Gefangen in Armut

Libanon Trotz der jetzt eingeräumten Arbeitsrechte bleiben Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge eine ausgegrenzte und sozial diskriminierte Randgruppe

Der siebenjährige Hasan Hameid, wie er da in der engen Gasse des Flüchtlingslagers Schatlia im Süden von Beirut steht, zerbeulte Mopeds an ihm vorbei rauschen und elektrische Drähte wirr über seinem Kopf hängen, weiß genau, was er als Erwachsener tun wird: „Ich will Arzt werden und Kranken helfen.“ Trotz der oft zur Schau gestellten libanesischen Sympathie mit dem palästinensischen Volk wird ihm der Zedern-Staat diesen Traum austreiben. Der Arztberuf steht auf der langen Liste von Professionen, die Hunderttausenden von Palästinensern in diesem Land verwehrt bleiben. Seit Generationen nun schon sind sie zum Überleben in Armut und überfüllten Lager verdammt. Seit August werden ihnen zwar durch ein neues Gesetz gewisse Arbeitsrechte eingeräumt, doch wird sich nur wenig daran ändern, dass für Palästinenser im Libanon nur die niedrigsten Jobs bleiben. Zwar können sie nunmehr kostenlos eine Arbeitserlaubnis beantragen, in eine Rentenkasse einzahlen und Leistungen bei Arbeitsunfällen beanspruchen, doch gibt es keine Gewähr, dass sich Arbeitgeber finden, die sie tatsächlich einstellen. Wichtige Berufszweige werden ihnen auch künftig verschlossen bleiben. Um in der Justiz, der Medizin und im Maschinenbau arbeiten zu können, ist die Mitgliedschaft in den entsprechenden Brachen-Gewerkschaften obligatorisch, die sich „staatenlosen“ Palästinensern verweigern.

Viele begegnen dem neuen Gesetz daher mit Skepsis. „Ich repariere Telefone – 13 Jahre Studium, um als Reparaturdienst durch die Gegend zu ziehen“, resümiert der 39 Jahre alte Ghassan, der Elektrotechnik studiert und vor zwei Monaten in Beirut promoviert hat. Eine adäquate Anstellung wird er trotzdem kaum je finden. „Hier im Libanon gibt es kein Gesetz und keine Regierung. Was im Arbeitsgesetz geschrieben steht, was Sie hören und sehen, können Sie getrost vergessen!“

Heilige Pflicht

Ghassan hat gelernt, pessimistisch zu sein, und pflegt diese Gabe. Nach jahrzehntelangen Debatten um den Status der im Libanon lebenden Palästinenser und trotz der Anstrengungen der UN-Agentur für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) bleiben sie eine verarmte, ausgegrenzte Randgruppe. Von den 400.000 im Libanon lebenden Palästinensern – mehrheitlich Nachfahren der Vertriebenen aus den Kriegen von 1948/49 und 1967 – existieren mehr als die Hälfte in einem der zwölf UN-Flüchtlingslager, die über das ganze Land verteilt sind. Die Palästinian Najedeh Foundation (PNF) geht davon aus, dass nur sieben Prozent von ihnen einen belastbaren Arbeitsvertrag haben – wer diesen Vorzug genieße, arbeite allerdings vorwiegend für die UNWRA.

Schatila in Westbeirut gleich im wesentlichen den anderen elf Camps: Überfüllte Zimmer, schlechte sanitäre Anlagen, keine regelmäßige Stromversorgung. Jugendliche stehen rauchend in der Gegend, Händler verkaufen ihre Waren auf staubigen Straßen. Die palästinensische Community war oft in innerlibanesische Konflikte verstrickt, was die Umstände nicht unberührt ließ, unter denen sie heute lebt. Für viele waren stets die geltenden Arbeitsbestimmungen verantwortlich für ihr Schicksal. Dabei spaltet die Debatte über Rechte der Palästinenser das Land seit Jahrzehnten. Die christlichen Parteien sind entschiedene Gegner des novellierten Arbeitsgesetzes – genau genommen jedes Gesetzes, das den hier lebenden Palästinensern mehr Achtung schenkt. In diesen Ressentiments glimmt die Angst: Werden die Flüchtlinge erst einmal mehr integriert oder gar naturalisiert, kippt die demografische Balance weiter zugunsten der schon vorhandenen muslimischen Mehrheit. Die Palästinenser hingegen bestreiten, libanesische Staatsbürger werden zu wollen – das Rückkehr in das Land ihrer Vorfahren gilt vielen als heilige Pflicht.

Für Nadim Houry, den Vorsitzenden von Human-Watch in Beirut, ist das jetzige Arbeitsgesetz ein positiver, aber unzureichender Schritt. „Ein wirklicher Dialog mit den Gewerkschaften muss folgen, damit die sich für Palästinenser öffnen.“

Imm Mohammed, Hasan Hameids Mutter, meint resigniert: „Mein anderer Sohn studiert an der Arabischen Universität von Beirut und möchte Ingenieur werden. Ich frage ihn, was wirst du tun, wenn du fertig bist? Wozu das alles? Siehst du nicht, wie wir leben? Und er antwortete mir: Ich will Ingenieur werden – wie kann man wissen, was uns die Zukunft im Libanon bringen wird.“

Richard Hall berichtet für den Guardian aus dem Libanon und JordanienÜbersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Richard Hall | The Guardian

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