Was unterscheidet den Begriff „Girlboss“ von „Karrierefrau“? Eine einfache Antwort ist: die Zeit, in der wir leben. Früher war es die Bezeichnung „Karrierefrau“, die weibliche Ambitionen in der Berufswelt als selbstsüchtig, unmoralisch und etwas lächerlich übersetzte; heute übernimmt „Girlboss“ diesen Job. Die dahinterstehende Moral hat sich geändert. Die Wirkung ist dieselbe.
Vielleicht haben Sie das Wort „Girlboss“ noch nie gehört. Es ist mit dem Aufstieg und Fall einer bestimmten Feminismus-Bewegung verbunden. „Girlboss“ kam etwa 2014 als anerkennende Bezeichnung für die Art von Erfolg auf, die durch US-Top-Managerin Sheryl Sandbergs „Lean in“-Ansatz verkörpert
#246;rpert wird, zu deutsch etwa: „Frauen, hängt euch rein.“ Bejubelt wurde die starke Individualistin, die es in einer Männerwelt durch Tatkraft und Einsatz schafft. Dann, als „Leaning in“ aus der Mode kam, etwa 2019, änderten die Feministinnen ihre Haltung. „Girlboss“ wurde zu einer negativ konnotierten Bezeichnung, die benutzt wurde, um einen bestimmten Typ Frau abzuwerten und ihr vorzuwerfen, sie strebe auf Kosten anderer nach Erfolg. Audrey Gelman, die Gründerin des feministischen Co-Working-Space-Clubs „The Wing“, dem zahlreiche toxische Praktiken vorgeworfen wurden, ist so ein Girlboss. Ein anderes Beispiel ist Elizabeth Holmes, die mit 19 Jahren das Biotechnologie-Unternehmen Theranos gründete. Sie galt als weiblicher Steve Jobs – der legendäre Apple-Gründer –, wurde aber später wegen Betrugs angeklagt, weil ihre Firma wirkungslose Produkte verkauft hatte.Die Stärke und das Ausmaß des Backlash waren so groß, dass er noch drei Jahre später anhält. Im schottischen Edinburgh läuft derzeit eine Ausstellung mit dem Titel Gaslight, Gatekeep, Girlboss,ein Buch mit dem gleichen Titel soll demnächst erscheinen. Zudem gibt es eine Vorliebe für Girlboss-Bösewichte auf der Leinwand: Ein Beispiel ist die nichtfeministische Shiv Roy aus der US-amerikanischen Fernsehserie Succession („Was hast du gemacht? Warst du beim Brunchen mit anderen Möchtegern-Girlboss-Präsidenten?“, macht sich ihr Bruder Roman in einer Szene über sie lustig). Ein anderes Beispiel ist die psychopathische, aber gut angezogene Heldin des amerikanisch-britischen Spielfilms I Care a Lot aus dem Jahr 2020. Und natürlich hat die Gegenreaktion gegen Girlbosse und das breitere „Lean in“-Projekt etwas für sich, ohne Frage.Denn dahinter steht eine richtige Beobachtung. Feminist:innen weisen ganz richtig darauf hin, dass einige wenige Frauen, die es in die hohen Ränge der Unternehmenswelt schaffen, nicht die strukturellen Probleme des Patriarchats lösen. Es gibt sehr viel mehr zu tun. Aber als es von dieser allgemeinen Beobachtung ins Detail ging, lief die Sache in eine falsche Richtung. Die Girlbosse – mit anderen Worten: erfolgreiche oder ehrgeizige Frauen – wurden zu Hassobjekten.Pauschal negativPlötzlich war klar, dass sie nicht immer Feministinnen waren, auch wenn sie selbst sich tendenziell als solche präsentierten. Sie waren auch nicht immer „gut“ oder „nett“. Noch schlimmer, sie hatten – wie Männer – die Unverfrorenheit, Erfolg in der Wirtschaft und am Arbeitsplatz haben zu wollen, wo nicht alle fair behandelt werden. Zudem zeigten sie – ebenfalls wie Männer – dennoch manchmal wenig Interesse daran, diese größeren Probleme zu lösen. Schlechte weibliche CEOs, so wie Holmes, wurden nicht nur als schlechte Menschen gesehen, sondern als Spiegelung der gesamten Idee, Frauen in der Wirtschaft zu fördern. Bald war „Girlboss“ eine pauschale Negativbezeichnung für jede anspruchsvoll wirkende Frau, die Ambitionen in der Unternehmenswelt hatte oder eine bestimmte Ästhetik bediente (Anzug, hohe Schuhe, Maniküre).