Extrem, aber nicht verheerend

Chile Die Erdstöße fielen wesentlich stärker aus, als das beim Beben auf Haiti im Januar der Fall war. Und doch kamen in Chile sehr viel weniger Menschen ums Leben

Das Beben in Chile mit einer Stärke 8,8 gehörte zu den seltenen „Megathrust-Erdbeben“ und setzte eine enorme Energie frei. Doch da sein Kern vor der Küste und 21 Meilen unter der Erde lag, hatte seine Kraft zu dem Zeitpunkt, als es das Festland erreichte, bereits nachgelassen. Das Beben der Stärke 7, das Port-au-Prince am 12. Januar erschütterte, ereignete sich hingegen in acht Meilen Tiefe und direkt am Rande der Drei-Millionen-Metropole Port-au-Prince. Acht haitianische Städte insgesamt wurden von „gewaltigen“ und „extremen“ Beben heimgesucht, wohingegen die Stadtgebiete in Chile nur von „starken“ Beben erschüttert wurden. Auch das ist immer noch beträchtlich, aber unter den gegebenen Umständen ein Glücksfall.

Nichts Ungewöhnliches

Die andere Ursache, die dazu beitrug, dass die Zahl der Toten in Chile in Hunderten und nicht Tausende zu zählen war, ist die sozio-ökomonische Struktur des Landes. Chile zählt zu den reichsten, am besten organisierten Ländern Südamerikas. Es kommt hinzu, dass Erdbeben in dem Andenstaat nichts Ungewöhnliches sind. 1960 zum Beispiel wurde das Land von einem der stärksten Erdbeben überhaupt erschüttert. Die Erfahrung hat die Chilenen gelehrt, Häuser und Bürogebäude so zu bauen, dass sie mit den seismischen Wellen schwingen, anstatt sich ihnen zu widersetzen.

„Wenn Sie sich die chilenische Architektur ansehen, dann erkennen Sie an den Gebäuden Schäden, aber kaum eines ist komplett eingestürzt wie auf Haiti“, meint Cameron Sinclair, Chef der gemeinnützigen Agentur Architecture for Humanity. Chilenische Architekten, so Sinclair, hätten für Menschen mit niedrigem Einkommen Tausende von erdbebensicheren Häusern gebaut. In Chile verlangen das die Pläne und die Bauvorschriften.
Und doch werden sich die Chilenen fragen, ob sie genug getan haben, um auf das Erdbeben ausreichend vorbereitet zu sein. In Concepción, der Stadt, die am stärksten betroffen war, sind viele Häuser, die aus Adobe-Ziegeln gebaut worden waren, eingestürzt. Darunter befindet sich ein 15-stöckiger Wohnblock. Die Universität fing Feuer. Gas- und Stromleitungen wurden zerstört. Viele Straßen sind mit Trümmern übersät. Aus einem beschädigten Gefängnis konnten Häftlinge entkommen.

Sofort reagiert

In Santiago stürzte ein großer Teil des frisch renovierten Flughafendachs ein. Insgesamt waren etwa 1,5 Millionen Chilenen von dem Erdbeben betroffen, während 500.000 Häuser stark beschädigt wurden. An manchen Orten bemängeln die Hilfskräfte, dass es noch immer an Treibstoff für ihre Geräte fehlt. Doch auch wenn der Schaden nun auf 15 bis 30 Milliarden Dollar geschätzt wird und die Flughäfen, Autobahnen und Brücken geschlossen bleiben, kann man doch sagen: Der Staat hat rasch und umsichtig reagiert. „Die Tatsache, dass Präsidentin Michelle Bachelet sich nur wenige Stunden nach dem Beben mitten in der Nacht minütlich an das Volk wandte, ist ein Hinweis dafür, wie die Regierung nach der Katastrophe gehandelt hat“, meint auch der Architekt Cameron Sinclair.

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Rory Carroll | The Guardian

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