Menschen, die sich auf den unteren Stufen der sozialen Leiter befinden, verfügen über eine wesentlich schlechtere körperliche und geistige Gesundheit als bessergestellte Menschen. Sie leiden häufiger an Herzkrankheiten, Depressionen, verschiedenen Krebsarten, höheren Todesraten und begehen häufiger Selbstmord. Neuere psychologische Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass es noch ein anderes Opfer der Ungleichheit gibt: Die Reichen selbst.
Bei einer Reihe von Studien kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass bestimmte soziale und emotionale Schlüsselkompetenzen Schaden nehmen, wenn jemand einen hohen sozialen Status erreicht: Das Interesse, Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen, sinkt. Außerdem nimmt die Fähigkeit ab, die Emotionen anderer erkennen zu können. Eben diese Eigenschaften und Fähigkeiten stehen der Forschung zufolge aber mit einem glücklichen und sinnerfüllten Leben in engem Zusammenhang.
Bislang hat sich die sozialwissenschaftliche Untersuchung sozialer Ungleichheit vor allem auf die Nöte der Armen und einer schrumpfenden Mittelschicht konzentriert und sich dabei mit der Frage befasst, inwiefern ein niedriger sozialer Status die mentale und physische Gesundheit beeinträchtigt.
Der britische Epidemiologe Richard Wilkinson beispielsweise hat Jahre darauf verwandt, psychosoziale Auswirkungen zunehmender Ungleichheit zu erforschen. „Mit zunehmenden Statusdifferenzen sorgen wir uns mehr um unsere eigene Statussicherheit“, hat Wilkinson beobachtet. Daraus resultierten „weitverbreitete Selbstwertängste, was wiederum zu einem Anstieg der mentalen Erkrankungen und Depressionen führt.“
Immer selbstbezogener
Was nun die sozial Bessergestellten betrifft, waren die Forscher anfänglich davon ausgegangen, dass diese vermehrt von „Managerkrankheiten“ betroffen wären wie etwa Herzleiden, die zurückgeführt werden auf die vergleichsweise hohe Verantwortung, die in Top-Positionen gefordert ist. Stattdessen aber fand man heraus, dass ein höherer Status sich vielmehr auf andere Herzensangelegenheiten auswirkt: Er erzeugt eine Art psychologische Trennwand zum sozialen Umfeld.
2010 wurde beispielsweise in der Zeitschrift Psychological Science eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass Menschen mit einem höheren sozioökonomischen Status schlechter darin sind, die Emotionen anderer Menschen wahrzunehmen und zu erkennen. „Mit zunehmendem Wohlstand wird man selbstbezogener“: so fasst Michael Kraus, Hauptautor der Studie und Professor für Psychologie an der Universität Illinois, die Ergebnisse zusammen. „Wenn man oben auf der sozialen Leiter steht, treten in der Wahrnehmung die Freiheiten und Möglichkeiten in den Vordergrund, die man selbst den anderen voraushat. Das führt dazu, dass man die Gefühle anderer weniger gut erkennt.“
Weitere Belege liefert eine Studie, die Ende letzten Jahres in der wissenschaftlichen Zeitschrift Emotion veröffentlicht wurde und derzufolge College-Studenten aus der Oberschicht weniger Mitgefühl als andere Studenten zeigten, wenn sie ein Video über Kinder sahen, die an Krebs litten. Der Herzschlag der weniger wohlhabenden Studenten verlangsamte sich beim Schauen des Videos. Die Herzen der reichen Studenten hingegen zeigten dieses physiologische Zeichen für Mitgefühl nicht.
Weniger Empathie und mehr Desinteresse
„Es ist nicht so, dass Leute aus der Oberschicht kaltherzig sind“, erklärt Jennifer Stellar, Leitautorin der Studie und Doktorandin an der Universität Berkeley in Kalifornien. „Sie sind möglicherweise nur weniger versiert darin, die Hinweise und Anzeichen von Leid zu erkennen.“
Eine weitere Studie, die in der Zeitschrift Psychological Science veröffentlicht wurde, unterstreicht diesen Schluss. Hier wurde gezeigt, dass Studenten aus wohlhabenderen Familien sich offenbar weniger in Unterhaltungen einbringen als solche mit niedrigerem sozioökonomischem Status. Im Experiment kritzelten sie während Unterhaltungen herum, wühlten in ihren Rucksäcken und guckten immer wieder auf ihre Mobiltelefone – legten also ein unverhohlenes Desinteresse an ihrem Gegenüber an den Tag, selbst wenn die betreffende Person ebenfalls wohlhabend war. Sie reagierten auf etwas, das das Gegenüber gesagt hatte, sogar seltener mit einem Kopfnicken oder Lachen.
