Während die Welt auf den US-Senatsbericht zum Verhaftungs- und Verhörprogramm der CIA in der Regierungszeit von George W. Bush wartete, blickte Europa kaum nach innen. Als hätte es mit der Jagd auf Al-Kaida in den Jahren nach dem 11. September nichts zu tun gehabt.
Doch nun hat kommt auch Amnesty International in einem Bericht zu dem Ergebnis, dass die Folter durch den amerikanischen Geheimdienst ohne Europas Hilfe nicht möglich gewesen wäre. Die Organisation hat europäische Staaten (darunter Polen, Litauen, Rumänien,Großbritannien, Mazedonien und Deutschland) dazu aufgefordert, ihre Rolle bei den umstrittenen CIA-Verhörmethoden aufzuklären.
Die europäischen Verbündeten waren tief in das Folterprogramm verstrickt. So konnte die CIA ein ganzes Netz von Flughäfen und Stützpunkten in Europa für ihre „außerordentlichen Auslieferungen“ nutzen und Terrorverdächtige zur Befragung heimlich über Grenzen schaffen. Manche europäische Regierungen halfen dem US-Auslandsgeheimdienst bei Entführungen, andere ließen auf ihrem Staatsgebiet die berüchtigten „Black Sites“ einrichten: die Geheimgefängnisse, in denen Häftlinge misshandelt wurden. Die unveröffentlichten neun Zehntel des Senatsberichts dürften noch einige Enthüllungen über die europäische Mitwisserschaft beim CIA-Folterprogramm bereithalten.
Schon 2007 erklärte Dick Marty, Sonderermittler des Europarats, es gebe hinreichend Beweise für die Existenz von US-Geheimgefängnissen in Polen und Rumänien. Er fügte hinzu, die „illegale Verschleppung von Verdächtigen durch CIA-Entführungsteams in Europa“ laufe auf eine „massive und systematische Verletzung von Menschenrechten“ hinaus.
Nach dem 11. September 2001 suchte die CIA bei den europäischen Verbündeten Unterstützung für ihre Verhaftungs- und Auslieferungsoperationen. Ihr Ziel war, für den Umgang mit Inhaftierten rechtsfreie Räume zu schaffen, und dutzende ausländischer Staaten halfen dabei mit. Wie viele europäische Regierungen werden sich nun dazu gedrängt sehen, das Ausmaß ihrer Verstrickung in das Folterprogramm offen zu legen?
Bis heute ist der genaue Umfang der europäischen Mittäterschaft unbekannt. Noch immer halten die USA und ihre Partner die Standorte der „Black Sites“ ebenso geheim wie die Liste der Regierungen, die kooperierten. Auch die nun veröffentlichte Zusammenfassung des Senatsberichts enthält dazu keine Angaben.
Dank der Anstrengungen von Aktivisten und Journalisten sowie des Europaparlaments und des Europarats konnten in den letzten Jahren zumindest einige Fakten ans Licht gebracht werden. Allerdings geben sämtliche Ermittler an, die Regierungen hätten sie bei ihrer Arbeit systematisch behindert – etwa indem sie das Thema zum „Staatsgeheimnis“ erklärten. Eigene Untersuchungen zu den Behörden oder Beamten, die der CIA zur Hand gingen, haben die europäischen Staaten kaum angestellt. Bis heute ist Schweden das einzige Land, das Opfer der „außerordentlichen Auslieferungen“ finanziell entschädigt hat, und Italien das einzige Land, in dem Beamte wegen ihrer Mitwirkung beim CIA-Programm rechtskräftig verurteilt worden sind.
Die Stiftungsgruppe Open Society Foundations hat Belege dafür gesammelt, dass mindestens 54 Staaten die CIA bei ihren außergesetzlichen Aktivitäten unterstützten. Darunter befanden sich 21 europäische Staaten, von denen wiederum 17 EU-Mitglieder oder Beitrittskandidaten waren: Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien, Portugal, Belgien, Dänemark, Schweden, Finnland, Island, Polen, Österreich, Tschechien, Litauen, Rumänien, Griechenland, Zypern, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Albanien.
Zu den am besten dokumentierten Fällen zählt der von Abu Omar. Der ägyptische Geistliche, der in Italien Asyl erhalten hatte, wurde 2003 in Mailand auf offener Straße von der CIA gekidnappt und dann – über Deutschland – nach Ägypten verschleppt. Im November 2009 verhängte ein Mailänder Gericht wegen dieser Entführung über 22 CIA-Agenten, einen US-Armeebeamten und zwei italienische Geheimdienstler mindestens fünfjährige Haftstrafen. Die CIA-Agenten wurden in Abwesenheit verurteilt und von den USA nicht ausgeliefert.
2004 wurde der deutsche Staatsbürger Khaled al-Masri aufgrund einer Verwechslung in Mazedonien von der CIA entführt, nach Afghanistan geschafft und dort festgehalten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diese Verschleppung und Inhaftierung 2102 verurteilt. Die deutschen Behörden streiten weiterhin ab, Informationen über al-Masri an die USA weitergeleitet zu haben.
In Schweden wurden im Dezember 2001 die beiden ägyptischen Asylbewerber Ahmed Agiza und Muhammed al-Zery von der Polizei verhaftet und heimlich der CIA übergeben. Die US-Agenten flößten ihnen gewaltsam Beruhigungsmittel ein und flogen sie nach Ägypten, wo sie auf einem elektrischen Bettgestell gefoltert wurden. 2008 sprach ihnen der schwedische Staat jeweils 500.000 Dollar Schmerzensgeld zu.
Dass die Aktivitäten der CIA in Europa, wie in den genannten drei Fällen, Gerichtsverfahren oder offizielle Ermittlungen nach sich zogen, ist die große Ausnahme. Zumeist gelang es den Regierungen, die Rechtsverstöße geheim zu halten.
Laut dem Bericht des Europarats von 2007 befand sich das Geheimgefängnis in Polen auf der Militärbasis von Stare Kiejkuty in Masuren. Die CIA habe dort sogenannte „hochwertige Gefangene“ gefoltert, unter ihnen saudi-arabische, jemenitische und algerische Staatsbürger. Einer von ihnen musste zum Beispiel – nackt, den Kopf mit einer Kapuze verhüllt – Scheinhinrichtungen mit einer Bohrmaschine über sich ergehen lassen. Regierung und Justiz in Polen haben es bisher versäumt, diesen Vorfällen nachzugehen.
Dass Großbritannien bei Verhaftungen und Auslieferungen eng mit der CIA zusammenarbeitete, belegen Dokumente, die nach dem Sturz Muammar Gaddafis 2011 in Libyen auftauchten. Aber die juristische Aufarbeitung lässt auch im Vereinigten Königreich auf sich warten.
Europäische Staaten, die sich an den CIA-Operationen beteiligten, verletzten grundlegende Menschenrechte, verstießen gegen die Genfer Konvention und gegen die UN-Konvention gegen Folter. Keiner dieser Staaten außer Schweden hat Fehler eingestanden. Dabei liegt die Stärke von Demokratien doch gerade in ihrer Fähigkeit, eigene Verfehlungen zu bekennen und zu debattieren. Nur in autoritären Staaten, wo Folter zumeist üblich ist, lassen sich Regierungen nicht zur Verantwortung ziehen.
Nun, da die USA einen neuen Vorstoß zur Wahrheit unternehmen, ist es auch für Europa an der Zeit, reinen Tisch zu machen. Diese Menschenrechtsverletzungen vollständig aufzuklären ist der einzige Weg, um sicherzustellen, dass sie sich nicht wiederholen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.