Seit dem 11. Januar 2002, als die ersten 20 Häftlinge in orangefarbenen Overalls und Fußfesseln aus Afghanistan eingeflogen wurden, ist das Lager Guantánamo Bay ein Mühlstein am Hals der Bush-Administration. Donald Rumsfeld, damals US-Verteidigungsminister, sprach von der kubanischen Enklave als dem "am wenigsten schlechten Ort", um Gefangene zu internieren, die des Terrorismus angeklagt wurden. Der Versuch, ein solches Camp außerhalb der Reichweite des amerikanischen und internationalen Rechts zu betreiben, um "feindliche Kriegsbeteiligte" auf ungewisse Zeit und ohne Anklage festzuhalten, untergrub das Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt mehr als alles andere. Man denke nur an die Bilder der Insassen, die in kleinen Drahtkäfigen des Camps X-Ray, wie die erste, noch provisorische Anlage hieß, dahinvegetierten, und an die nicht abreißenden Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Guantánamo hat die engsten Alliierten der Amerikaner erzürnt oder in Verlegenheit gebracht, und ihren Feinden zu werbewirksamen Argumenten verholfen.
Noch ein Jahr höchstens
Fast sechs Jahre später wird nicht mehr darüber diskutiert, ob "Gitmo" geschlossen werden sollte. Die Regierung Bush hat gegen Ende ihrer Amtszeit verzweifelt versucht, sich dieser giftigen Altlast zu entledigen. John Bellinger, der oberste Jurist des Außenministeriums, ist bemüht, fremde Regierungen zur Aufnahme von Inhaftierten zu bewegen, deren Entlassung nichts mehr im Wege steht. Mehr als 500 sind bereits in ihre Heimat- oder in Drittländer abgeschoben worden. Aber noch immer sind dort 250 Gefangene inhaftiert. Sie sind jetzt das Problem Barack Obamas.
Der künftige Präsident hat wiederholt zu verstehen gegeben, Guantánamo zu schließen, sei "unabdingbarer Bestandteil des Versuchs, Amerikas moralisches Gewicht in der Welt" wiederherzustellen. Die Frage freilich, wie mit den verbleibenden Internierten zu verfahren ist, spaltet seine ideologisch eher heterogen zusammengesetzten Stäbe für Nationale Sicherheit auf der einen und für Justiz auf der anderen Seite. Von daher dürfte Obamas Antrittsrede am 20. Januar in der ganzen Welt genau auf mögliche Zeichen dafür geprüft werden, wie entschlossen oder wie vorsichtig er vorzugehen gedenkt - der Umgang mit Guantánamo wird zum Lackmustest für seine Absichten als Staatschef.
Der Report eines überparteilichen Gremiums amerikanischer Fachleute für nationale Sicherheit und Menschenrechte, überschrieben mit Closing Guantánamo - From Bumpersticker to Blueprint kommt zu dem Urteil, das Lager ließe sich innerhalb eines Jahres leeren, vorausgesetzt eine Regierung Obama sei zur klaren Abkehr von der politischen Praxis George Bushs entschlossen. Die Autoren plädieren für eine unabhängige Kommission, um die Fälle aller noch Inhaftierter zu prüfen, Beweise zu analysieren und die unverzügliche Freilassung der Unschuldigen anzuordnen.
Vorrangig werde es darauf ankommen, sich der 150 bis 200 Gefangenen anzunehmen, die - nach Aussage der mit diesen Fällen vertrauten Rechtsanwälten - keine Anklage zu erwarten haben, sich aber nicht in ihre Heimatländer schicken lassen wollen, weil sie dort verfolgt, gefoltert oder umgebracht werden könnten.
Das beste Beispiel für Guantánamo-Insassen, die einen solchen Schwebezustand ertragen, sind 17 uigurische Separatisten einer muslimischen Minderheit in China, die während des Afghanistankrieges von 2001 in Pakistan verhaftet wurden. Die meisten könnten schon seit 2003 auf freien Fuß sein, gäbe es ein sicheres Drittland, das sie aufnimmt. John Bellingers Versuche, überhaupt eine Regierung zu finden, die sich der Uiguren annimmt, werden von der hartnäckigen Weigerung der US-Behörden unterlaufen, den Betreffenden den Aufenthalt in Amerika zu gestatten. Sie könnten eine Bedrohung sein, heißt es - wegen ihrer Verbitterung über sechs Jahre Haft ohne Anklage.
