Fragile Juwelen der Kälte

Schneeflocken Endlich schneit es mal wieder in Deutschland - und wieder stellt sich eine jahrhundertealte Frage: Gleicht wirklich keiner der wunderschönen Kristalle dem anderen?

Wasser gefriert zu Kristallen unendlicher Formenvielfalt - einige Klassifikationstabellen führen bis zu achtzig verschiedene Unterarten. Zu den größten und schönsten unter diesen gehören die sternförmigen Dendriten, so der lateinische Fachbegriff für sechsarmige Eiskristalle. Nicht minder zauberhaft sind die sogenannten Plättchen mit sektorierten Fortsätzen, es sind aber auch weniger fotogene Formen darunter - einfache Plättchen, Säulen, Nadeln, Projektile und diverse Mischformen, um nur einige zu nennen.

Zwölfzackige Flocken aus Frau Holles Kissen

Neben den sechsarmige Dendriten fallen aber auch drei- oder zwölfzackige Flocken aus Frau Holles Kissen, einen unter natürlichen Bedingungen zustande gekommenden Schneekristall mit vier, fünf oder acht Seiten wird man allerdings nie erblicken. Der amerikanische Physiker Kenneth Libbrecht, der sich leidenschaftlich mit dem Fotographieren und Erforschen der fragilen WInterschönheiten beschäftigt, erklärt in seinem Buch Schneeflocken, wie er die schönsten Kristalle unter die Linse bekommt: „Zunächst lasse ich Schnee auf ein Trägerplättchen fallen, welches ich dann untersuche, um die interessantesten Exemplare zu finden. Die Kristalle mit der perfektesten Form findet man gewöhnlich bei leichtem Schneefall mit wenig Wind, wenn es besonders kalt ist.“

Die Gelehrten des alten China waren die ersten, denen die hexagonale, also sechseckige Struktur der Schneekristalle auffiel und auch im Abendland hat die Schneeflockenforschung mittlerweile Tradition, obwohl die Europäer sich erst viel später von der Faszination anstecken liessen. Im frühen siebzehnten Jahrhundert schrieb der Astronom und Mathematiker Johannes Keppler eine Abhandlung über den Schnee, später widmeten sich dann René Descartes, Robert Hooke und der englische Wahlfang-Kapitän William Scoresby dem Studium der schnell vergänglichen Schönheiten.

Ein Leben für den Schnee

Der erste Mensch, dem es gelang, Schneekristalle mit der Kamera festzuhalten, war Wilson Bentley. Der Farmer aus dem amerikanischen Bundesstaat Vermont hatte als Teenager ein Mikroskop geschenkt bekommen und war so verzaubert von dem, was er sah, dass er sein weiteres Leben dem Fotografieren von Schneekristallen widmete und sich entschloss, die Welt davon zu überzeugen, dass keine von ihnen der anderen gleicht.

Ob Bentley damit Recht hatte? Weitestgehend ja. Der Wuchs der Schneekristalle hängt von Temperatur und Druckverhältnissen in den Wolken ab. Die unterschiedlichen Enstehungsbedingungen jeder einzelnen Flocke und ihr langer Weg zur Erde, der mehrere Stunden dauern kann, führen zu unbegrenztem Formenreichtum. Es gibt zwar einfach aufgebaute Formen, die unter dem Mikroskop gleich zu sein scheinen, auf molekularer Ebene sind aber sogar diese verschieden. Deshab findet Libbrecht: „Jeder Schneefall ist ein fotografisches Abenteuer, da jeder andere Kristalle hervorbringt," und beteuert: "Es ist wahr – niemals sind zwei exakt identisch.“


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Charlie English | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden