In ihrer letzten Stunde kuschelten sich die anderen aneinander, betrachteten eingehend ihr Gesicht und schüttelten sie sanft, als wollten sie sie wieder zum Leben erwecken. Als sie auseinander gingen, blieb einer zurück und hielt ihre Hand.
Diese Sterbeszene hatte alle Schmerzlichkeit des menschlichen Verlusts, und doch handelte es sich hier nicht um die alltägliche Tragödie. Dieser letzte Atemzug wurde von Primatenforschern der Universität Stirling in Schottland mit der Kamera dokumentiert. Er stellt eines der außergewöhnlichsten Dokumente über das Verhalten von Schimpansen dar, das je aufgezeichnet wurde.
Pansy war mit ihren mehr als fünfzig Jahren Großbritanniens älteste Schimpansin. Der Film ihres Todes wurde am Montag veröffentlicht, er hält als erster die komplexen Reaktionen unserer nächsten Verwandten auf den Tod eines Mitglieds ihrer Gruppe fest. Die Forscher glauben, dass uns das Verhalten der Schimpansen womöglich ebenso viel über uns selbst verraten kann, wie über die Sympathien und die Reaktionen auf den Tod, die die Tiere innerhalb ihrer Gruppen und Familien an den Tag legen. Und der Film könnte die Art und Weise in Frage stellen, wie wir mit todkranken Tieren in Gefangenschaft verfahren.
Woher kommt die Trauer?
„Einige dieser Verhaltensweisen haben wir bei Schimpansen niemals zuvor beobachtet. Sie werfen Fragen über den evolutionären Ursprung unserer eigenen Reaktion auf den Tod und das Sterben von Freunden und Familienangehörigen auf“, meint der Wissenschaftler Jim Anderson. Anderson ist Experte für das soziale Verhalten nichtmenschlicher Primaten an der Universität Stirling. Er hat den Film aufgenommen.
„Viele unserer wichtigsten philosophischen Fragen betreffen den Tod und das Sterben und die Frage, wie wir diese wahrnehmen und mit ihnen umgehen.“ Pansy, die hochbetagt Ende 2008 im Blair Drummond Safari Park in Stirling starb, war eine von vier Schimpansen und Schimpansinnen, die von Andersons Gruppe gefilmt wurden. Als sie krank wurde, bekam sie regelmäßig Besuch von Tierärzten, die sie behandelten, während ihre Gefährten – ihre Tochter, ein Männchen und ein anderes Weibchen – aus einiger Entfernung zusahen.
Als Pansy sich in das Nest legte, das die anderen Affen für sie gebaut hatten, scharten diese sich um sie und lausten und streichelten sie. Kurz vor ihrem Tod kauerten alle drei sich nieder und studierten ganz genau ihr Gesicht. Dann schüttelten sie Pansy vorsichtig. „Man kommt kaum umhin zu denken, dass sie nach einem Lebenszeichen suchten“, meint Anderson. „Nach einer Weile schienen die Schimpansen gemeinsam zu der Entscheidung gelangt zu sein, dass sie tot sei. Ihre Tochter und das Männchen gingen sofort weg, doch das andere ausgewachsene Weibchen blieb bei ihr und hielt ihre Hand“, erzählt Anderson. „Am Abend kam die Tochter zurück und blieb die ganze Nacht bei ihrer Mutter. Sie versuchte zu schlafen, doch sie war offensichtlich sehr verstört. Das waren alle drei.“
Zwischen Raserei und stillem Schmerz
Selbst unter den nichtmenschlichen Primaten ist ihr Verhalten auffällig, denn Selbsterkenntnis und Mitgefühl gegenüber anderen Individuen können unter Schimpansen nur selten beobachtet werden. Aber ein Tier kann auf den Tod nur dann emotional reagieren, wenn eben diese beiden Eigenschaften ausgebildet sind, glaubt Anderson.
Das Verhalten dieser Schimpansen steht in auch in auffälligem Gegensatz zu dem, was über Schimpansen, die in der Wildnis von anderen Tieren getötet werden, bekannt ist. Meist reagieren Schimpansengruppen auf den gewaltsamen Tod eines Artgenossen mit einer Massenraserei. Anderson, der seine Forschungsergebnisse jetzt im Fachjournal Current Biology veröffentlicht hat, beschrieb das Verhalten seiner Schimpansen hingegen als „ruhig“.
Tote Babys verwirren Schimpansenmütter
Anderson stellt nun unter anderem in Frage, ob es richtig ist, todkranke Tiere kurz bevor sie sterben aus ihrem Gehege zu entfernen. „Zumindest in einigen Fällen könnte es für alle Beteiligten besser sein, wenn die Tiere in ihrer vertrauten Umgebung sterben“, erklärte er.
In derselben Ausgabe der Zeitschrift ist ein weiteres Beispiel außergewöhnlichen Verhaltens beschrieben, das per Kamera aufgezeichnet wurde. Dora Biro von der Universität Oxford beobachtete den Tod von fünf Schimpansen, darunter zwei Neugeborene, in einer Gemeinschaft in den Wäldern von Bossou in Guinea. Die Mütter der beiden Babys, die an einer Atemwegserkrankung gestorben waren, trugen ihren toten Nachwuchs Wochen und Monate mit sich herum. Während dieser Zeit mumifizierten die Leichen der Neugeborenen, doch die Mütter lausten sie weiterhin und trugen sie in ihre Tag- und Nachtnester, als wären sie am Leben. Erst nach und nach überließen die Mütter den anderen aus der Gruppe die Leichen und verbrachten längere Zeiträume ohne sie.
„Schimpansen sind die nächsten Verwandten des Menschen und es ließ sich bereits nachweisen, dass ihre kognitiven Funktionen den unseren in vielerlei Hinsicht ähnlich sind. Sie haben Mitgefühl, einen Gerechtigkeitssinn und können zusammenarbeiten, um ein Ziel zu erreichen“, notiert Biro. „Wie sie den Tod wahrnehmen, ist eine faszinierende Frage. Unsere Beobachtungen bestätigen die Existenz einer äußerst engen Verbindung zwischen Müttern und ihrem Nachwuchs, die bemerkenswerter Weise auch nach dessen Tod fortbestehen kann.“
Biro sieht großen Bedarf für weitere Forschungsarbeiten, um zu klären, in welchem Ausmaß Schimpansen den Tod eines Angehörigen oder eines Mitglieds ihrer Gruppe verstehen und davon betroffen sind. „Das hätte Auswirkungen auf unser Verständnis der evolutionären Ursprünge der menschlichen Wahrnehmung des Todes und könnte weitere Einblicke in die Art und Weise geben, wie Schimpansen die Welt um sich herum deuten.“
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