Feuerwerk Der Künstler und Selbstdarsteller Damien Hirst will Kunst im Wert von 10 Millionen Pfund verbrennen. Wo er die Publikumsbeteiligung anpreist, sehen andere nur einen weiteren hohlen Kunstmarkt-Stunt
Nehmen wir zwei kulturelle Phänomene, die beide auf Verwirrung abzielen und jetzt aber viel Geld wert sind: die Kunst von Damien Hirst und die ebenso berüchtigten „non-fungible tokens“ oder NFTs. Beide haben jeweils schon viele Kunstliebhaber verblüfft. Diesen Monat nun kommen sie in einem dramatischen Ereignis zusammen, das während der Frieze London stattfinden wird, wenn die internationale Kunstwelt ihre wankelmütige Aufmerksamkeit auf die britische Hauptstadt richtet.
Als ob das Aufeinandertreffen des berüchtigten britischen Künstlers mit dem rätselhaften digitalen Kunstmarkt nicht schon explosiv genug wäre, wird auch noch ein echtes Freudenfeuer versprochen. Hirst hat die Absicht, Kunstwerke aus seiner ersten NFT-Sammlung im Wert
g im Wert von zehn Millionen Pfund anzuzünden. Für seine Kritiker markiert der teure Stunt den Tiefpunkt einer Karriere, die sowieso nur auf Schlagzeilen und übersteigerter Selbstsicherheit gründet. Für seine Bewunderer ist es eine Gelegenheit, die Wirkung eines Meisters zu verfolgen.Hirsts Feuerwerk soll kommenden Dienstag, am 11. Oktober, vor einem virtuellen Publikum und geladenen Gästen in seiner Newport Street Gallery beginnen. Das Verbrennungsritual wird dann täglich zu bestimmten Zeiten fortgesetzt, bis seine Ausstellung The Currency am Ende des Monats geschlossen wird.Die Kunstwerke selbst, eine Serie von 10.000 Bildern mit seinem Markenzeichen, farbigen Punkten, wurden vergangenes Jahr von Heni, einem Dienstleister für digitale Kunst, auf den Markt gebracht, wobei jedes Bild durch ein virtuelles Token (NFT) im Wert von 2.000 Pfund repräsentiert wurde. Die Sammler hatten die Möglichkeit, entweder das Token oder das physische Kunstwerk zu behalten, und bis zum Sommer dieses Jahres hatten sich 5.149 Käufer für den materiellen Gegenstand und 4.851 für das NFT entschieden. Diese 4.851 Originale will er nun vernichten.Für die Autorin und Kunstkritikerin des Observer, Laura Cumming, steht der demonstrativ provokante Akt ganz im Einklang mit der bisherigen Praxis des Künstlers. „Damien Hirst hat den Markt selbst schon vor langer Zeit zu seinem Medium und seiner Botschaft gemacht“, sagt sie. „Sein neuester Streich fügt sich bestens in dieses Konzept ein. Er war schon immer brillant im Umgang mit Titeln, und The Currency ist gleichsam das konzentrierte Crack-Kokain der Epigramme. Denn genau darum geht es – um Kunst als Geld, und darum, wie man mit Kunst Geld machen kann. Und das wiederum trifft genau den Kern der Frieze-Woche“.Der Reiz der ZerstörungHirsts Feuerwerk wird bei Weitem nicht die erste künstlerische Spielerei mit dem Spektakel der Zerstörung sein. Bevor Banksy 2018 den Auktionssaal überraschte, indem er sein Girl With Balloon schredderte, hatte schon die Band KLF die Musikwelt verblüfft, als sie im Sommer 1994 eine Million Pfund auf der Hebrideninsel Jura in Flammen steckte. Und im Jahr 2001 verwirklichte der Künstler Michael Landy seinen Plan, sein gesamtes Hab und Gut in einem verlassenen Kaufhaus zu vernichten.Willkürliche Zerstörung ist beängstigend, doch jeder, der schon einmal eine Sandburg oder einen Schneemann gebaut hat, kennt den großen Reiz, den die drohende Zerstörung auf die Kreativität ausübt. Richard Wright, der Turner-Preisträger von 2009, etwa betrachtet die eventuelle Zerstörung seiner aufwendigen Wandgemälde als Teil ihres Wesens; er gibt an, dem gelassen entgegenzusehen.Die Bilder, aus denen sich The Currency zusammensetzt, wurden 2016 von Hand mit Emaillefarbe auf Papier gemalt, nummeriert, mit Wasserzeichen, Hologrammen und Mikropunkten sowie mit Stempeln und zufälligen Titeln aus Hirsts Lieblingssongtexten versehen, bevor sie auf der