Für den Moment

Arbeitsmigration Nach Deutschland kommen immer mehr junge Spanier. Doch die meisten bleiben höchstens zwölf Monate
Ausgabe 28/2013
Für den Moment

Foto: Daniel Seiffert

Als Dacil Granados vor einem Jahr in Berlin zu ihrer ersten Deutschstunde kam, war sie überrascht, dass die gesamte Klasse aus Spaniern bestand. „Alle waren Ingenieure, bis auf einen Architekten“, erzählt die Kunsthistorikerin. „Und alle waren aus dem gleichen Grund – die meisten eher widerstrebend – hier: um zu arbeiten.“

Die 36-Jährige hat gerade als Führerin im Berliner Pergamon-Museum angefangen. Zuvor war sie arbeitslos, seit Ende 2011 ihr Job als Kuratorin in einer Galerie für Katalanische Kunst in Madrid verlorenging. Die auf Gran Canaria Geborene ist eine von 80.000 jungen Südeuropäern, die jedes Jahr in Deutschland ankommen und deren Zahl seit Ausbruch der Finanzkrise stetig steigt. Zwischen Januar und Juni 2012 gab es um 53 Prozent mehr spanische Einwanderer in Deutschland als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Unter den Griechen waren es fast 80 Prozent mehr.

„Vor der Krise habe ich nie gedacht, jemals in Deutschland zu arbeiten. Schließlich wusste ich nur sehr wenig über das Land“, sagt der 28-jährige Juanjo Pujol. „Ich bin auf Mallorca aufgewachsen, umgeben von deutschen Urlaubern, doch hätte ich mir nie träumen lassen, unter ihnen zu leben.“ Nach seinem Abschluss im Fach Umweltwissenschaften arbeitete Pujol kurze Zeit an einer Recycling-Anlage, die wegen einer neuen EU-Verordnung nötig geworden war. Danach war er arbeitslos und sah sich außerstande, eine neue Beschäftigung zu finden. „Da ich nicht vom Geld meiner Eltern leben wollte, entschloss ich mich, nach Berlin zu gehen.“ Er arbeitet derzeit als Babysitter und Barkeeper, fühlt sich aber nicht unbedingt willkommen.

Viele Südeuropäer, die an einen familien-orientierten Lebensstil gewöhnt sind, beklagen fehlende Aufgeschlossenheit. Es sei schwer, in Deutschland jenseits der Arbeit Leute näher kennenzulernen. Das Urteil, Spanier und Griechen hätten sich ihre Misere selbst eingebrockt, sei weit verbreitet. „Ich merke, wie manche Leute mich ansehen, wenn ich in einer Gruppe Spanisch spreche. Ich weiß, was die dann denken: Wir hätten es nur auf ihre Sozialleistungen abgesehen und seien selbst schuld an unserer misslichen Lage“, sagt Granados. Offiziellen Statistiken zufolge bleiben 70 Prozent der spanischen Arbeitsmigranten weniger als ein Jahr.

Um zu zeigen, dass ihr die neuen Arbeitskräfte wichtig sind, hat die Bundesregierung 140 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, mit denen Neuankömmlingen bei Sprachkursen, im Umgang mit der Bürokratie, bei der Wohnungssuche sowie bei Umzugskosten unter die Arme gegriffen werden soll. Für Rafael Santamarta war es schon dreimal möglich, nach Spanien zurückzugehen, seit er 2008 nach Berlin übersiedeln wollte. Doch er hat sich dagegen entschieden. „Drei spanische Headhunter haben mich kontaktiert“, sagt der 30-Jährige, der als Projektmanager bei der Berliner Spiele-Software-Firma Wooga arbeitet, die sich auf Social Games spezialisiert hat. „Aber im Moment vertraue ich dem deutschen System wesentlich mehr. Ich werde respektiert, ordentlich bezahlt und muss nur so viel arbeiten, wie in meinem Vertrag steht. In Spanien war nichts davon der Fall.“

Kate Connolly ist die Deutschland-Korrespondentin des Guardian

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Geschrieben von

Kate Connolly | The Guardian

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