Selbstmarketing Owen Hargreaves ist nicht der Einzige, der per Viral-Kampagne im Netz einen Job sucht. Auch viele Nicht-Fußballer inszenieren sich on- und offline als eigene Marke
Als Kind überlebte der Peep-Show-Produzent Robert Popper auf wundersame Weise als einziger einen Flugzeugabsturz über einem entlegenen Winkel Kanadas. Er wurde von Wölfen gerettet und verbrachte einen Großteil seiner Jugend in der Wildnis, bevor er schließlich zurück nach England gelangte ...
Diese Geschichte ist natürlich vollkommener Unsinn – trotzdem baute Popper eine Zeit lang seinen Lebenslauf darum herum auf. Es war im Jahr 1994, Popper hatte zwei Jahre zuvor die Universität verlassen und trat mit seiner Jazz-Band auf der Stelle. Eigentlich wollte er Comedy-Autor werden, also bewarb er sich bei den Machern von Comedy-Shows und hoffte, seine Bewerbung würde diese zum Lachen bringen. Er hatte Erfolg: Dank besagtem Lebenslauf und einer R
nd einer Reihe von Briefen an den britischen Komiker Steve Coogan, die im Duktus von dessen Kunstfigur Alan Partridges verfasst waren und in goldenen Umschlägen steckten, sorgte Popper für Aufsehen und trat wenig später gemeinsam mit dem Komiker Peter Richardson auf.Popper war in den 90er Jahren damit Avantgarde. Heute gibt es sogar einen Bezeichnung dafür, was er damals gemacht hat: "Extrem-Jobsuche" oder die verzweifelten Maßnahmen von Uni-Absolventen um ihr Anschreiben aus der Bewerbungsflut hervorstechen zu lassen. "Vor ein paar Jahre fing es an", berichtet Ramon Pedrello Bez, Marketingchef des auf Jobsuche spezialisierten sozialen Netzwerks BraveNewTalent. "Inzwischen ist es ein Trend."Vergangene Woche wurde im britischen Hull der zwanzigjährige Daniel Bird mit einem Bußgeld belegt, weil er die Stadt mit 200 Lebensläufen in Postergröße plakatiert hatte. Im Juni bat die im Wien lebende Medienstudentin Ulrike Schultz ihre Twitter-Follower, ihr mit der Verwendung des Hastags "#HireUlrike" bei der Suche mach einem Werbejob in London behilflich zu sein. Im Mai gab der arbeitslose Ire Féilim Mac An Iomaire seine gesamten Ersparnisse von zweitausend Euro für ein gigantisches Plakat aus, auf dem er potentielle Arbeitgeber anflehte, ihn davor zu bewahren auf der Arbeitssuche das Land verlassen zu müssen."Ich habe scherzhaft zu einem Freund gesagt, dass ich vielleicht eine Werbetafel aufstellen müsste, um einen Job zu kriegen", erinnert er sich. "Ich stellte fest, dass mein Geld gerade reichte und dachte mir: Warum nicht?" Seit er im vergangenen August aus Australien zurückgekehrt war, wo er als Reiseberater gearbeitet hatte, hatte er 200 Bewerbungen abgeschickt, war aber nur zweimal zu einem Gespräch eingeladen worden. Nach der Plakataktion wuchs das Interesse an seinen Fähigkeiten sprunghaft. Vor allem übers Internet wurden Bilder seines Plakats verbreitet. "Ich kenne mich ziemlich gut aus mit den sozialen Medien, aber das es so abgehen würde, hätte ich nicht erwartet", sagt Mac An Iomaire. "Aus Nicaragua und Brasilien wurde mir per Mail Unterstützung bekundet, ich wurde zu vielen Gesprächen eingeladen und erhielt schließlich vier Stellenangebote." Eines davon kam von dem Wettunternehmen Paddy Power, wo Mac An Iomare heute als Kommunikationsleiter angestellt ist. "Mein Traumjob", sagt er.Das eigene Ich als MarkeVerzweifelte Zeiten verlangen verzweifelte Maßnahmen. Angesichts einer Rezession und einem heftiger umkämpften Arbeitsmarkt überrascht es