Frauenhass tötet

#YesAllWomen Eigentlich sollte es inzwischen allen klar sein. Dennoch lohnt es, immer wieder klar und deutlich zu wiederholen: Misogynie kann tödlich sein

Am Freitagabend hat ein Mann – er wurde inzwischen von der Polizei als Elliot Rodger identifiziert – im kalifornischen Isla Vista einen Amoklauf verübt, bei dem sechs Menschen getötet wurden und sieben weitere schwere Schusswunden erlitten. Offenbar wollte er damit an Frauen „Vergeltung“ üben, die ihn immer wieder sexuell zurückgewiesen hatten. Berichten zufolge wurden drei der Leichen in Rogers Wohnung gefunden.

Vor dem Massenmord hat der 22jährige Rodger – der sich ebenfalls am Freitagabend das Leben nahm – mehrere Videos bei YouTube hochgeladen, in denen er darüber klagte, dass er noch Jungfrau sei und schöne Frauen ihm keine Beachtung schenkten. In einem dieser Videos erklärte er ungerührt, er werde „jede einzelne verdorbene, eingebildete blonde Schlampe, die ich sehe, abschlachten.“

Seiner Familie zufolge befand Rodger sich in psychiatrischer Behandlung. Diesen Fall jedoch als den eines einzelnen „Irren“ abzutun wäre falsch.

Es hieße, nicht nur Menschen mit seelischen Erkrankungen - die im übrigen mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit zu Opfern von Gewalt werden als zu Tätern - zu stigmatisieren, sondern auch zu verschleiern, welche Rolle Frauenhass und die Schusswaffenkultur in einer sexistischen Gesellschaft spielen (und wie vorhersehbar derartige Gewalt ist). Denn inwiefern Rodgers Berichten zufolge schlechte psychische Verfassung zu dem Verbrechen beigetragen hat, ist unklar. Die Rolle des Frauenhasses hingegen ist offenkundig.

In seinem letzten Video erklärte Rodger:

„Im College haben alle Sex, Spaß und Vergnügen. Ich hingegen musste einsam vor mich hin modern. Das ist nicht fair ... Ich weiß nicht, warum ihr Mädels nicht auf mich steht – aber ich werde euch alle dafür bestrafen.“

Wie den meisten jungen amerikanischen Männern wurde auch Rodger beigebracht, dass er ein Anrecht auf Sex und weibliche Aufmerksamkeit habe. (Erst im vergangenen Monat wurde eine junge Frau offenbar aus dem Grund erstochen, dass sie die Einladung eines jungen Mannes zum Schulabschlussball nicht angenommen hatte). Rodger war so sehr von diesem Anspruch überzeugt, dass er das Desinteresse von Frauen ihm gegenüber als „Ungerechtigkeit“ und „Verbrechen“ bezeichnete.

„Ihr habt mich mein ganzes Leben lang gezwungen zu leiden. Jetzt werde ich euch alle leiden lassen. Ich habe lange darauf gewartet. Ich werde euch geben, was ihr verdient – euch allen. All euch Mädchen, die ihr mich zurückgewiesen habt, die ihr auf mich herab geschaut habt, die ihr mich wie Abschaum behandelt habt, während ihr euch an andere Männern vergeben habt.“

Berichten zufolge war Rodger in einem Forum der Männerrechtsbewegung im Internet aktiv und verfolgte auf YouTube mehrere Männerrechtskanäle. Die Sprache, die er in seinen frauenfeindlichen Videos verwendet – unter anderem bezeichnet er sich selbst als „Alphamännchen – ist in solchen Kreisen üblich.

Diese Online-Communities sind derart virulent frauenfeindlich, dass das Southern Poverty Law Center, das sich mit Hassgruppen befasst, sie seit Jahren beobachtet.

Und dennoch ist es so, wie die Künstlerin Molly Crabapple auf Twitter sagt: „Für weißen Terrorismus werden immer Schusswaffen oder psychischen Erkrankungen verantwortlich gemacht – nie giftige Ideologien.“

Wenn wir über diesen tragischen Amoklauf schon unter dem Gesichtspunkt der Krankheit reden müssen, sollten wir bei unserer kulturellen Krankheit anfangen – einer Krankheit, die sich weigert, Frauenhass als etwas Vermeidbares zu betrachten.

