Wir von der Generation X in Großbritannien – sie entspricht in Deutschland am ehesten der „Generation Golf“ – hatten nie das Gefühl, mehr zu trinken als unsere Eltern. Denn die tranken verdammt viel. Wenn man sich aber die Entwicklung des Alkoholkonsums über die Zeit und vor allem den Anteil derer, die an fünf oder mehr Abenden pro Woche trinken, in jeder Generation ansieht, so erfährt man: „Ein Drittel der Vorkriegsgeneration trank an fünf Abenden pro Woche. Bei der Generation Z (die zwischen 1995 und 2012 Geborenen) sind es 0,2 Prozent“, sagt Bobby Duffy, Direktor des Policy Institute am King’s College London. Auch wenn dieser stetige Abwärtstrend noch nichts darüber aussage, ob es sich um gemäßig
;igten oder um schädlichen Alkoholkonsum handelt, stellt Duffy fest: „Was den riskanten Alkoholkonsum angeht, so gibt es ein sehr aussagekräftiges Diagramm: Wir sehen eine Ausbuchtung in der Altersgruppe, die mehr oder weniger der Generation X entspricht.“Die Daten über den Verkauf von Alkohol in Großbritannien zeigen, dass die Menge bis 2004 ansteigt und seither abfällt. Der Anstieg verdankt sich hauptsächlich meiner Generation X, jener der zwischen 1965 und 1980 Geborenen. Er wurde hauptsächlich von Weintrinkern verursacht, die 1950 in Großbritannien noch so selten waren, dass sie als Spinner galten, und 50 Jahre später mit den Biertrinkern gleichauf lagen. Auch das Verhältnis zwischen den Kneipen- und den Heimtrinkern hat sich umgekehrt: Anfang der 1970er Jahre wurden 70 Prozent der Getränke in Kneipen konsumiert, Anfang der 2000er Jahre 70 Prozent zu Hause.Wir wollten wilde Frauen seinWomit wir bei der Genderfrage wären: Vorsichtig könnte man verallgemeinern, dass Männer eher Bier in Kneipen trinken und Frauen eher Wein zu Hause. Der Anstieg des Alkoholkonsums scheint also vor allem mit den Frauen der Generation X zu tun zu haben. Aber lassen wir das Geschlecht mal beiseite: Woher kommt dieser Anstieg bei der Generation X überhaupt?Zunächst mal wurde in den 1990er Jahren der Alkoholmarkt liberalisiert – sowohl auf gesetzlicher als auch auf kommerzieller Ebene. Die Supermärkte begannen mit aggressiven Preissenkungen, als der Markt für den Hausgebrauch wuchs, während später im Jahrzehnt die Öffnungszeiten der Kneipen freigegeben wurden. Aber um unsere Generation zu verstehen, muss man in die 1970er und 1980er Jahre zurückgehen, unsere prägenden Jahre. Das erdrückende Gefühl des wirtschaftlichen Niedergangs war eine Konstante im Fernsehen, das Gefühl, dass nichts und niemand mehr funktionieren würde. Das Warten auf das Ende der Welt. Und vergessen wir nicht die nukleare Bedrohung, die alles durchdrang.Unser sexuelles Erwachen überschnitt sich mit der Aids-Krise, die als „Schwarzer Tod“ dargestellt wurde, den die sexuell Aktiven irgendwie doch auch verdient hätten. Wir kamen also mit einem verständlichen Maß an Nihilismus ins Trinkeralter, das in die sorglosen 1990er Jahre kippte.Dann kam die dritte Welle des Feminismus. Wir waren keine Frauenrechtlerinnen, die für andere, unterdrückte Frauen kämpften – wir kämpften für uns selbst, für das Recht, wild zu sein, unregierbar. Gleichzeitig wurde diese Emanzipation zu einer Chance für das Marketing: Kneipen – früher düstere, männliche Räume mit beschlagenen Fenstern und verbrannten Teppichen, in denen Frauen angestarrt wurden – konnte man nun auf Frauen zuschneiden, auf einmal gab es Sofas und große Fenster.Nach uns: die BravenKlar sticht unsere Generation besonders hervor, auch weil die nachfolgenden so ausgesucht brav wurden: Die supervernünftigen Millennials lassen uns schlecht aussehen. International fallen die Unterschiede weniger stark aus, weil die Spitzenwerte früher erreicht wurden – in Frankreich und Italien erreichte der Alkoholkonsum in den 1960er Jahren seinen Höhepunkt, in Spanien in den 1970ern, in anderen Ländern in den 1980er Jahren. Ein Höhepunkt erst in den frühen 2000ern ist recht ungewöhnlich.Ob wir nun vom Thatcherismus gezeichnet, von der Emanzipation angetrieben oder durch unsere Gewohnheiten abgehärtet wurden – es steht außer Frage, dass die starken Trinker der Generation X heute völlig aus der Mode gekommen sind. Aber wird sich unser Verhalten dadurch tatsächlich ändern?Carol Emslie, Professorin an der Glasgow Caledonian University, ist zuversichtlich, dass es sinnvoll sein kann, der Werbung für Alkohol Beschränkungen aufzuerlegen. Sie schlägt einen dreigleisigen Ansatz vor: Maßnahmen der Regierung, von Organisationen wie dem schottischen Frauenfußballverband, der keine Werbung von Alkoholkonzernen akzeptiert, und von Grassroots-Kampagnen könnten uns dazu bringen, uns zu fragen, ob wir „wirklich jeden Aspekt unseres Lebens mit Alkohol in Verbindung bringen wollen“.Placeholder authorbio-1