Bundeskanzlers Olaf Scholz?
Foto: David Hecker/Getty Images
Nach Monaten der angespannten diplomatischen Verhandlungen voller Schnaufen und gelegentlicher Wortklauberei stimmte Bundeskanzler Olaf Scholz schließlich der Lieferung von „Leopard 2“-Panzern an die Ukraine zu. Die Zahlen sind nicht beeindruckend. Es geht derzeit um 14 deutsche Panzer, die einen frischen Farbanstrich mit ukrainischen Militärmarkierungen erhalten sollen. Dennoch hat die Entscheidung ein wesentliches Hindernis für die Aufrüstung der Ukraine beseitigt. Finnland, Polen, Portugal und die Niederlande kündigten bereits an, dass sie einige ihrer Leoparden schicken werden. Norwegen und Spanien sind kurz davor.
Das Leopard-Panzerkontingent könnte daher recht umfangreich werden und würde der Ukraine die Möglichkeit geben, russische
russische Truppen aus ihren Stellungen zu vertreiben. Wodurch die dringend benötigte Bewegung in einen Zermürbungskrieg kommen könnte, der es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin derzeit erlaubt, systematisch und vor allem ungestraft Zivilisten zu töten und die wirtschaftliche Infrastruktur der Ukraine zu zerstören.Die Nato-Regierungen sind erleichtert, dass Scholz endlich die richtige Entscheidung getroffen hat, wenn auch erst, nachdem er alles andere versucht hatte. Die USA und Europa sind „voll und ganz vereint“, behauptete US-Präsident Joe Biden erfreut nach Bekanntwerden der deutschen Panzerentscheidung.Derweil weisen Berichte aus Berlin darauf hin, dass Scholz keineswegs meint, sich für sein Zaudern entschuldigen zu müssen. Er ist überzeugt, sich gut geschlagen zu haben. Es ist ihm gelungen, die Einheit der SPD in einer extrem kontroversen Frage zu bewahren. Außerdem hat der die USA davon überzeugt, ebenfalls Panzer zu liefern.Weitere Forderungen werden folgenLeider ist ein Großteil dieser positiven Interpretation Wunschdenken. Sie ignoriert den plötzlichen Zusammenbruch des deutschen Einflusses in Europa ebenso wie die Veränderungen der strategischen Lage auf dem Kontinent durch den Ukrainekrieg.Durch die Entscheidung, Panzer zu liefern, involviert sich der Westen deutlich stärker in den Konflikt. Die westlichen Unterstützer der Ukraine einigten sich darauf, ein höheres Risiko einzugehen, weil sie – korrekterweise – zum Schluss kamen, dass es noch viel riskanter wäre zuzulassen, dass Putins Zermürbungskrieg weiter geht.Egal, in welche Richtung sich der Krieg entwickelt, ist das sicherlich nur die erste von vielen Eskalationsstufen, denen die Nato-Regierungen in den kommenden Monaten gegenüberstehen. Wenn die unvermeidliche russische Frühjahrsoffensive gegen die Ukraine sich als erfolgreicher erweist als derzeit befürchtet, wird es vermehrt Forderungen nach Kampfjets für die ukrainische Armee geben. Das Gleiche gilt für die Forderung nach einer noch direkteren Nato-Einmischung in die Verteidigung des ukrainischen Luftraums. Heute ist das undenkbar. Aber auch die Lieferung westlicher Panzer war bis vor kurzem noch tabu.Sollte dagegen die erwartete ukrainische Offensive erfolgreicher verlaufen, als die Nato-Planer annehmen, wird die Frage der Befreiung der besetzten Krim-Halbinsel aufkommen. Das birgt das Risiko, dass die Putin-Regierung auf nukleare Eskalation zurückgreift, um eine totale Demütigung und einen Zusammenbruch abzuwenden. Olaf Scholz erklärt nicht, worum es ihm gehtScholz' Tendenz, jede Entscheidung viel zu spät und nur unter Druck zu treffen, hat der europäischen Sicherheit schwer geschadet. Aber sie könnte sich katastrophal auf die wichtigen Entscheidungen auswirken, vor denen die Nato in den kommenden Monaten steht. Der