Am Samstag wurde berichtet, Rodgers Familie sei schon „Wochen“ vor der Tat wegen der Videos, die ihr Sohn gepostet hatte, mit der Polizei in Verbindung getreten. Der Anwalt der Familie ließ wissen, die Polizei habe Rodger befragt und sei zu dem Schluss gekommen, es handele sich um einen „freundlichen, höflichen und wunderbaren Menschen“.

Da stellt sich die Frage, inwiefern die Polizei über Rodgers Videotiraden hinweg sah, weil brutaler Frauenhass bei jungen Männern als normal angesehen wird.

"Gewalttätige Frauenhasser als 'verrückt' abzutun ist ein prima Weg zu sagen, dass es sich bei frauenfeindlicher Gewalt um ein individuelles Problem handelt, statt um ein kulturelles“, twitterte die feministische Bloggerin Melissa McEwan.

In Wahrheit gibt es keine einzelnen Frauenhasser. Sie werden geschaffen. Von unserer Kultur und von Gruppen, die ihnen sagen, dass ihr Hass nichts Ungewöhnliches und absolut gerechtfertigt ist.

Wenn wir sagen, dass solche Dinge sich nicht vermeiden lassen, sagen wir also in Wahrheit, dass wir nicht gewillt sind, zu tun, was nötig wäre, um sie zu verhindern. Gewalt gegen Frauen muss nicht unabwendbar sein. Aber sie ist fast immer vorhersehbar. Entscheidend ist, was wir dagegen tun.

Auf Twitter berichteten Frauen aus der ganzen Welt unter dem Hashtag #YesAllWomen über ihre Erfahrungen und erklärten, warum sie sich oft nicht sicher fühlen. Das Hashtag entstand in Umkehr des Einwands „Nicht alle Männer sind so“, der so oft folgt, wenn Frauen über Sexismus berichten.

Unter anderem twitterte die Schauspielerin Felicia Day:

When a woman makes a video, most comments are about tearing apart her looks. Or if they'd "do" her. With a man, almost none. #YesAllWomen

— Felicia Day (@feliciaday) 26. Mai 2014

Innerhalb von 24 Stunden erschienen unter dem #YesAllWomen-Hashtag über 250.000 Tweets.

Because every single woman I know has a story about a man feeling entitled to access to her body. Every. Single. One. #YesAllWomen

— Emily (@emilyhughes) 24. Mai 2014

In college, a police officer told us to scream FIRE if we were in danger of being assaulted otherwise people won't get involved #YesAllWomen

— Carrie K. (@OneBookishMom) 24. Mai 2014

#yesallwomen because when someone writes threats about us online, Twitter says it is 'not abuse', not a warning sign, not even unusual

— Leigh Alexander (@leighalexander) 25. Mai 2014

I've spent 19 yrs teaching my daughter how not to be raped. How long have you spent teaching your son not to rape? #yesallwomen

— Deanna Raybourn (@deannaraybourn) 24. Mai 2014

Because I shouldn't have to wonder how posting my experiences to #YesAllWomen will affect my job. And it will.

— Amber Naslund (@AmberCadabra) 25. Mai 2014

Auch Männer beteiligten sich – aus Solidarität und um auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Unter ihnen der Schriftsteller Neil Gaiman:

The #yesallwomen hashtag is filled with hard, true, sad and angry things. I can empathise & try to understand & know I never entirely will.

— Neil Gaiman (@neilhimself) 25. Mai 2014

If, as a man, you're offended by #YesAllWomen ,you might have bigger problems than a hashtag.

— J Robertson (@A_robots_sun) 26. Mai 2014

Einige Nutzer klagten, sie seien zu Opfern von Internettrollen geworden, nachdem sie ihre Erfahrungen geteilt hätten. Andere versuchten, das alternative Hashtag #YesAllPeople zu etablieren:

#YesAllWomen because we can't talk about our fears and our experiences in even a HASHTAG without men coming to turn it into #YesAllPeople

— priya (@thewordy) 25. Mai 2014

In Deutschland hat sich unter anderem Kleinerdrei mit #YesAllWomen beschäftigt.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Jessica Valenti, Elena Cresci | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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