Dass die Studien allesamt – wie üblich- mit Studenten durchgeführt wurden, mag auf den ersten Blick deren Aussagekraft einschränken. Tatsächlich jedoch offenbart sich dadurch, dass die psychologischen Auswirkungen von hohem Status so groß sein können, dass sie sich sogar in Bezug auf ein Gegenüber bemerkbar machen, mit dem man sehr viel gemeinsam hat. Dies unterstreicht eine der größten Erkenntnisse der neueren Forschungen: Wohlhabende sind nicht nur weniger geneigt, sich mit schlechter Gestellten einzulassen, sondern mit überhaupt irgendjemandem.
Abhängig von sozialen Beziehungen
Das sind schlechte Nachrichten auch für die Reichen selbst. „Mitgefühl, empathische Genauigkeit, Vertrauen und Kooperation sind Schlüssel zu sozialer Verbundenheit und schließlich Glück“, sagt Paul Piff. Er ist Forscher in Berkeley und hat herausgefunden, dass Menschen mit höherem sozioökonomischem Status weniger bereit waren, einem Fremden Geld zu geben oder für einen wohltätigen Zweck zu spenden.
Innerhalb der sogenannten Positiven Psychologie geht man davon aus, dass Glück (und Gesundheit) zu einem großen Teil durch die Qualität und Quantität unserer sozialen Beziehungen bestimmt wird. „Prosoziales“ Verhalten und Emotionen wie Mitgefühl, Empathie und Altruismus stehen dieser Forschungsrichtung nach mit der Lebenszufriedenheit in engem Zusammenhang.
Dies zeigen auch die Arbeiten von Sonja Lyubomirsky, einer der führenden Glücksforscherinnen. In ihren Untersuchungen berichten Menschen, dass sie sich glücklicher fühlten, wenn sie etwas Nettes für jemand anderen getan hatten. Verschiedene neurowissenschaftliche Studien zeigen darüber hinaus, dass es die Lustregionen des Gehirns aktiviert, anderen etwas zu geben. Experimente der Psychologinnen Lara Aknin und Elizabeth Dunn haben sogar ergeben, dass es größeres Glück verschafft, Geld für andere auszugeben als für sich selbst. Bei einer weiteren, im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie, bei der die Teilnehmer sich nur fünf bis 15 Minuten in der Woche um andere kümmern sollten, berichteten die Probanden noch ein halbes Jahr später von einem signifikanten Anstieg ihres Glücks- und Selbstwertgefühls.
„Wenn man anderen gegenüber freundlich handelt, hat man ein besseres Gefühl sich selbst gegenüber und fühlt sich optimistischer“, sagt Glücksforscherin Lyubomirsky. „Man sieht die Menschen stärker miteinander verbunden und stärkt die eigene Verbundenheit zu anderen, die man in schlechten Zeiten einmal brauchen könnte. All dies zusammen macht glücklicher.“
Glück durch Gleichheit
Diese Ergebnisse bieten eine Erklärung dafür, warum Amerikaner jenseits eines Einkommens von jährlich 75.000 Dollar nicht mehr glücklicher werden, wenn sie noch mehr Geld verdienen. Jenseits dieser Marke bringt das Gefühl des erhöhten Status möglicherweise jene abträglichen sozialen und emotionalen Effekte mit sich, die die Freude über das viele Geld wieder aufheben.
Genau betrachtet folgt aus den Forschungsergebnissen jedoch nicht, dass Geld ein Problem ist. Problematisch scheint vielmehr der mit dem Reichtum einhergehende Status – die in Relation zu anderen Menschen höhere Stellung.
