Eine junge Frau twittert fröhlich an zwei britische Freundinnen: „Ich mache Pfannkuchen und habe Nutella da. Kommt doch vorbei.“ Die Freundinnen necken sich daraufhin gegenseitig: „Komm, bevor ich sie aufgegessen hab – hahaha …“ Dieser Austausch mit seinen Emojis wirkt harmlos, bis klar wird, dass sich alle drei der Organisation Islamischer Staat (IS) angeschlossen haben und über ihre Social-Media-Accounts andere Frauen aufrufen, sich ihnen in Syrien anzuschließen.
In Großbritannien betrachtet man mit wachsender Besorgnis, wie sich britische Staatsbürger bei den Extremisten im Irak und in Syrien einreihen. Experten warnen, dass IS-Mitglieder auf Geheiß ihres Anführers Abu Bakr al-Baghdadi energisch versuchen, Frauen und Mädchen für sich zu gewinnen. Der Rolle, die Online-Accounts in diesem Propagandakrieg spielen, werde dabei viel zu wenig Bedeutung zuerkannt. Melanie Smith vom International Centre for the Study of Radicalisation des Londoner King’s College hat die Social-Media-Nutzerkonten von 21 Britinnen untersucht, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben. Dazu zählen die 16-jährigen Zwillinge Zahra und Salma Halane aus Manchester. Oder die 20-jährige Ex-Studentin Aqsa Mahmood aus Glasgow, die Muslime dazu aufruft, im Westen Terroranschläge zu verüben. „Folgt dem Beispiel eurer Brüder aus Woolwich, Texas und Boston“, schrieb sie bei Twitter. „Wenn ihr nicht aufs Schlachtfeld kommen könnt, dann bringt das Schlachtfeld zu euch.“
Genau könne niemand sagen, wie viele Frauen sich unter den schätzungsweise 500 Briten befänden, die vermutlich nach Syrien gereist seien, um sich dort dem IS anzuschließen, sagt Smith. Es sei aber davon auszugehen, dass sich etwa 200 Frauen aus dem Westen dort aufhielten. Diese Zahl steige, seit das von den Aufständischen eroberte Gebiet, das circa 56.000 Quadratkilometer in Syrien und im Irak umfasse, zum Kalifat erklärt wurde. „Der Zuzug ist noch größer, seit IS-Führer Baghdadi die Frauen aufgerufen hat, sie sollten kommen“, erklärt Smith. Viele locke der Gedanke, zum Aufbau einer neuen Gesellschaft beitragen zu können, die auf einer fanatischen Deutung des Islam durch den IS gründe. „Man kann direkt zusehen, wie dort ein Staat errichtet wird.“
Auf den Onlineprofilen der jungen IS-Sympathisantinnen findet sich eine bunte Mischung aus religiösen Zitaten, Mordverherrlichung, banalen Plaudereien und Instagram-Fotos von Sonnenuntergängen. Auch die allgegenwärtigen Katzenbilder fehlen nicht. Zuweilen erinnert das Ganze fast an Satire. Eine Frau hat ein Selfie gepostet, auf dem sie mit zwei Freundinnen zu sehen ist. Alle drei sind unter Niqabs verborgen, die noch nicht einmal ihre Augen zu erkennen geben. Eine von ihnen hält ihre schwarz behandschuhten Finger zum IS-Gruß hoch. Eine andere beklagt, ihr britischer Humor werde missverstanden, um anschließend die Enthauptung des US-Journalisten James Foley zu rechtfertigen: „Die USA wollen uns aus der Luft angreifen, und es ist ihnen egal, wer dabei umkommt“, schreibt sie auf Twitter. „Aber sie weinen bittere Tränen, wenn ein verstaubter Journalist getötet wird.“
Potenzielle Anhängerinnen können sich mit den mitteilsamen jungen Dschihadistinnen identifizieren, von denen viele in ihren Posts kundtun, wie glücklich sie seien, in einem islamischen Land zu leben. Längere Blogs von IS-Kämpfern geben praktische Tipps und Motivationshilfen.
