Michelle Obama muss es gewohnt sein, mit ihren Kleidern für Aufsehen zu sorgen. Aber welchen Aufruhr das bodenlange Abendkleid verursachen würde, in dem sie im November den indischen Premierminister empfing, konnte selbst sie wohl kaum vorhersehen. Designer Naeem Khan, der das Kleid entworfen hatte, beschrieb es als „schulterfreie Robe in der Farbe Nude, floral gemusert und mit silbernen Pailletten besetzt“. Die Agentur Associated Press schrieb es sei „fleischfarben“ – ungeachtet Michelle Obamas eigener Hautfarbe. AP hat diese Bezeichnung nun korrigiert, durch „champagnerfarben“ ersetzt und damit eine Debatte über die neue Modefarbe Nude [dt. nackt] ausgelöst. „Nude? Für wen?“ fragte das Frauenmagazin Jezebel.
Nude-Töne waren bei der Präsentation der Kollektionen für das Frühjahr und den Sommer 2010 auf den Laufstegen allgegenwärtig. Sie changierten von Wollweiß über Hellrosé bis Gold. In der Terminologie der Modewelt steht Nude also für nichts aufregenderes (selbst wenn es um „Nude BHs“ geht) als diese eher gedämpften Töne.
Wie hell ist Nude?
Bei der Modezeitschrift Elle, in deren Maiausgabe das Wort Nude neunmal auf einer einzigen Seite steht, hält man „Nude für die Farbe dieses Frühjahrs und Sommers“. Chefredakteurin Lorraine Candy kann daran nichts Falsches finden. „Nude ist eine klar definierte Farbe. Sie entspricht heller nackter Haut und nicht dunkler, aber sie entspricht zum Beispiel auch nicht meiner Hautfarbe. Meine Haut hat einen durchscheinenden Weißton. Bei einer so starken und tollen Frau wie Michelle Obama sollte man sich nicht über so eine Kleinigkeit aufregen.“
Das Problem ist jedoch, dass die Sprache der Modeindustrie ein langes Vorstrafenregister hat. Perlenstickereien, Fransen, Leoparden- und Zebrafellmuster werden regelmäßig als Anzeichen eines „Tribal-Trends“ interpretiert (wobei Candy erklärt, dass sie dieses Wort durchstreicht, wo immer es ihr begegnet). Einen Monat vor Michelle Obamas Fehlgriff zierte das niederländische Model Lara Stone schwarz angemalt die Oktoberausgabe der französischen Vogue. Dunkelhäutige Models sind auf den Laufstegen und den Titelseiten noch immer dünn gesät. Und selbst wenn Moderedakteure sich darum bemühen, Alternativen für nude zu finden, fallen ihnen Begriffe wie honigfarben, rosé, blush oder elfenbeinfarben ein, die klassischerweise den typischen britischen Teint als Ideal präsentieren. Neu ist das alles nicht, man erinnere sich nur an die American Tan Tights, die versprachen allen „amerikanischen“ (sprich: hellhäutigen) Beinen einen gesunden Schimmer zu verleihen.
„In meinem Fall müsste Nude bedeuten, dass ich Braun trage“, meint Dodai Stewart, die stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Jezebel. „Ich finde es ausgrenzend, wenn man nicht erkennt, dass Nude nicht jedermanns Hautfarbe entspricht.“
Und: wie neutral ist sie?
Aber es ist nicht allein die Beschreibung einer Farbe, die in diesem Fall möglicherweise beleidigend ist, sondern auch die Art, auf die der neue Look gestylt wird und die Gesamtkonzeption des Trends. Auf dem Cover der Mai-Ausgabe von InStyle ist die Schauspielerin Gemma Arterton in einem Kleid abgebildet, das ihrer Haut im Farbton so ähnlich ist, dass es mit ihrer Brust und ihren Schultern zu verschmelzen scheint. Die Blässe der Haut und die Blässe des Kleids bleichen sich auf gewisse Art gegenseitig noch mehr aus, so dass der Gesamt-Look noch heller aussieht. Auf den Laufstegen in Paris, Mailand, London und New York wurden diese blassen Farbtöne fast ausschließlich auf blasser Haut präsentiert. Bei dem Look geht es von vorne bis hinten um helle Haut.