Außerdem: Wenn Geld unglücklich machen würde, dann wären die ärmsten Länder zugleich die glücklichsten. Sind sie aber nicht. Der Schlüssel scheint vielmehr in dem Ausmaß sozialer Ungleichheit zu liegen. Die glücklichsten Länder sind diejenigen, in denen die Gleichheit am größten ist, wie es in Norwegen, Dänemark, Finnland und Schweden der Fall ist. Diese Länder rangieren nicht zufällig auch im Mitgefühlsindex des Forschers Ron Anderson von der University of Minnesota unter den Höchstplatzierten.
Im Gegensatz dazu haben Länder mit größerer Ungleichheit wie die USA oder Großbritannien signifikant höhere Raten an gesundheitlichen und sozialen Problemen. Laut Analyse des britischen Epidemiologen Wilkinson sind mentale Erkrankungen in ungleichen Ländern dreimal häufiger. Desgleichen ist die Säuglingssterblichkeit höher und die Lebenserwartung erheblich geringer. Vertrauen und sozialer Zusammenhalt – die wichtige Glücksfaktoren darstellen – sind in gleicheren Gesellschaften deutlich stärker ausgeprägt.
Armutssimulationen
Die verschiedenen Forschungsergebnisse legen weiterhin nahe, dass Ungleichheit selbstverstärkend wirkt. Das fehlende Mitgefühl der Reichen macht es unwahrscheinlicher, dass sie sich um die weniger Begüterten kümmern, wodurch die Kluft zwischen Arm und Reich sich vertieft. Und je tiefer sie wird, desto weniger werden die Reichen wohl etwas dagegen tun wollen.
Was also tun? Wenn nicht zu erwarten ist, dass die höheren Gesellschaftsschichten sich plötzlich von selbst um die niedrigeren Schichten kümmern – welcher Weg bleibt dann, um zumindest die psychologischen Folgen der Ungleichheit zu bekämpfen, welche Reiche wie Arme betreffen?
Es gibt durchaus Grund zur Hoffnung. Studien zeigen, dass es die Empathiefähigkeit bereits erhöht, wenn man sich auch nur in der Vorstellung weiter unten auf der sozialen Leiter platziert. Ein Beispiel dafür sind „Armutssimulationen“. Dabei handelt es sich um Programme, in denen Menschen in Führungspositionen sich für ein paar Stunden in jemanden mit niedrigem Status versetzen und aus dieser Perspektive versuchen sollen, die Herausforderungen des Lebens zu meistern.
„Die Teilnehmer sind von dem Experiment geradezu überwältigt“, berichtet Tiela Chalmers, Anwältin aus San Francisco, die seit fünf Jahren Armutssimulationen in Kanzleien in ganz Amerika durchführt. „Sie gehen daraus mit einer mitfühlenderen Sicht der Dinge hervor.“
Extreme reduzieren
Auch wenn also Ungleichheit sich zunächst in den oberen Gesellschaftsschichten als Empathie-Killer auswirkt und möglicherweise auch als Glücksbremse, lässt sich diesen Effekten durchaus gezielt entgegensteuern – zum Beispiel durch ehrenamtliche Arbeit, die die Kontakte zwischen Menschen verschiedener Hintergründe fördert. Ein anderer Ansatz, die Empathiekluft zu verkleinern, wäre, die Ungleichheit zu reduzieren. Aber wie dies geschehen könnte – darüber streiten die Experten.
Letztlich, betont Berkeley-Wissenschaftler Piff, gehörten Hierarchien zum Leben, die Ungleichheit abzuschaffen sei kein realistisches Ziel. Wirklich wichtig für das Glück der Reichen, der Armen und aller anderen dazwischen sei es jedoch, jene Form krasser sozialer Spaltung zu kurieren, wie man sie heutzutage in den USA findet: „Wenn es gelingt, die Extreme zwischen denjenigen, die etwas haben, und denen, die nichts haben, zu reduzieren, hat man viel dafür getan, die Mitgefühls- und Empathiekluft zu schließen.“
Jason Marsh ist Chefredakteur von Greater Good, dem Online-Magazin des GreaterGood Science Center an der Universität Berkeley, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist
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