Kochen und putzen
Aqsa Mahmood aus Glasgow etwa veröffentlicht auf ihrer Seite Ratschläge für junge Frauen, die sich mit dem Gedanken tragen, es ihr gleichzutun. Erst vor einer Woche erklärten ihre Eltern, sie könnten nicht glauben, dass ihre „süße, intelligente und friedliebende Tochter“ nach Syrien gereist sei und dort einen Dschihadisten geheiratet habe. Inzwischen gehört Aqsa Mahmood der „Gemeinschaft ausländischer Kämpfer“ in der Stadt al-Raqqa an und scheint entschlossen, ihre Position zu nutzen, um andere Mädchen zu überreden, ihr nachzueifern. Sie erklärt ihren Followern alles, was sie wissen müssen und einpacken sollten („Für den Winter brauchst du vor allem gute Stiefel“). Auch der Hinweis, zu Hause „noch alle nötigen Impfungen“ vornehmen zu lassen, fehlt nicht. Außerdem erklärt Mahmood ganz pragmatisch, weshalb man zur „Dschihadisten-Braut“ werden müsse: „Ohne Mann ist es hier einfach schwierig.“
Melanie Smith zufolge habe sich das Profil der IS-Rekrutinnen verändert. „Die Mädchen werden jünger“, sagt sie. In der Regel seien sie um die 20. Auch schienen sie in ihrer Religiosität – im Gegensatz zu den ersten Rekruten des IS, die ihr ganzes Leben lang eine extreme Interpretation des Islam praktiziert hätten – keineswegs fanatisch zu sein. Die Frauen, die nun kämen, täten es wegen des Abenteuers, genau wie die jungen Männer. Viele fänden Gefallen an der Idee, einen ausländischen Kämpfer zu heiraten, weil die als Helden gelten – bereit, ihr Leben zu opfern.
Sasha Havlicek vom Institute for Strategic Dialogue in London meint, die Britinnen spielten eine wichtige Rolle für die „brillante“ Online-Kommunikationsstrategie des IS. Sie unterfütterten die Behauptung der Dschihadisten, man kämpfe gegen eine „dekadente und moralisch bankrotte“ westliche Gesellschaft, in der Frauen keinen Respekt mehr fänden. Für diese „Videospielgeneration junger Frauen“ sei das Nebeneinander von äußerster Brutalität und „inhaltlich vager Kuschelpropaganda“ – wie Bildern von auf Kalaschnikows spielenden Katzenbabys – typisch.
Schon Al-Qaida habe versucht, seine Botschaft dank gängiger Social-Media-Plattformen mainstreamtauglicher zu machen und das Image der Marke aufzupolieren, sagt Havlicek. „Die Sprache wurde abgemildert, und sie haben versucht, moralische Überlegenheit für sich in Anspruch zu nehmen. Dann aber tauchte der IS mit seiner Brutalität – den Massakern und Enthauptungen – auf. Al-Qaida distanzierte sich ausdrücklich, weil man wohl annahm, dass der IS mit seinen Methoden die dschihadistische Sache untergraben würde. Das Erstaunliche ist jedoch, dass es nicht so kam.“
Einige der IS-Frauen berichten zwar im Netz von Schießübungen oder präsentieren ihre Waffen. Experten sehen aber keinerlei Hinweis darauf, dass es ihnen tatsächlich gestattet ist, ins Gefecht zu ziehen. Vielmehr werde von ihnen erwartet, dass sie heiraten, den Haushalt führen, eine neue Generation heranziehen und so die Botschaft vermitteln, der IS sei keine Terrorgruppe, sondern ein Staat, dem sich alle Muslime anschließen sollten.
