Was würde Sie dazu bringen, sich vor tausenden von Menschen all ihrer Kleider zu entledigen? Juan James Rodriguez reichten eine Million Dollar, um die Wette des US-Milliardärs Alki David anzunehmen. Der hatte auf seiner Webseite dem Ersten, der vor Barack Obama flitzen würde, eine Million Dollar geboten und so sprang Rodriguez am Sonntag bei einer Wahlkampfveranstaltung des Präsidenten in Philadelphia nackt durch die Menschenmenge.
Andererseits könnten eine Million Dollar wohl viele in Versuchung führen: Nicht zuletzt, weil außer zu viel Alkohol und schamlosem Exhibitionismus eigentlich nichts erforderlich ist. In den Anfangstagen des Flitzens – den siebziger und achtziger Jahren – verweilten die Kameras liebevoll auf den Nackten, insbesondere wenn sie weiblich waren, doch heute schwenken sie eher weg. „Keiner will ihnen zusätzliche Öffentlichkeit geben“, erklärt Fußball-Kommentator David Pleat von der BBC. „Fernsehbilder würden doch nur das Image des Sports schädigen und Nachahmer anspornen.“ Trotzdem gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Zahl derer, die für einen kurzen Moment Aufmerksamkeit alle Hüllen fallen lassen, rückläufig wäre.
Anfang des Monats spazierte beim prestigeträchtigen Golfturnier Ryder Cup ein Mann über den Rasen, der mit einem Sonnenhut, einem roten Umhang, Socken und Schuhen (selbstredend – wer will schon schmutzige Füße bekommen) und einem ausgefallen String-Tanga bekleidet war (und der eine unvorteilhafte Ähnlichkeit mit dem Fußballer Paul Gascoigne aufwies). Bei einem Pokalspiel zwischen Scunthorpe und Manchester United stürmte der 20-jährige Danny Goldie noch leichter bekleidet los – sehr zur Freude der Fans. Sie grölten: „Fergie, Fergie [gemeint war Manchester-Trainer Alex Ferguson; Anm. der Übers.], nimm ihn unter Vertrag“. Inzwischen hat der Mann eine eigene Fan-Seite bei Facebook.
Für zehn Guineen
Der erste Flitzer, dessen Großtat aus dem Jahr 1799 überliefert ist, hatte eine Wette angenommen – plus ca change, plus c’est la meme chose – und war für zehn Guineen nackt durch die City of London gerannt. Zu einem modernen kulturellen Phänomen sollte das Flitzen jedoch erst 1973 nach einem Massenlauf nackter Studenten an der Universität von Maryland werden.
Im darauffolgenden Jahr entblößte sich der 25-jährige Australier Michael O’Brien im Londoner Twickenham-Stadion während eines Rugby-Länderspiels zwischen England und Frankreich. Das Foto des Australiers – wie er mit ausgestreckten Armen von zwei Polizisten festgehalten wird, während ein dritter mit seinem Helm O’Briens Geschlechtsteile verdeckt – hat Kultstatus erlangt.
Seither stürmen Flitzer mit schöner Regelmäßigkeit bei Sportveranstaltungen auf der ganzen Welt das Feld – wobei gesagt werden muss, dass es die Länder mit angelsächsischen Affiliationen am buntesten treiben. Männer und Frauen scheinen gleichermaßen scharf darauf zu sein, unangenehm aufzufallen, wobei die Frauen tendenziell eher ihren Unterleib bedeckt halten.
Die erste Frau, die im Vereinigten Königreich nachhaltige Berühmtheit erlangte, war Erica Roe, die 1982 oben ohne durch das Stadion von Twickenham rannte, während England auf dem Platz gegen Australien spielte. Dieses Mal musste ein Polizeihelm die nackte Brust bedecken – und auch dieses Foto ging um die Welt. „Meine große Schwester Sally ist schuld. Sie ging mit einem Haufen Rugby-Idioten zum Spiel und zog mich da hinein“, erzählte sie Jahre später dem Observer. „Wir kamen mit einer Gruppe von 25 Leuten dort an und gingen direkt ins Bierzelt. Ich war eindeutig beschwipst. Nüchtern hätte ich so etwas Lächerliches nie gemacht! Uns wurde etwas langweilig, dachten, wir sollten etwas tun, und innerhalb von Sekunden entschieden wir: 'Lasst uns flitzen.' Es war eine impulsive Sache. Wir warfen unsere Kleider von uns. Ich reichte den Leute hinter mir meinem BH und meine Schachtel Marlboro. Die Halbzeitpause kam, und los ging’s. Ich erinnere mich, dass ich wie verrückt rannte, da ich wusste, dass ich verfolgt wurde. Ich sah mich nach [meiner anderen Schwester] Sarah um, aber sie folgte mir nicht. Ich hörte das ganze Geschrei und dachte: 'Ich muss vom Rasen runter, die zweite Halbzeit fängt an.' Doch ich merkte schnell, dass das Gebrüll mir galt. Also benahm ich mich natürlich wie eine egoistische Schlampe, ich riss die Arme in die Höhe und rief 'Yes! Hi!'“
Die Boulevardzeitungen drehten eine Woche lang vollkommen durch, Roe jedoch haute nach Portugal ab, um dort Süßkartoffeln zu züchten und eine ruhige Kugel zu schieben.
Milde Form des Protests
Nicht, dass sich mit dem Flitzen wirklich Karriere machen ließe. Jacqui Salmond, die im Jahr 2000 bei den British Open vor Tiger Woods flitzte, arbeitet heute in einem Caritas-Laden. Damals arbeitete sie als Striptease-Tänzerin in einem Pub in Kirkcaldy, wo das Goldturnier im Fernsehen lief. „Das Säuseln des Moderators und der höfliche Applaus versetzten mich in eine Art Koma“, erzählte sie später einer Zeitschrift. „Dann hatte ich plötzlich die Idee. Ich wusste, was das Publikum begeistern würde. Ein Flitzer. Und wer wäre besser geeignet gewesen als ich? Ich hatte keine Hemmungen, etwas Haut zu zeigen. Dem Anreiz eines so viel größeren Publikums konnte ich nicht widerstehen. Ich brach durch die Absperrung und eilte zum 18. Loch. Das Adrenalin jagte durch meinen Körper. Einen Moment lang herrschte Stille, ein paar zogen hörbar die Luft ein, andere kicherten. 'Wahey', rief ein Kerl. Dann jubelten mir alle zu. Angestachelt von der Menge führte ich sogar einen kleinen Siegestanz auf.“
Selbst in den USA, wo das Flitzen oft als eine milde Form des politischen Protests eingesetzt wird, geht die Aktion als ungehörig, aber irgendwie ganz nett durch. Der einzige Ort, an dem man als Flitzer wirklich zu Schaden kommen kann, sind australische Sportveranstaltungen, und auch dann nur wenn man männlich ist. Aus irgendeinem Grund scheinen australische Sport-Stars den Anblick von Männern, die nackt ihren Arbeitsplatz durchkreuzen, als Affront gegenüber ihrer eigenen Sexualität zu empfinden, weshalb sie diese mit Gewalt zu Boden zwingen.
Tatsache ist, dass ein Flitzer mittlerweile keinen mehr wirklich schockieren kann. Sie werden kurz in der Presse erwähnt, bekommen ein Bußgeld und dann kehren sie in ihr normales Leben zurück.
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