Revanche Jüngst kam es zu einem der bizarrsten Augenblicke in der langen Geschichte des "Guardian" – britische Sicherheitsbeamte überwachten, wie Datenträger entschärft wurden
So etwa soll sich das Schreddern der Festplatten abgespielt haben
Foto Imago
Bei einer Privatvorführung in einem Kino in Soho ertappte ich mich vor einer Woche dabei, wie ich dem ehemaligen New York-Times-Chefredakteur Bill Keller einen Kraftausdruck entgegen schleuderte. Ein verwirrender Augenblick. Der Mann, der vorgab, ich zu sein – und Keller dafür dankte, dass er sich „um keinen Scheiß“ scheren müsse – war Schauspieler. Und Keller mag mich korrigieren, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals in seiner Gegenwart, das in den Mund genommen zu haben. Sehr wohl entsinne ich mich dagegen, in etwa gesagt zu haben: „Wir haben den USB-Stick – ihr habt das First Amendment.“
Die eingangs beschriebene Szene leitet einen Film über WikiLeaks ein. Er trägt den Titel The Fifth Estate und wird ab Septembe
Fifth Estate und wird ab September gezeigt. Peter Gapaldi spielt seine Rolle als Guardian-Redakteur sehr glaubhaft, soviel kann ich verraten. Das tatsächliche Gespräch mit Keller fand statt, kurz nachdem wir 2010 den ersten Satz WikiLeaks-Dokumente erhalten hatten. Ich gehe stark davon aus, dass unsere Möglichkeiten der Recherche und Veröffentlichung von irgendetwas in Zusammenhang mit diesem Fundus an Geheimmaterial in Großbritannien erheblich eingeschränkt wären. In Amerika ist – allen bestehenden Problemen mit Whistleblowern zum Trotz – die Pressefreiheit immerhin in der Verfassung verankert. Weiterhin ist es, hoffe ich, undenkbar, dass eine US-Regierung versuchen würde, im Vorhinein zu verhindern, dass eine Nachrichtenorganisation Material veröffentlicht, das eine wichtige öffentliche Debatte anregt. Egal, wie ärgerlich oder peinlich dieses Material auch sein mag. Verstörende FragenAm Sonntag nun wurde David Miranda, der Partner des Guardian-Kolumnisten Glenn Greenwald, am Londoner Flughafen Heathrow festgehalten. Er befand sich auf der Durchreise zurück nach Rio de Janeiro, wo das Paar lebt. Greenwald hat als Reporter den Großteil der auf den Leaks des ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden beruhenden Beiträge über staatliche Überwachung verfasst. Ganz sicher ist seine Arbeit für westliche Regierungen ärgerlich und peinlich gewesen. Doch die folgende Debatte in den USA und Europa hat auch gezeigt, dass ein erhebliches öffentliches Interesse an dem besteht, was seine Artikel über das richtige Verhältnis von Sicherheit, Bürgerrechten, Redefreiheit und Privatsphäre offenbart haben. Er hat verstörende und treffende Fragen aufgeworfen: Über die Kontrolle der Geheimdienste, über Geheimgerichte, die lauschige und geheime Beziehung zwischen Regierungen und großen Unternehmen. Und darüber, in welchem Umfang die Kommunikation von Millionen Bürgern abgefangen, gesammelt, analysiert und gespeichert wird.Bei seiner Arbeit wird Greenwald regelmäßig von David Miranda unterstützt, der kein Journalist ist, aber als Helfer großen Anteil an der journalistischen Arbeit seines Lebensgefährten hat. Greenwald hat alle Hände voll zu tun, das Snowden-Material zu lesen und zu analysieren, zu schreiben und Anfragen von Medien und sozialen Medien aus aller Welt zu bearbeiten. Er kann diese Unterstützung gut gebrauchen. Diese Arbeit wird durch die Gewissheit immens verkompliziert, dass es für Greenwald – wie für andere Journalisten – absolut nicht zu empfehlen ist, irgendein elektronisches Kommunikationsmittel als sicher zu betrachten. Für die Arbeit des Guardian an der Snowden-Story mussten viele Personen sehr oft ein Flugzeug besteigen, um sich unter vier Augen zu treffen. Nicht gut für die Umwelt, aber die einzige Möglichkeit. Bald werden wir wieder bei Stift und Papier sein.Gefährlicher OrtMiranda wurde neun Stunden lang unter Berufung auf Paragraph 7 der britischen Anti-Terror-Gesetze festgehalten. Diese eröffnen einen enormen Ermessensspielraum für das Festhalten, Durchsuchen und Befragen von Personen. Auch wenn diese keinerlei Verbindung zum „Terror“ haben, wie er gemeinhin verstanden wird. Die Verdächtigten haben kein Anrecht auf eine gesetzliche Vertretung, ihr Eigentum kann bis zu sieben Tage lang konfisziert werden. Unter dieser Maßnahme – die speziell auf Häfen und die Transitbereiche von Flughäfen zugeschnitten wurde – existieren die Checks and Balances nicht, die gelten, sobald jemand richtig in Großbritannien einreist. Es besteht nicht die Notwendigkeit, jemanden festzunehmen und Anklage zu erheben, für Journalisten und ihr Material gibt es keinen Schutz. Eine Transitlounge in Heathrow ist ein gefährlicher Ort. Mirandas beruflicher Status – es wird heftig darum gerungen, ob er nun ein „richtiger“ Journalist ist oder nicht – ist unter diesen Bedingungen weitgehend unerheblich. Die Frage, wer Schutz verdient, sollte immer weniger lauten: „Handelt es sich um einen Journalisten?