Wenn sie ankommen, drehe sich für die jungen Frauen, sagt Aqsa Mahmood, vieles um die „normalen hausfraulichen Pflichten“ wie Kochen und Putzen. Einen Großteil der Zeit verbringe man im Haus. „Nach draußen, zum Einkaufen oder um ab und zu mal einen Milchshake zu trinken und Fotos zu posten, geht man nur in Begleitung eines Mannes.“
Ihr Heimatland zu verlassen – und das oft ohne Wissen der Eltern –, einen Mann zu heiraten und sich einer „Gemeinschaft von Schwestern“ anzuschließen, um ein „islamisches“ Leben zu führen, gilt als ultimatives Beispiel weiblicher Selbstbestimmung. Der IS hat verkündet, beide Geschlechter seien gleichermaßen verpflichtet, zum Aufbau eines Kalifats beizutragen.
Nicht alle Mädchen seien zufrieden mit dieser ihnen zugedachten Rolle, sagt Smith. „Die Jüngeren wollen kämpfen. Aber sie wissen, dass sie sich über die Autoritäten nicht hinwegsetzen können.“ Auch Aqsa Mahmood bekennt auf ihrem Blog, darüber frustriert zu sein. Weiter schreibt sie, die Frage nach der Möglichkeit, selbst zu kämpfen, werde ihr „von den Schwestern“ am häufigsten gestellt. „Ich sage es ganz direkt“, schreibt sie. „Es gibt absolut keine Chance für Schwestern, sich an Kämpfen zu beteiligen. Es gibt keine Operationen der Märtyrer oder geheime Schwesternbataillone. Das sind alles nur Gerüchte.“ Es komme vielmehr darauf an, „Kinder für Allah“ großzuziehen.
Bislang ging die britische Politik davon aus, Frauen könnten die Radikalisierung der Männer bremsen. Sara Khan von der Menschenrechtsorganisation Inspire hält dies für falsch. In Großbritannien würden muslimische Frauen häufiger zu Opfern islamophober Übergriffe als muslimische Männer. Zudem sei unter ihnen die Beschäftigungsquote niedriger als in der Gesamtgesellschaft, auch seien sie geringer qualifiziert. Solche Umstände würden das Gefühl der Entrechtung verstärken. „Diese jungen Menschen gehören zur 9/11-Generation und bekommen ständig zu hören, die Muslime seien ein Problem für dieses Land“, sagt Khan. Die medialen Debatten über Zwangsehen, Kopftücher oder Halal-Fleisch hätten ebenfalls einen entfremdenden Effekt. „Die jungen Frauen suchen nach einem Halt, der ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit bietet.“
Schreib uns!
Im Übrigen, sagt Khan, sei die Empörung über die britische Außenpolitik ein Grund für die Hinwendung junger Menschen zum Extremismus. Was diese Politik bewirke, werde benutzt, um zu behaupten, die islamische Gemeinschaft werde angegriffen und müsse verteidigt werden. Aqsa Mahmoods Eltern zum Beispiel berichten, ihre Tochter habe unbedingt den leidenden Menschen in Syrien helfen wollen. Smith meint, auch die Wut über die israelische Militäroperation in Gaza erleichtere es extremistischen Gruppen, neue Mitglieder zu rekrutieren.
Smith ist der Auffassung, dass Social-Media-Accounts schneller gesperrt werden müssten, um Echtzeitberichterstattungen von den Schlachtfeldern im Irak und in Syrien zu unterbinden. Sasha Havlicek fordert, es müsse eine diskrete Unterstützung von Andersdenkenden im Internet geben. Vorrang müsse es haben, jungen Musliminnen zu helfen, sich wieder auf die Politik einzulassen: „Wenn man meint, dass niemand im politischen System für die eigenen Interessen eintritt – warum sollte man den Vertretern dieses Systems dann Gehör schenken?“
Für einige ist klar, an wen sie sich wenden können: Auf ask.fm schreibt eine Teenagerin: „Ich habe kein Geld, um nach Syrien zu kommen. Einen Kredit kann ich nicht aufnehmen, weil ich zu jung bin. Könnt ihr mir irgendwie helfen?“ Die Antwort der selbsternannten Dschihadisten kommt zügig: „Schreib uns eine private Nachricht.“
Übersetzung: Zilla Hofman / Holger Hutt
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