deutsche Bundeskanzler tat wenig, um der deutschen Bevölkerung zu erklären, was die anstehende Panzerlieferung für das Engagement des Landes im Ukrainekrieg bedeutet oder wie er die nächsten Schritte in dem Krieg sieht. Da überrascht es nicht, dass auch die öffentliche Meinung in Deutschland weiter geteilt bleibt. „Die Hälfte der Deutschen sitzt im Panzer und die andere Hälfte versucht abzuspringen“, formulierte treffend der in Russland geborene, in Deutschland lebende Schriftsteller Wladimir Kaminer.Die einzige Aussage, die die Deutschen derzeit akzeptieren, ist, dass es Scholz an Führungsqualitäten mangelt; jüngsten Meinungsumfragen zufolge hält nur ein Viertel der Wähler:innen ihn für einen starken Anführer. Die Entscheidung der Deutschen für den Panzer ist also alles andere als transformativ und bietet keine Sicherheit dafür, dass die zukünftigen strategischen Entscheidungen der bedeutendsten und wohlhabendsten Nation Europas mit der Geschwindigkeit und Entschlossenheit getroffen werden, die zunehmend notwendig sein werden.Berlin ist sich nicht im Klaren darüber, wie sehr sich Deutschland an die grundlegenden Veränderungen anpassen muss, die das Blutvergießen in der Ukraine in Europa verursacht hat.Druck aus dem Osten EuropasDas strategische Gravitationszentrum hat sich deutlich aus seinem westlichen Teil, wo früher Deutschland und Frankreich die Entscheidungen trafen, hin nach Zentral- und Osteuropa verlagert. Während des gesamten Ukrainekonflikts zwangen der Druck durch Länder wie die baltischen Staaten und Polen Berlin dazu, Entscheidungen zu treffen. Diese Länder gewannen moralische Autorität, weil sie die Gefahr eines imperialen Russlands weitaus klarer und realistischer einschätzten und einen direkteren und praktischeren Einfluss auf die Entscheidungsfindung des Kontinents ausüben.Damit sind die alten Träume von einer von den USA unabhängigen „strategischen europäischen Autonomie“ ausgeträumt. Scholz räumte vergangene Woche indirekt Europas Abhängigkeit von den USA ein, indem er forderte, dass neben deutschen auch US-amerikanische Panzer in die Ukraine geschickt werden müssten. Auch die deutsch-französischen Pläne zur Aufrechterhaltung einer klaren Unterscheidung zwischen Ländern, die Mitglied in Institutionen wie der Europäischen Union und der Nato sind oder nicht, müssen damit aufgegeben werden.Was die Sicherheit in Europa angeht, bleibt Großbritannien trotz des Brexits ein zentraler Player. Trotz fehlender formaler sicherheitspolitischer Verbindung mit der EU ist Großbritanniens Ansehen, Fußabdruck und Einfluss auf die Führung des Ukrainekrieges deutlich größer als Frankreichs oder Deutschlands. Andererseits sind Stabilität und Sicherheit für die Ukraine in Zukunft nur möglich, wenn das Land – wenn auch nicht formal, so doch inhaltlich – Mitglied sowohl der EU als auch der Nato wird.Eigentlich wäre es Deutschlands Aufgabe, diese fundamentale Veränderung Europas anzuerkennen. Stattdessen scheint Scholz weiter an ein Zurück zu glauben, wie er kürzlich formulierte. Wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückziehe, sei es möglich, dass „wir zu einer Friedensordnung zurückkehren, die funktionierte, und sie wieder sicher machen können.“Das aber ist blanker Unfug. Deutschland wird seine Bedeutung in Europa wieder stärken, wenn die Waffen endlich schweigen und die Welt auf der Suche nach Hilfe für den Wiederaufbau der Ukraine auf Berlins gefüllten Geldbeutel schaut. Die Neugestaltung der europäischen Sicherheitskarte zu beeinflussen, wird Deutschland dagegen schwerfallen.
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