kaum, dass Arbeitssuchende immer größeren Erfindungsreichtum an den Tag legen. Hinzu komme das wachsende Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, sich selbst zu einer Marke zu machen, sagt Pedrello Bez. "Immer mehr Einzelpersonen wenden Marketingtechniken an, die vorher nur bei großen Firmen zum Einsatz kamen. Die Leute erkennen, dass sich auch als Person eine eigene Marke sein müssen." Das wiederum wurde möglich gemacht durch den technischen Wandel. Wer sich heute um eine Stelle bewirbt, kann zu Werkzeugen greifen, mit denen sich Werbe-Videos und -Webseiten erstellen lassen. (So wie zurzeit auch der Fußballer Owen Hargreaves.) Oder er erstellt "Infografik-Lebensläufe", die die Berufserfahrung des Bewerbers grafisch ansprechend aufbereiten. Vor allem aber bietet sich bei Twitter und andern sozialen Medien die Möglichkeit, virale Aufmerksamkeit für die eigene Marke zu erzeugen.Der Designstudent Victor Petit aus Lyon ist diesen Sommer noch weiter gegangen. Statt bloß auf Anschauungsmaterial in 2D zu setzen, versah er die Rückseite seines Lebenslaufes mit einem QR-Code. Scannt man diesen mit einem iPhone, wird auf diesem ein Video abgespielt, in dem Petit erzählt, warum man ihm einen Job geben sollte. Die Reaktion von Werbeagenturen habe seine "Erwartungen übertroffen", berichtet Petit, der eigentlich nur einen Praktikumsplatz gesucht hatte, aber ein Stellenangebot erhielt, nachdem seine Werk virale Verbreitung fand.Am besten viralÜberhaupt scheinen die viralen Kampagnen bei der Extrem-Jobsuche den größten Erfolg zu versprechen – zumindest erzielen sie die meiste Publicity. Schultzes #HireUlrike-Kampagne hat ihr bereits vier Einladungen zu Bewerbungsgesprächen und Kontakt zu Bewunderern in der Werbebranche verschafft. Schultz selbst meint ihre Taktik sei aufgegangen, weil sie – anders als die meisten herkömmlichen Bewerbungen – gezeigt habe, dass sie sich da, wo sie hin will, auskennt. "In diesem Fall war ich das Produkt und meine Ideen, meine Persönlichkeit und meine Professionalität kamen an."Die vielleicht raffinierteste Internet-Bewerbung stammt von dem Amerikaner Alec Brownstein. Im Mai 2010 setzte der damals 29-Jährige sich einen Job bei einer der Top-Werbeagenturen New Yorks zum Ziel. Doch statt schriftlich bei den Chefs der von ihm favorisierten Firmen vorstellig zu werden, zielte er auf deren Eitelkeit ab. "Als ich mich einmal selbst googelte" erzählt Brownstein, „fiel mir auf, dass bei der Suche nach meinem Namen keine Anzeigen generiert wurden. Dann googelte ich die Namen der Kreativ-Direktoren, für die ich arbeiten wollte. Da war es genauso." Also gab er sechs Dollar für Google-Anzeigen aus, die erscheinen sollten, wenn die entsprechenden Kreativdirektoren ihren eigenen Namen bei Google eingaben. "Hey Ian Reichenthal", hieß es in einer. "Sich selbst zu goooglen [sic] macht Spaß. Mich einzustellen auch." Fünf solcher an unterschiedliche Adressaten gerichtete Anzeigen ließ Brownstein schalten. Er erhielt vier Einladungen und zwei Jobangebote.Vor allem aber heiße es, so Mac An Iomaire: „Positiv bleiben und kreativ sein.“ Auch Robert Popper haben schließlich Einfallsreichtum und hartnäckiger Eifer zu einem Job verholfen. “Immer wenn ich Steve Coogan über den Weg laufe“, berichtet Popper, „sagt der „Ich habe gerade erst wieder einen von deinen goldenen Umschlägen auf den Dachboden gefunden.
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