Geformt aus einem Klagelied

Turner-Preis Susan Philipsz wird als Erste für eine Klangarbeit mit dem Turner-Preis geehrt – während vor der Tate Modern lautstark Kunststudenten gegen Kürzungen protestieren

Die Ankündigung, dass Susan Philipsz in diesem Jahr den Turner-Preis gewann, wurde beinahe von den Sprechchören und Schreien der protestierenden Studenten übertönt, die von dem Champagner nippenden Partyvolk in der Tate Britain nur durch eine eilig errichtete Barriere getrennt waren. Studenten der Londoner Kunsthochschulen – unter anderem des Chelsea College of Art Design und von Central Saint Martin’s – belagerten die Eingangshalle der Tate Britain, wo sie gegen die Kürzungen der Koalition bei den künstlerischen und geisteswissenschaftlichen Studiengänge protestierten. Wer drinnen auf die Preisverleihung wartete, konnte die Studenten zwar nicht sehen, zu überhören waren sie jedoch nicht.

Philipsz – selbst eine politische Aktivisten, bevor sie die Kunsthochschule in Belfast besuchte – sagte über die Demonstranten: „Ich fühle mit ihnen. Ich unterstütze sie voll und ganz.“ Wer sich den Leinwänden, die Preis und Protest voneinander abschirmten, näherte, wurde von den Sicherheitskräften weggscheucht – „zu Ihrer eigenen Sicherheit“.

Kulturminister Ed Vaizey, der bei der Zeremonie anwesend war, sagte gegenüber dem Guardian: „Sie haben das demokratisch legitimierte Recht zu demonstrieren. Ich wünschte nur, sie würden etwas arbeiten.“ Tate Direktor Sir Nicholas erklärte: „Jeder, dem die Künste ein Anliegen sind, muss sich einfach Sorgen um die Kürzungen im Hochschulbereich machen. Die Kunsthochschulen waren schon immer die Laboratorien jener Arbeiten, die später den Turner-Preis gewonnen haben.“

Nichts zum Anfassen

Die 45-jährige Philipsz ist die Erste in der Geschichte des Preises, die nichts geschaffen hat, was man sehen oder anfassen kann. Stattdessen hat sie ihre preisgekrönte Arbeit aus Klängen geformt – genauer genommen aus den Klängen ihrer eigenen Stimme, die ein schottisches Klagelied singt, das über dem Fluss Clyde in ihrer Heimatstadt Glasgow erklang.

Philipsz war von Anfang an die Favoritin der Kunstwelt für die diesjährige Auszeichnung, die mit 25.000 Pfund dotiert ist. Die drei anderen Nominierten waren: Dexter Dalwood, dessen zeitgenössische Interpretationen historischer Gemälde ihn anfangs zum Favoriten der Buchmacher gemacht hatten, Angela de la Cruz, deren verstümmelte, zerknautschte Leinwände irgendwo zwischen Malerei und Plastik angesiedelt sind und die Otolith Group, deren Werke – meist auf Film – sowohl kuratorische als auch bildnerische Aspekte umfassen. Alle drei werden ein Preisgeld in Höhe von 5.000 Pfund erhalten.

Mit einem Paukenschlag

Der Bildhauer Richard Wilson sagte: „Ich halte es für eine super-intelligente Entscheidung, hier am Abend der Turner-Preisverleihung zu demonstrieren. Nur so macht man es richtig. Nicht mit einem Flüstern, sondern mit einem Paukenschlag.“ Der Schriftsteller und Kritiker Philip Hensher, der in diesem Jahr Teil der Jury war, sagte: „Sie haben absolut das Recht zu demonstrieren und das Recht, sich dafür eine Veranstaltung mit großem Medieninteresse vorzunehmen. Würden sie an einem ruhigen Nachmittag im Richmond Park auf die Barrikaden gehen, würde das keiner bemerken.“ Gill Addison, Dozent am Chelsea College of Art, zählte zu denen, die vor der Tate Britain Flugblätter verteilten. Er erklärte: „Diese Demonstration ist nicht gegen den Turner-Preis gerichtet sondern gegen die Tatsache, dass unsere Kunst und Kultur bedroht sind. Es geht um die Zukunft des Turner-Preises. Wie kann er eine Zukunft haben, wenn Künstler nicht ausgebildet werden?

Ein ausführliches Porträt der Preisträgerin Susan Philipsz erscheint in der kommenden Ausgabe des Freitag, die am 9. Dezember erscheint.

Übersetzung: Christine Käppeler

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Geschrieben von

Charlotte Higgins | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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