„Obama sieht umwerfend aus“, meint die Professorin Reina Lewis, die am London College of Fashion Cultural Studies lehrt. „Es ist ein fantastisches Kleid. Aber auf ihrer Haut ist Nude eine Farbe und nicht neutral.“
In der Tat erscheint es unangebrecht, diese Farbtöne als „neutral“ zu bezeichnen. Die öffentliche Diskussion macht deutlich, dass dieser Trend alles andere als das ist. Zwar hat das amerikanische Unternehmen Pantone, das weltweit als Autorität für die Festlegung von Farben gilt, einen Nude-Ton im Sortiment, was die Verwendung des Begriffs in all den Zeitschriften vielleicht offiziell akzeptabel macht. Doch es ist gar nicht so lange her, dass ein anderes N-Wort gebräuchlich war, um in den Kleiderkatalogen einen schokoladenfarbenen Braunton zu beschreiben. Vielleicht wird der Begriff Nude uns eines Tages ähnlich schockierend vorkommen.
Kommentare 4
Nude war für mich bis jetzt einfach eine etwas elegantere Umschreibung einer langweiligen, unschönen Farbe, die man vorzugsweise in der Damenunterwäscheabteilung, gaaaaanz hinten, rechts unten erspähen konnte.
Dass es sich dabei um die tatsächliche Farbe des Fleisches von irgendjemandem handeln könnte/sollte hatte ich, angesichts der Unansehnlichkeit dieser Farbe nie in Erwägung gezogen. Erst jene, die mit dieser Farbe tatsächliches Fleisch assoziierten, also genau jene, die sich einen 'schokoladenfarben' Hautton unter Begriff 'Nude' nicht vorstellen können, weil er doch nur für die Blässe stehe, brachten mich auf die Idee, dass nude, nackt, nicht das Gleiche ist, für jede Hautfarbe. Aparth...
Nun, um politisch korrekt Farbe zu bekennen, muss noch ein fleischfarbener Begriff für dunkle Haut her (nude bezeichnet ja ein weißes Fleisch). Irgendwelche Vorschläge?
Fleischfarben bezieht sich ja, wie der Name sagt auf Fleisch. Sonst würde es Hautfarben heißen. Ich hätte gern ein Shirt in der Farbe nackich oder einfach eins von den Mädels ;) siehe hier: www.myskins.com
Na bitte, die Farbe "nude" hat einen politisch korrekten Anstrich bekommen: Mouse für blode Weiße, Cinnamon für braunhaarige Weiße, Toffee für Asiatinnen und Walnut für Caféaulait-Schwarze.
Lecker. Einzig...Walnut ist weder weich wie mousse, noch pudrig wie cinnamon, noch süß wie toffee, sondern etwas gewöhnlich und hart, wie eine Nuss...Ich wittere Ausgrenzung.
By the way:
Welcher Champagner stand Pate für den Farbton "champagnerfarben"? Leitet sich "elfenbeinfarben" von der Farbe der Beine von Elfen ab? Und bei "honigfarben" werden da nicht vielleicht die fleißigen aber unspezialisierten Bienchen des gemeinen Wiesenhonigs diskriminiert? Und wieso gibt es ausgerechnet ein Indien Red aber kein China Red?
O-la-la, wir sind noch lange nicht fertig, mit der Säuberung der Farbensprache.
Danach können wir uns dann um die weniger wichtigen Dinge kümmern...
Könnte es sein, dass die Welt der Schönen und Kostspieligen nach den mageren Modellen zur Stabilisierung des Kreislaufs einen Schuss positives Image braucht, und dabei auf die billigsten Tricks setzt, die dann kritiklos von Journalisten übernommen werden?