Rückseite signiert wurden.Der Künstler selbst sieht die Serie als Möglichkeit, das Publikum am Kauf, Tausch oder Verkauf seiner Werke teilhaben zu lassen. Für die Außenwelt jedoch sieht das genau wie die Art von Trickserei aus, die der zeitgenössischen Kunst einen schlechten Ruf eingebracht hat. Aber wo wäre diese Kunst ohne schlechten Ruf? Ähnlich wie die Punk-Welle in der Musik der späten 1970er Jahre hätten auch die Young British Artists der späten 1990er Jahre nicht viel bewirken können, wenn sie nicht ein paar heilige und, im Fall von Hirst, schließlich gut eingelegte Kühe geschlachtet hätten.Die Musik der Sex Pistols war weder melodiös noch wohlklingend, aber sie war aufregend. Hirst war ihr Äquivalent unter den jungen britischen Künstlern. Genau wie Johnny Rotten stellte er die lästigen Fragen, die die moderne Kunst schon oft gestellt hat, noch eine Spur aggressiver. Fragen wie: Was ist Kunst und worin unterscheidet sie sich von Handwerk, von Design oder gar einem visuellen Witz? Wir verstehen alle, dass ein Pillenschrank ein Pillenschrank ist, aber wenn man eine Kunstgalerie damit füllt, bedeutet es mehr. Und welche Bedeutung hat es, wenn man diese Pillenschränke dann in Massenproduktion herstellt? NFTs führen solche konzeptionellen Rätsel nun noch einen Schritt weiter, indem sie mit der Notwendigkeit eines physischen Produkts aufräumen.„Wenn jemand mit NFTs und ihrem Wert spielen kann, dann Damien Hirst“, sagt Louisa Buck, Korrespondentin für zeitgenössische Kunst bei The Art Newspaper, und gibt zu, dass sie „nicht zu denen gehört, die NFTs für die Ausgeburt des Teufels halten“. „Er war schon immer großartig darin, mit dem Kunstmarkt zu spielen. Wobei ein Großteil der Kunst, die dabei herauskam – nun, das ist eine andere Geschichte.“Buck verweist auf die schwankende Qualität der 223 Hirst-Werke, die etwa 2008 bei der umstrittenen Londoner „Räumungsversteigerung“ verkauft wurden und von großartig bis „abscheulich“ rangierten. Die Auktion, bei der Kunsthändler angeblich gezwungen waren, heimlich einige Werke zurückzukaufen, um den Marktwert des Künstlers zu schützen, war ein Fiasko.Wahrheit oder Kunst„Und was den mit Diamanten besetzten Schädel angeht (von dem Hirst 2007 behauptete, er sei für 50 Millionen Pfund verkauft worden, was er später wieder dementierte), so weiß niemand, ob Hirst ihn jemals besessen hat oder wer ihn gekauft hat“, so Buck. „Auf jeden Fall hat er fantastische Arbeit geleistet, indem er sich auf die Frage eingelassen hat, was Kunst und was Ware ist. Was auch immer als Nächstes passiert, er hat bereits einige der erstaunlichsten Kunstwerke der letzten Jahrzehnte geschaffen.“Nicht alle sind auch nur annähernd so begeistert. Einer seiner Künstlerkollegen sagte mir kürzlich, der Rummel um Hirst erscheine ihm „fast so langweilig wie dessen schreckliches Werk“. Ebenso gut könne man Cliff Richard auf Musikseiten in den Medien Platz einräumen.Bei einem Hirst-Kritiker hat die Eröffnung der neuen NFT-Ausstellung bereits eine entsprechende Reaktion hervorgerufen: Ein Künstler namens Victor zertrümmerte aus Protest eine von Hirsts gepunkteten Keramikplatten auf dem Bürgersteig vor dessen Galerie im Stadtteil Vauxhall und verbrannte danach ein Buch, das er nun für 250.000 Pfund verkaufen will, als Kommentar zum „absurden Kunstmarkt“.In der Kunst geht es natürlich nicht ausschließlich um Stunts. Es geht um anregende Bilder und Ideen, von denen sich einige direkt mit der Idee der Kunst selbst befassen. Der Wert, den wir einem Bild beimessen, hängt immer von uns selbst ab, genau wie beim Vertrauen in eine Währung. Wie Hirst einmal sagte, als er gefragt wurde, ob die angeblichen Schätze aus einem Schiffbruch, die er 2017 auf der Biennale in Venedig zeigte, echt seien: „Mythos oder Tatsache ... was immer Sie glauben wollen.“Placeholder infobox-1
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