“ und immer mehr „Liegt die Veröffentlichung dieses Materials im öffentlichen Interesse?“. Das Festhalten Mirandas hat zu Recht weltweit für Entsetzen gesorgt. Sie stärkt die Wahrnehmung, dass die Regierungen der USA und Großbritanniens – die zwar behaupten, die von Snowden angestoßene Debatte um staatliche Überwachung zu begrüßen – entschlossen sind, mit aller Macht gegen den Strom der Leaks und Whistleblower vorzugehen. Der Eindruck stimmt. An dieser Stelle ein paar Hintergrundinformation über die beträchtlichen Hürden, die einem in den Weg gelegt werden, wenn man die Öffentlichkeit darüber informieren will, was Geheimdienste, Regierungen und Unternehmen so treiben.Vor etwas mehr als zwei Monaten wurde ich von einem sehr hochrangigen Regierungsmitarbeiter kontaktiert, der behauptete, die Haltung des Premierministers zu vertreten. Es folgten zwei Treffen, während der er die Rückgabe oder Vernichtung des gesamten Materials forderte, an dem wir arbeiteten. Der Tonfall war unnachgiebig, aber freundlich. Implizit war aber auch die Drohung enthalten, andere in der Regierung und im Verteidigungsministerium bevorzugten eine sehr viel drakonischere Vorgehensweise.Zwielichtige RegierungsfigurenDie Stimmung verhärtete sich vor etwa einem Monat. Ich erhielt einen Anruf aus inneren Regierungskreisen, in dem es hieß: „Ihr habt euren Spaß gehabt. Jetzt wollen wir das Zeug zurück.“ Es folgten weitere Treffen mit zwielichtigen Regierungsfiguren. Die Forderung war stets die gleiche: Herausgabe oder Zerstörung des Snowden-Materials. Ich erklärte, uns sei keine Recherche oder Berichterstattung zu dem Thema möglich, wenn wir dieser Aufforderung nachkämen. Daraufhin sah der Mann von der Regierung verwirrt aus: "Ihr habt eure Debatte gehabt. Es braucht nichts mehr geschrieben zu werden.“ Während einer dieser Begegnungen fragte ich direkt, ob die Regierung versuchen würde, die Berichterstattung des Guardian auf rechtlichem Weg zu unterbinden, indem sie vor Gericht die Aushändigung des Materials erzwingen würde, an dem wir arbeiteten. Der Beamte bestätigte, dies sei tatsächlich die Absicht, sollten wir das Material nicht selbst herausgeben oder zerstören. Eine Zensur im Vorfeld der Veröffentlichung, wie sie in den USA beinahe unmöglich ist, lag im Vereinigten Königreich nun explizit auf dem Tisch. Doch meine Erfahrungen mit WikiLeaks – mit dem USB-Stick und dem Ersten Zusatz der US-Verfassung – hatten mich auf diesen Moment vorbereitet. Ich erläuterte dem Regierungsbeamten internationale Kollaborationen und die Wege, auf denen sich Medienorganisationen dieser Tage die Umgebung mit der jeweils permissivsten Gesetzeslage zu Nutze machen können. Ganz unverblümt gesagt: Wir müssen nicht aus London berichten. Schon zu diesem Zeitpunkt wurde ein Großteil der NSA-Stories in New York verfasst und bearbeitet. Und war ihm überhaupt bewusst, dass Greenwald in Brasilien lebt? Der Mann zeigte sich ungerührt. Und so kam es zu einem der bizarrsten Augenblicke in der langen Geschichte des Guardian – zwei Sicherheitsexperten des britischen Geheimdienstes GCHQ überwachten im Keller der Redaktion die Zerstörung von Festplatten. Nur um sicherzustellen, dass diese zerstörten Metallteile nichts enthielten, das für vorbeikommende chinesische Agenten von Interesse sein könnte. „Die schwarzen Hubschrauber können wir zurückrufen“, scherzte einer von ihnen, während wir die Überreste eines MacBook Pro zusammenkehrten. Ein böses ErwachenDie Regierung war zufrieden gestellt. Das Ganze fühlte sich an, wie ein besonders sinnloses Symbolstück ohne jedes Verständnis für das digitale Zeitalter. Wir werden weiter mit Geduld und Akribie über die Snowden-Dokumente berichten, nur eben nicht aus London. Auch für Greenwalds Arbeit wird die Beschlagnahmung von Mirandas Laptop, Telefonen, Festplatten und Kamera keine Folgen haben. Der Staat, der einen solch gewaltigen Überwachungsapparat aufbaut, wird alles geben, Journalisten davon abzuhalten, darüber zu berichten. Die meisten Kollegen können das erkennen. Doch ich frage mich, wie viele von ihnen wirklich die absolute Bedrohung für den Journalismus verstanden haben, die der Idee der totalen Überwachung innewohnt, wenn oder falls diese denn kommt. Dabei sieht es immer mehr danach aus, als gehe es nur noch um das „wenn“. Möglicherweise dauert es nicht mehr lange, bis verlässliche Quellen für Journalisten zur Unmöglichkeit werden. Die meisten Artikel – und im Jahr 2013 eigentlich der Großteil des menschlichen Lebens – hinterlassen einen zu großen digitalen Fingerabdruck. Die Kollegen, die Snowden jetzt verunglimpfen, könnten eines Tages ein böses Erwachen erleben. Dann werden ihre Texte und Sachen attackiert. Wenigstens wissen Reporter nun, dass sie sich von den Transiträumen des Flughafens Heathrow fernhalten sollten.
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