Eine zweite Kategorie von Gefangenen wird der Gerichtsbarkeit außerhalb von Guantánamo überstellt, aber das wirft die Frage auf, ob ihre Verfahren vor Kriegs- oder zivilen Gerichten in den USA stattfinden sollten. Eine Entscheidung, die den Kern des Problems im Grundsätzlichen berührt - sollten die USA den Terrorismus als militärische Bedrohung betrachten, als kriminelle Tätigkeit oder gar als Kreuzung aus beiden? Obama hat bislang darauf verzichtet, die Wendung "Krieg gegen den Terror" zu benutzen, aber es wird spekuliert, seine konservativeren Experten für Nationale Sicherheit würden ihn unter Druck setzen, alle Optionen offenzuhalten und sich nicht von den Verfahrenszwängen der Zivilgerichtsbarkeit abhängig zu machen. Auf der anderen Seite steht das Lager der "Gesetzestreuen" in der künftigen Regierung mit dem Argument, alles außer einer vollständigen Rückkehr zur verfassungsmäßigen Normalität werde Obama um das internationale Wohlwollen bringen, das er sich mit der Schließung Guantánamos erwerben könnte.
200 hoch gefährliche Leute
Diese Debatte reflektiert nicht zuletzt das Dilemma, das eine Schließung des exterritorialen Lagers mit sich bringen wird: Gibt es doch eine dritte Kategorie von Gefangenen, deren Entlassung für zu gefährlich, deren Strafverfolgung aber für zu kompliziert gehalten wird. Das Beweismaterial gegen sie kann in Form von geheimdienstlichen Erkenntnissen vorliegen, die vor Gericht nicht enthüllt werden dürfen oder den Ansprüchen an zulässige Beweismittel nicht genügen. Auch Geständnisse wären unzulässig, wenn sie unter Folter erwirkt wurden. Wie im Fall von Chalid Scheich Mohammed, dem mutmaßlichen Drahtzieher hinter den Anschlägen vom 11. September 2001, den die CIA einer simulierten Ertränkung ausgesetzt hat. Zudem wurden wenige Insassen von Guantánamo auf ihr Recht hingewiesen, sich nicht selbst belasten zu müssen, wie es zur üblichen Polizeipraxis gehört.
Die Regierung Bush hat um internationale Zustimmung für eine neue Form präventiver Inhaftierung geworben, die es ermöglichen würde, Angehörige dieser dritten Kategorie in den USA selbst und im Ausland in Haft zu halten. "Das Problem liegt darin, dass Sie da mehr als 200 hochgefährliche Leute haben, und die Frage ist, was Sie mit denen anfangen. Und das sind Leute, die Ihnen immer wieder sagen: Wenn ich hier herausgelassen werde, gehe ich hin und bringe sofort wieder Amerikaner um", sagt Condoleezza Rice, die scheidende Außenministerin. "Selbst wenn man weiß, ob diese Person künftig eine Bedrohung darstellt - so haben wir einfach keinen rechtlichen Rahmen dafür, und genau deshalb verfahren wir nach einem kriegsrechtlichen Rahmen. Aber wenn Sie eine Person nicht festhalten, von der Sie wissen, dass sie eine Bedrohung darstellt, dann riskieren Sie den Tod Tausender Unschuldiger. Daher bin ich überzeugt, dass sich die internationale Gemeinschaft damit beschäftigen sollte."
Es sieht allerdings nicht danach aus, als habe diese Gemeinschaft Appetit auf eine solche Abkehr vom etablierten menschenrechtlichen Fundament des Rechts. Das bedeutet, die Entscheidung über präventive Inhaftierung wird allein Obama zufallen. Mehrere seiner Berater, darunter auch Liberale, halten den Terrorismus für eine derart bösartige Bedrohung und die Risiken einer Freilassung von Verdächtigen für so hoch, dass ihnen ein Gesetzesvorhaben, das die Präventivhaft für zulässig erklärt, unvermeidlich erscheint. Das politische Risiko, dass ein entlassener Häftling einen Anschlag verübt, sei enorm. Es könnte lähmend auf eine neue Regierung wirken.
Andererseits - so versichern Menschenrechtsanwälte - würde ein neues System der Präventivhaft weltweit als Guantánamo-Neuauflage empfunden. Als Rekrutierungsargument für al-Qaida wäre es sicher genauso wirksam wie die bisherige Praxis der Bush-Administration. Es würde den Extremisten erlauben, sich weiterhin als Krieger und nicht als bloße Kriminelle zu betrachten.
Mit anderen Worten, es handelt sich um eines der kompliziertesten Probleme, die der neue Präsident auf dem Schreibtisch hat. Wie Barack Obama entscheidet, wird eine Menge über seine Präsidentschaft aussagen. Sarah Mendelson vom Center for Strategic and International Studies und Autorin des Berichts Closing Guantánamo, hält es für ungewiss, welche Richtung die Entwicklung nehmen wird. Aber sie fügt eine persönliche Einschätzung hinzu: "Der designierte Präsident hat an einer der renommiertesten juristischen Fakultäten des Landes Verfassungsrecht gelehrt. Er kandidierte mit dem Versprechen, zur internationalen Zusammenarbeit zurückzukehren. Die Vorstellung, ein neues rechtliches System einzuführen, das juristische Streitigkeiten über weitere Jahre hinweg nach sich zieht, kann nicht besonders verlockend wirken. Das wäre nicht der klare Neuanfang, den er jetzt braucht."
Aus dem Guardian übersetzt von Sebastian Wohlfeil
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