Die kenianische Regierung hat angekündigt, in Dadaab ein viertes Lager zu eröffnen, um die 1.300 Flüchtlinge unterbringen zu können, die nach wochenlangem Fußmarsch jeden Tag das Camp erreichen. Derzeit leben hier fünf Familien auf einer Fläche, die eigentlich für eine Familie vorgesehen ist – 59.000 sind zudem unzumutbaren Bedingungen außerhalb der Lager Ifo, Hagadera und Dagahaley ausgesetzt.
Soweit eine Grobskizze der aktuellen Lage. Das 1991 für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Somalia eingerichtete Refugium in Dadaad hatte bereits 2008 seine offizielle Belegungsgrenze erreicht. Lebensmittelknappheit, Dürre und anhaltende Gewalt in Somalia ließen die Zahl der Hilfesuchenden seit Beginn des Jahres noch einmal drastisch steigen. Mit 380.000 Menschen – so der Stand Mitte des Monats – ist Dadaab im Augenblick das größte Flüchtlingscamp der Welt. Wer dort ankommt, ist unterernährt und dehydriert. Die Hilfsorganisation Médecins sans Frontières gibt zu Protokoll – die Untersuchung von 500 Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren habe ergeben, dass 37 Prozent an akuter Unterernährung leiden, 17 Prozent von ihnen so schwer, das sie in Lebensgefahr schweben. Auch die Unterernährung der in Äthiopien eintreffenden Flüchtlinge liegt mit 45 Prozent um das Dreifache über dem Wert, der den Notfall definiert. Denn auch nach Äthiopien und Dschibuti fliehen Tausende Somalier. Seit Anfang 2011 sind über 54.000 von ihnen allein in der äthiopischen Region Dolo Ado angekommen, was die Gesamtzahl somalischer Flüchtlinge in Äthiopien auf 135.000 erhöht.
Die Tragödie war zu verhindern
Die Vereinten Nationen schätzen, dass in Ostafrika mindestens zehn Millionen Menschen infolge drastischer Lebensmittelnot, ausgefallener Ernten, steigender Lebensmittelpreise und der Konflikte in der Region auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden. Der Preis für Hirse ist im Vorjahr um 240 Prozent gestiegen, ein 90-Kilo-Sack Mais wird mittlerweile für fünf Ziegen gehandelt anstatt für eine. Großbritannien hat inzwischen seine Soforthilfe für die drei am stärksten betroffenen Länder – Somalia, Äthiopien und Kenia - auf 52, 5 Millionen Pfund erhöht. Doch selbst wenn sich alle Spender so großzügig erwiesen, könnte das Welternährungsprogramm damit nur bis September finanziert werden.
Die Dürren in dieser Region sind mittlerweile zu einer fast jährlich wiederkehrenden Erscheinung geworden. Von den vergangenen sieben Jahren waren fünf von extremer Trockenheit geprägt, von der im schlimmsten Jahr 2009 sogar 22 Millionen Menschen betroffen waren. Die in Somalia tätigen Hilfsorganisationen wussten seit Ende 2010 über das Ausmaß der kommenden Dürre Bescheid. Das Frühwarnsystem, das eingerichtet wurde, um die Hungerkatastrophe, die 1984 in Äthiopien über eine Million Menschenleben kostete, zu verhindern, sei in Kraft und funktioniere, schrieb Alison Rusinow, die Programmdirektorin der Hilfsorganisation HelpAge International in Äthiopien, gerade in ihrem Blog auf guardian.co.uk. „Die Wetterprognosen zeigten deutlich, dass die Dürre in diesem Jahr wieder extrem sein, und wo sie sich am schlimmsten auswirken würde. Aber als wir und andere Hilfsorganisationen versuchten, Geld von der internationalen Gemeinschaft zu bekommen, damit rechtzeitig genügend Nahrungsmittel vor Ort zur Verfügung standen, um unnötiges Leiden zu verhindern, strömten noch nicht genügend Hilfesuchende über die Grenzen. Es gab noch keine Bilder verhungernder Babys – nichts rührte sich. Daher waren wir nicht in der Lage, die jetzige Tragödie zu verhindern. Aber wir hätten sie verhindern können – und sollen“, so Rusinow.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Rusinows Urteil wird von anderen Hilfsorganisationen bestätigt. Darüber hinaus könnten ihrer Meinung nach die Menschen in der Region mit relativ geringen Mitteln in die Lage versetzt werden, besser mit den drastischen Folgen des Klimawandels umzugehen. So verweist der Vorsitzende des britischen Roten Kreuzes, Nicholas Young, auf ein Programm zur Ernährungssicherung in Äthiopien, zu dem die Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen ebenso gehöre wie die Erschließung und Pflege neuer Wasserquellen, die präventive Verteilung von Getreidesamen, von Gewächshäusern und Vieh sowie die Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene.
Ein aktuelles Programm des britischen Roten Kreuzes in den urbanen Regionen Dschibutis will gefährdete Familien mit Kleinkrediten ausstatten, damit sie ein Kleingewerbe betreiben und Geld verdienen können, um sich Lebensmittel zu kaufen. „Die Lage ist so ernst, dass in vielen Fällen Lebensmitteltransfers die einzig realistische Option darstellen. Die retten menschliches Leben, helfen aber nicht, die Widerstandskraft der Menschen zu stärken. Sie können sogar zur Destabilisierung der lokalen Märkte beitragen und die Abhängigkeit von Familien verfestigen. Man muss die Menschen während der relativ guten Zeiten unterstützen, damit sie in schlechten Zeiten über Reserven verfügen, um überleben zu können“, so Nicholas Young.
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