Ähnlich beschrieb die abwertende Bezeichnung „Karen“ einmal auf nützliche Weise eine weiße, rassistische Frau aus der Mittelschicht, kann mittlerweile aber auf jede Frau mittleren Alters mit einem bestimmten Haarschnitt angewandt werden. Um das unerwünschte Problem übertrieben selbstbewusster oder fordernder Frauen anzugehen, erhielt „Girlboss“ zudem einen belächelnden Unterton. Er suggeriert, dass diese Frauen nicht so viel Macht haben, wie sie denken: Wie kann eine Frau in einer Männerwelt schließlich wirklich Macht haben? Dazu gehört auch, dass sie angeblich nicht so „self-made“ sind, wie sie behaupten, sondern – ohne dass es ihnen bewusst ist – Produkte eines „gütigen Sexismus“.Die feministische Autorin Moira Donegan verwies darauf, dass die Bedeutungsentwicklung von „Girlboss“ Ähnlichkeiten mit dem Phänomen aufweist, das Susan Faludi in Backlash. Die Männer schlagen zurück beschreibt: die Dämonisierung von Karrierefrauen als einsame, unglückliche Wesen, mit wenig Chancen, geheiratet zu werden. Männer dagegen werden nicht als „Boybosse“ lächerlich gemacht.Passiert ist Folgendes: Was als feministische Beobachtung begann, verwandelte sich in ganz traditionelle Frauenfeindlichkeit. Die Idee, dass Frauen Erfolg nur verdienen, wenn sie außerdem gute, freundliche, fördernde Menschen sind, die alle anderen über sich stellen, ist natürlich sexistisch. Von keiner anderen Gruppe, die für Bürgerrechte kämpft, wird erwartet, sicherzustellen, dass zuerst alle anderen Gruppen Bürgerrechte haben – das wäre ein Rezept, das jeden Fortschritt abwürgt. Taube Menschen, die trotz aller Widrigkeiten am Arbeitsplatz Erfolg haben, werden in der Regel auch nicht dafür kritisiert, dass sie die Interessen von Blinden vernachlässigen.Natürlich wäre es schön, wenn jede erfolgreiche Frau ein Ausbund schwesterlicher Tugend wäre. Aber ist es wirklich heuchlerisch oder unmoralisch, zu einer unterdrückten Gruppe zu gehören und sich nur für den eigenen Erfolg zu interessieren? Nach dieser Logik wäre die einzige Gruppe ohne derartige Verpflichtungen die eine ohne Unterdrückungserfahrung – reiche weiße Männer. Ganz sicher sollte der Erfolg auch nur einer Frau als – wenn auch sehr kleiner – feministischer Sieg zählen.Versagen des FeminismusDie Veränderung der Bedeutung von „Girlboss“ ist Ausdruck des Zusammenstoßes zwischen zwei Strängen feministischen Denkens, die sich durch die Bewegung ziehen. Sollte man danach streben, die Gesellschaft zu verändern, oder Frauen dabei unterstützen, sich in der existierenden Gesellschaft zurechtzufinden? Man nehme etwa die immer wiederkehrende Frage, ob die Polizei Frauen davor warnen sollte, zu viel zu trinken oder nachts allein durch dunkle Gassen zu gehen. Viele Feminist:innen lehnen das als Schuldzuweisung an die Opfer ab, die das wahre Problem nicht angeht: gewalttätige Männer. Einige aber, so wie Louise Perry, weisen darauf hin, dass diese Warnungen dennoch sehr wichtig sind.Es gibt gewalttätige Männer. Frauen vor dieser Gefahr nicht zu warnen, wäre daher ein Versagen des Feminismus. Die Antwort auf das Dilemma ist, dass es beides zu tun gilt. Den Wandel vorantreiben und Frauen in einer nicht perfekten Welt helfen. Männliche Gewalt verringern und Frauen warnen. Veränderungen in der Arbeitswelt durchsetzen und Frauen feiern, die es auch so schaffen. Eins schließt das andere nicht aus.Placeholder authorbio-1
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