Gar nicht charmant

Pop Vor der Deutschlandtournee gibt es Aufregung um Morrissey. Hat er mit Recht die Bühne verlassen, weil er von einer Bierflasche getroffen wurde?

Keiner könnte es den Menschen in Liverpool verdenken, wenn sie jetzt der Meinung wären, dass Morrissey ganz und gar nicht "This Charming Man" (so der Titel einer Smiths-Single aus dem Jahr 1983) sei. Am Samstag verließ der ehemalige Sänger der Smiths die Bühne, nachdem er von etwas getroffen wurde, das aussah wie eine Plastikflasche mit Bier. Nur wenige Augenblicke, nachdem Mozzer, wie seine Fans ihn nennen, das Publikum in der Echo Arena mit einem munteren „It’s Liverpool. It’s perfect“ begrüßt hatte, endete das Konzert nach gerade einmal eineinhalb Songs, weil der Künstler sich weigerte weiter zu machen. Morrisseys ergebene Fangemeinde würde für ein Lächeln des Meisters (was selten vorkommt) meilenweit gehen, 40 bis 50 Euro pro Ticket erscheinen für ein paar Minuten Musik dann allerdings doch zu deftig, insbesondere wenn man Augenzeugen glaubt, die gesehen haben wollen, der Sänger habe kaum einen Spritzer Bier abbekommen.

"Stop Me If You’ve Heard This One Before" – wahrscheinlich haben Sie das schon tausend Mal gehört – aber Seine Hohheit kann eine ganz ordentliche Bilanz an abgebrochenen Konzerten aufweisen. In der Vergangenheit hat er Konzerte (oft in letzter Minute) mit abwegigen Entschuldigungen abgesagt, wie etwa wegen plötzlicher Krankheit, Problemen mit der Stimme, Schwierigkeiten mit der Beheizung der Konzerthalle, aufgrund der finsteren Vergangenheit des Veranstaltungsortes als Schlachthof („Meat is Murder“, vergessen Sie das nicht) und – seine bislang beste – wegen Schnee auf dem Dach der Konzerthalle.

Nach mehreren Absagen in diesem Jahr (für die der Sänger ein „unerträgliches Virus“ verantwortlich machte), ist es nun seine neue Spezialität, die Bühne unter Protest zu verlassen und zu schmollen. Im April beendete der strikte Vegetarier in Kalifornien einen Auftritt beim Coachella Festival aus Protest, weil im Backstagebereich gegrillt wurde. Sein Kommentar war ein typischer Morrissey – „Ich kann verbranntes Fleisch riechen und ich hoffe, bei Gott, dass es von einem Menschen stammt“ –, trotzdem wird der Spruch kaum auf so viel Gegenliebe gestoßen sein, wie seine großartige Performance des Songs How Soon is Now?

Der Unterschied in diesem aktuellen Fall ist nun aber, dass der 50jährige wirklich ernsthaft krank gewesen ist. Vergangenen Monat musste er während eines Konzerts im südenglischen Swindon nach einem Zusammenbruch mit Atemschwierigkeiten ins Krankenhaus gebracht werden (was zu weiteren Konzertabsagen führte). Das letzte, was der vermutlich immer noch kranke Sänger nun also brauchen kann, ist eine Flasche Alkohol, die ihm ins Gesicht geschleudert wird. Allerdings erscheint seine Weigerung, weiter zu spielen, doch ein wenig divenhaft. Wäre Morrissey freilich fit genug gewesen um weiter zu machen, dann hätte man den Flaschen-Schleuderer hinauswerfen können, das Konzert wäre weiter gelaufen und alle wären am Ende glücklich nach Hause gegangen. So wie es nun aber war, ließ er die Mehrheit der Fans stinksauer zurück.

Was meinen Sie? Hat der mitgenommene Morrissey mit Recht die Bühne verlassen? Oder hätte er sich an den alten Slogan halten sollen: „The show must go on“?

Übersetzung: Christine Käppeler

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Dave Simpson, The Guardian | The Guardian

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